Christoph Dieckmann rechtfertigt seine antisemitischen Ausfälle

Ecce Dieckmann!

Christoph Dieckmanns Predigt gegen die Juden (Zeit, 46/01; vgl. Jungle World, 47/01) hat in der windstillen Schröder-Republik nicht den erwünschten Sturm der Entrüstung entfacht, und ob sich Dieckmanns neues Buch dadurch ein wenig besser verkauft, ist zweifelhaft. Der Prediger in der Wüste und Pseudo-Walser selbst will (Zeit, 48/01) die paar Kritiken, die auf seinem Schreibtisch landeten, als Briefe verstehen, aus denen manchmal »ehrliche Sorge« spreche, und von denen er einen beantwortet. So als wäre »Juden - pro oder contra?« ein Thema unter christlich bewegten Brieffreunden oder die Zeit ein Hamburger Bibelkreis.

Dieckmann hält sich für missverstanden und beweist dann Schritt für Schritt, dass er ganz richtig verstanden wurde. »Mein Text umfasste im Kern zwei aktuell geschärfte Kapitel meines Buches Volk bleibt Volk«, betont er, um den Buchhandel vielleicht doch noch anzukurbeln. »Der Erzähler tritt nicht als selbstgerechtes Ego auf, sondern auch als Zeuge gegen die eigene Herkunft und Präformation.« Genau. Anstatt sich nun zu freuen, dass die Kritiker sein Zeugnis ebenso aufgefasst haben, als eines gegen Deutschland (ich) oder wenigstens Ostdeutschland (die andern), empört es ihn, dass etwa Klaus Harpprecht, der »Altmeister mehrdimensionalen Schreibens«, diese aktuell scharf gemachte Prosa »geradezu ins Gegenteil umgeplättet« habe. Platt bleibt aber platt und kennt kein Gegenteil. Harpprecht übersehe, dass er, der Prediger, - mit »Warn- und Leitbojen« markiert - einen »Exodus« der Deutschen aus der »Holocaust-Verantwortung« strikt untersage.

Sagt der Jung- zum Altmeister: Ich kann auch mehrdimensional schreiben. Den Deutschen ist der »Exodus« (2 Moses) untersagt. »Mohammed al-Durras Sterben habe ich als ðEcce Homo!Ð aufgeschrieben, nicht als antijüdischen Kriegsruf.« Ziemlich mehrdimensional, geradezu doppeldeutig: die Deutschen als sesshafte und verantwortungsvolle Juden, der sterbende Palästinenserjunge als Christus mit der Dornenkrone, dem Pilatus Dieckmann ein »Ecce Homo!« (Joh 19,5) zuruft. Haben die Juden also doch Dieckmanns HErrn auf dem Gewissen? Sind die Deutschen also doch die besseren Juden?

Ich will nicht länger darüber nachdenken, sondern nur noch einmal daran erinnern, dass diese mörderischen Geschosse, sowohl das aktuell scharf gemachte als auch das in sein identisches Gegenteil umgeplättete, die Duplik, in der größten Wochenzeitung Deutschlands erschienen, in der Verantwortung der Gräfin und der Herren Jessen, Joffe, Naumann und Schmidt, die allesamt keine DDR-Traumata zu verarbeiten haben.

Außerdem in der neuen Ausgabe, Sabine Rückert über Otto Schily: »Er nimmt das Wort ðNahostÐ nicht in den Mund, wo seit Generationen ein arabisches Volk Steine gegen von Amerika bezahlte Panzer wirft und nicht von ungefähr die Wiege der Selbstmordattentäter steht. (...) Er sieht nicht, dass sich hier die Jugend des Orients zusammenballt, die gegen politische Supermächte anstürmt, die dem Islamismus mit der gleichen sinnstiftenden Leidenschaft anhängt wie die Jugend des Okzidents einst dem Marxismus, die in Osama bin Laden, diesem Fleisch gewordenen Heiligenbild, ihren Ché Guevara gefunden hat, ihren einsamen Helden, ihren Weltbekrieger, Welterretter, ihren Jesus Christus mit der Knarre. (...) Vom inneren Leid der Gudrun Ensslin zum Leid des Mohammed Atta kann er keine Brücke schlagen.«