Anklage gegen Milosevic wegen Völkermord

Juristische Streubomben

Die Haager Chefanklägerin Carla del Ponte will Slobodan Milosevic auch wegen Völkermords in Bosnien-Herzegowina vor Gericht stellen.

Nun scheint es für Slobodan Milosevic richtig eng zu werden. Nachdem er Ende Juni wegen des Vorwurfs der Verbrechen gegen die Menschheit im Kosovo-Krieg nach Den Haag ausgeliefert worden ist, kommen regelmäßig neue Anklagen hinzu. Ende Oktober erweiterte die Chefanklägerin des Haager Kriegsverbrechertribunals, Carla del Ponte, ihre Anklage auf mutmaßliche Kriegsverbrechen Milosevics in Kroatien. Und nun muss sich der ehemalige Staatschef auch noch vorwerfen lassen, während des Bosnien-Krieges einen Völkermord verursacht zu haben.

Damit ist Milosevic der zweite jugoslawische Staatsbürger, der sich wegen Genozids vor Gericht verantworten muss. Im August dieses Jahres wurde der ehemalige serbische General Radislav Krstic zu 46 Jahren Haft wegen Völkermords verurteilt. Das Haager Tribunal hatte ihm nachgewiesen, unmittelbar für das grausame Massaker in Srebrenica verantwortlich gewesen zu sein, bei dem im Sommer 1995 zwischen 6 000 und 8 000 bosnische Muslime von serbischen Milizen unter dem Befehl von General Ratko Mladic ermordet worden waren.

Spätestens seit dem Urteilsspruch über Krstic war absehbar, dass auch Slobodan Milosevic wegen des Bosnien-Krieges zur Verantwortung gezogen würde. Schließlich konnte es sich die Anklage in Den Haag nicht leisten, den vergleichsweise rangniedrigen Kommandeur Krstic für die nächsten Jahrzehnte ins Gefängnis zu bringen und Milosevic in dieser Angelegenheit nicht zu belangen. Dabei folgt die Anklage einer eigenen Logik. Die Maxime des Tribunals lautet: Das ehemalige Jugoslawien ist ein gigantischer Tatort von Slobodan Milosevic, und sämtliche Kriegsverbrechen, die in den letzten neun Jahren auf diesem Gebiet von serbischer Seite begangen worden sein sollen, müssen in seinem Büro ausgetüftelt worden sein.

So gab sich Carla del Ponte dieses Mal bei der Ausarbeitung ihrer Anklageschrift auch nicht allzu viel Mühe. Sie umfasst karge 39 Seiten, und del Ponte beschränkte sich darauf, verschiedene Orte in Bosnien aufzulisten, in denen Massaker an Muslimen und Kroaten begangen wurden. Pauschal wird Milosevic in jedem der 29 Fälle vorgeworfen, er habe diese Massenmorde, allen voran den in Srebrenica, »gemeinsam mit anderen Personen« zu verantworten.

Tatsächlich liest sich die Anklageschrift weniger wie ein juristisches Werk, sondern eher wie ein historischer Abriss der zweifellos grauenhaften Ereignisse in diesem Krieg. Milosevics Verantwortung wird dabei einzig aus seiner damaligen Funktion als jugoslawischer Präsident abgeleitet.

Recht nachsichtig scheint der Vorsitzende Richter Richard May mit der Chefanklägerin zu sein. Er räumte ihr ein, »zusätzliches Material beizubringen und ihre Anklage im Bedarfsfall zu modifizieren«. Das ist eine noble Geste, zugleich aber ein Indiz dafür, dass Carla del Ponte unter Zeitdruck steht. Denn schon Anfang Februar 2002 soll der eigentliche Prozess gegen den in Scheveningen einsitzenden Untersuchungshäftling Milosevic beginnen.

Ausgerechnet im Fall Bosniens mutet die Völkermordanklage jedoch ziemlich seltsam an. Immerhin war Milosevic in den Jahren des Bosnien-Krieges zumindest öffentlich immer bemüht, sich von den bosnisch-serbischen mutmaßlichen Kriegsverbrechern Radovan Karadzic und Ratko Mladic zu distanzieren. Im Jahre 1996 soll er dem Westen sogar angeboten haben, die beiden auszuliefern.

