Hauptsache, wir reden drüber

Die Bonner Afghanistan-Konferenz findet zu Ehren und zum Nutzen Deutschlands statt. Wenn sie stattfindet.

Genf, Wien, Berlin? Montag, Dienstag, irgendwann? Die Konferenz, auf der wichtige Entscheidungen über die Zukunft Afghanistans getroffen werden sollen, hat sich während der vergangenen Woche als ziemlich mobiles Gebilde erwiesen. Am letzten Mittwoch erschien die linksliberale französische Tageszeitung Libération mit der ironischen Schlagzeile »Berlin, capitale de l'Afghanistan«, und am Donnerstag meldete die Zeit: »In der kommenden Woche liegt Afghanistan an der Spree.« Dazwischen war entschieden worden, dass die Konferenz statt in einem Seitenflügel des Auswärtigen Amtes auf dem Bonner Petersberg stattfinden wird. Das dortige Gästehaus der Bundesregierung, so begründeten Berliner Diplomaten den Beschluss, biete eine bessere Sicherheitslage.

In Wirklichkeit wurde die Entscheidung für Bonn und gegen Berlin von der Uno durchgesetzt. Sie ist offiziell mit der Suche nach einer politischen Lösung für Afghanistan beauftragt, und ihre Vertreter, so stellte die Frankfurter Rundschau fest, »hatten keine Lust, sich die Schau der Konferenzeröffnung von einem Regierungschef oder Außenminister stehlen zu lassen«.

Am späten Freitagabend wurde dann gemeldet, der Beginn der Beratungen sei von Montag auf Dienstag verschoben worden. Es habe, so die Begründung, Probleme gegeben, alle Vertreter der verschiedenen afghanischen Fraktionen rechtzeitig nach Bonn zu bringen. Im Klartext heißt das, dass man innerhalb und zwischen den verfeindeten afghanischen Interessengruppen noch uneins war, wer nach Deutschland fahren darf. Burhanuddin Rabbani, der bis zum Sieg der Taliban 1996 Präsident des Landes war und bis heute von der Uno als solcher anerkannt ist, wird, obwohl er nominell die militärisch siegreiche Nordallianz anführt, nicht nach Bonn kommen. Er erwarte, so ließ er mitteilen, nicht viel von der dortigen Veranstaltung. Nachfolgende Verhandlungen müssten unbedingt in Afghanistan selbst stattfinden.

Die demonstrative und auf strategischem Kalkül beruhende Absage Rabbanis ändert allerdings am Zuschnitt der Bonner Runde nichts. Bis zum Redaktionsschluss deuteten die Planungen darauf hin, dass auf der Konferenz Figuren dominieren werden, die wegen Kriegs- und anderer Verbrechen eigentlich in Untersuchungshaft gehören. Die ehemals und bis heute weitgehend verfeindeten Führer und Kommandanten der heutigen Nordallianz haben nicht nur zahlreiche Massaker, Vergewaltigungen und Raubzüge des Bürgerkrieges von 1992 bis 1996 zu verantworten.

Seit dem von den US-Bombardements ermöglichten Siegeszug der Allianz reißen Berichte über erneute schwere Verbrechen nicht ab. Die Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, sagte Ende der vergangenen Woche, die Vereinten Nationen verfügten über deutliche Hinweise auf Massenmorde und Vergewaltigungen durch Mitglieder der Anti-Taliban-Verbände. Angesichts dieser Umstände ist es wenig erstaunlich, dass der Nordallianz-»Innenminister« Junis Kanuni das Bonner Treffen schon im Vorfeld als »historische Zusammenkunft« bezeichnete.

Während die Nordallianz wenigstens mit ihren militärischen Verbänden so etwas wie Verhandlungsgewicht in die Gespräche einbringen kann, verfügen die übrigen Teilnehmer - Funktionäre paschtunischer Stammesverbände sowie zwei aus Rom und Zypern anreisende Gruppen von Exil-Afghanen - über keinerlei Mandat. Ihre Ernennung zu Friedens-VIPs verdanken sie allein den Interessen der umliegenden Staaten und Regionalmächte sowie dem Einverständnis der USA.