Auch militärische Unterstützung Jugoslawiens erhielten die Milizen in der serbischen Republik Bosniens, der Republika Srpska, tatsächlich nur zu Beginn des Krieges. Danach hielt sich Milosevic unübersehbar zurück. Deshalb wird Carla del Ponte wohl enorme Schwierigkeiten haben, juristisch exakt zu beweisen, dass am Ende der Befehlskette für sämtliche in Bosnien begangenen Kriegsverbrechen Slobodan Milosevic stand. Warum also lässt sie sich auf ein derart gewagtes Abenteuer ein? Offenbar hat sie inzwischen ihre Strategie gewechselt.

Logisch wäre es gewesen, Milosevic wegen Völkermordes im Kosovo anzuklagen und nicht bloß wegen einzelner Kriegsverbrechen. Denn immerhin wurde der Krieg im Kosovo von der regulären Armee und den regulären Polizeieinheiten Jugoslawiens geführt. Dass es nicht zu einer Völkermordanklage kam, lässt auf die in den meisten Fällen bislang erfolglose Recherche der Ermittler schließen.

So ist del Ponte gezwungen, Milosevic mit juristischen Streubomben einzudecken, in der Hoffnung, dass schon irgendetwas hängen bleiben wird, auch wenn die konkreten Anklagepunkte in vielen Fällen nicht haltbar sein werden. Die Schweizerin hat bereits angekündigt, alle drei Anklagen in einem Prozess zusammenzufassen. Das ist eine Taktik, die aufgehen könnte, denn an Belastungszeugen gegen Milosevic mangelt es nicht, und dass der Mann ganz bestimmt nicht ein Opfer der ungünstigen Umstände war und von nichts wusste, ist ebenfalls klar.

Mit der Zusammenfassung aller Anklagen wegen möglicher Kriegsverbrechen in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und im Kosovo wird zugleich der Versuch unternommen, ein politisches Exempel zu statuieren. So kann leicht unterstellt werden, Milosevic sei der Autor eines Generalplanes zur Zerstückelung Jugoslawiens und serbischer Hegemoniebestrebungen gewesen. Das wird auch in der Anklageschrift deutlich, die Milosevic etwa unterstellt, »am oder rund um den 22. Oktober 1991« für einen »einheitlichen serbischen Staat« plädiert zu haben, der »von Belgrad, Serbien, aus regiert wird«. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit plädierte Milosevic für ein solches Konzept und wehrte sich ganz gewiss nicht gegen eine »Serbisierung« Jugoslawiens.

Das mag ein politischer Fehler gewesen sein und tatsächlich ein wesentlicher Faktor für das Ende des alten Jugoslawien. Daraus jedoch eine Anklage zu einer so schweren Tat wie Völkermord zu konstruieren, ist juristisch mehr als fragwürdig. Außerdem läuft del Ponte damit auch Gefahr, über politische Deals jener Zeit zu stolpern, die ganz sicher nicht zum Gegenstand eines öffentlichen Verfahrens werden sollten.

Auch die damals nicht unbedingt transparenten und seriösen westlichen Vermittlungsversuche und die seltsamen Teilungspläne für Bosnien könnten so zur Sprache kommen. Besonders spannend wird der Prozess wahrscheinlich, wenn das Massaker von Srebrenica zur Verhandlung kommt. Denn dann wird auch die unrühmliche Rolle der niederländischen Uno-Blauhelmtruppen erneut aufgerollt werden müssen, die sich allzu kooperativ mit Ratko Mladic zeigten, ihm und seinen Soldaten den Einmarsch in die Uno-Schutzzone erlaubten und damit die Ermordung Tausender Zivilisten ermöglichten.

Wäre das Tribunal kein UN-Gremium, so läge wohl der Gedanke nahe, dass die unmittelbare und nur auf Srebrenica bezogene Verantwortung für die dortigen Geschehnisse die Uno-Truppen wohl in gleichem Maße zu tragen haben wie Slobodan Milosevic. Die aber stehen nicht vor Gericht.