Angesichts der zweifelhaften Legitimation der Teilnehmer und der außerordentlich diffusen Zielsetzungen der Konferenz, die irgendwie ein breit abgestütztes, multiethnisches und repräsentatives Regierungsbündnis für Kabul vorbereiten soll, macht sich unter außenpolitischen Experten zunehmend Skepsis breit. In der Frankfurter Rundschau kommentierte Karl Grobe: »Der afghanische Friede soll von Deutschland, vom Bonner Petersberg, ausgehen. Die Wahl des Konferenzlandes gilt manchen deutschen Diplomaten schon als Glanzstück ihres Berufes. Das wird sich zeigen. Es gibt wenig Anlass, aus der immerhin vorhandenen Hoffnung voranzuschreiten in den Zustand der Freudetrunkenheit.«

Solche Warnungen vor allzu großen Erwartungen an die Ergebnisse der Bonner Konferenz sind absolut deplatziert. Beim Petersberger Treffen geht es vorrangig weder um Afghanistan noch um Ergebnisse, die den dort lebenden Menschen die Existenz erträglicher machen. Diese Dinge, etwa humanitäre Hilfe und Aufbaupläne, werden auf anderen Konferenzen und an anderen Orten geregelt. Das Petersberg-Vorhaben ist vielmehr so arrangiert, dass dabei lauter Pluspunkte für Deutschland und Joseph Fischers Außenpolitik herausspringen. Bereits der amtliche Name der Konferenz, »Talks on Afghanistan«, steht für jene zwanglose Unverbindlichkeit, die die schiere Tatsache des Treffens und nicht etwa seinen Verlauf oder seine Inhalte zum weltpolitischen Ereignis macht. Insofern wäre das Unternehmen nicht einmal dann gescheitert, wenn es kurzfristig abgesagt würde.

Einen Teil des Nutzens, den die Berliner Außenpolitik aus der Konferenz zieht, beschrieb der Bonner Generalanzeiger am vergangenen Freitag unter der treffenden Überschrift »Wachsende Säuernis über Deutschlands Gewicht«: »Zunehmend vergrätzt registriert Frankreich Deutschlands wachsendes Gewicht im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Krieg.« In Frankreichs »politischer Kaste« nehme die Sorge zu, vom deutschen Nachbarn in die zweite Reihe verdrängt zu werden. Auf das wachsende weltpolitische Gewicht Deutschlands zielt auch die leicht übertriebene Formulierung der Welt, der Bonner Petersberg habe sich während der letzten Jahre und nicht zuletzt 1999 durch die erfolgreichen Verhandlungen über den Balkan zu einem »deutschen Camp David« entwickelt.

Bedeutenden Nutzen zieht die Berliner Außenpolitik auch aus der Repräsentation jener Eigenschaften, die Grünen-Chefin Claudia Roth am vergangenen Samstag mit Blick auf die eigene Partei als »hohe Friedenskompetenz« bezeichnete. In dieser Perspektive sind die USA eher für das Militärisch-Destruktive und die Deutschen eher für das Aufbauend-Konstruktive zuständig.

Neben vielen Hinweisen auf eine ähnliche Aufgabenteilung im Falle Südosteuropas fanden sich aber auch spezielle Gründe, die eine Berliner Zivilisationsoffensive für Afghanistan geradezu erzwingen. Während ein taz-Kommentator wahrheitswidrig feststellte, die USA zeigten »kein Interesse am Nachkriegs-Afghanistan«, bestätigte die Vergabe der Konferenz an Deutschland für Bundestagspräsident Wolfgang Thierse die »Anstrengungen der Bundesregierung, den Wiederaufbau Afghanistans, humanitäre Hilfe und die Errichtung eines demokratischen Regimes in den Mittelpunkt zu stellen«. In der Tat hatten Gerhard Schröder und der französische Präsident bereits »Wiederaufbaupläne« lanciert, bevor sich der erste Panzer der Nordallianz in Richtung Kabul bewegte.

Darüber hinaus sprachen weitere zivilisationshistorische Gründe dafür, die Bundesregierung mit der Ausrichtung der Konferenz zu betrauen. Deutschland, so die FAZ, sei einerseits »frei von dem Odium einer ehemaligen asiatischen Kolonialmacht«; außerdem hätten die Afghanen »offenbar das Gefühl, dass die Hauptstadt eines Landes, mit dem sie sich schon lange verbunden fühlen, dafür geeigneter sei als andere westliche Hauptstädte«. Unter dem jetzt im römischen Exil lebenden König Zahir Schah seien »im Zweiten Weltkrieg« verschiedene »gemeinsame deutsch-afghanische, vornehmlich gegen England gerichtete Pläne« sogar noch weiter »gediehen« als »im Ersten Weltkrieg«.

Neben der traditionell engen Kooperation zwischen Berlin und Kabul spielte sicherlich auch eine Rolle, dass die afghanische Konferenzdelegation aus Personengruppen besteht, mit denen man sich in Deutschland besonders gut auskennt. Die Zeit etwa beschrieb die Verhandlungspartner als »rund fünfzig Vertreter von Sippen und ethnischen Gruppen«. Kurz danach meldete allerdings die FAZ in großer Aufmachung, die Nordallianz wolle nach Bonn auch »zwei Frauen mitbringen«.