Parteitag der Grünen in Rostock

Kriech und Frieden

In Rostock beschlossen 700 Grüne den Wandel zur »militärkritischen Partei mit hoher Friedenskompetenz«. Grund genug für die Parteilinke, weiter für ihre Positionen zu kämpfen.

Ilka hat es getan, Jutta hat es getan und Sarah wollte es am Montag auch tun. Hans-Christian hingegen konnte sich nie dazu durchringen. Warum, erklärte Ströbele in der vergangenen Woche der taz. »Weil ich mich entschlossen habe, innerhalb der Grünen weitgehend und konsequent meine Position zur Geltung zu bringen. Ich bin ja nicht allein. Sonst wäre ich schon längst weg.«

Vielleicht liegt das ja daran, dass Ströbele schon so lange dabei ist. Auf eine Hand voll junge antimilitaristische MitstreiterInnen wird der Berliner Bundestagsabgeordnete nach dem Parteitag in Rostock trotzdem verzichten müssen. »Und tschüss - aufrichtige Grüne verlassen die Partei« prangte es am Wochenende von einem Plakat gegenüber der Rednertribüne in der hässlichen Stadthalle. Doch mehr als ein Dutzend Parteilinke sind es nicht, die »nun wirklich nicht mehr« mitmachen wollen, darunter auch Sarah von der Grünen Jugend München.

Wieder einmal nicht. Kein Wort war am Wochenende zu hören von jenen Delegierten, die zuvor mit dem Austritt kompletter Kreisverbände gedroht hatten. Keiner warf der Parteispitze »Erpressung« vor, weil sie die Koalitionsaussage an die Zustimmung zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan koppelte. Mit diesem Vorwurf hatte Winfried Hermann vor zwei Wochen den Bundeskanzler für das gleiche politische Prozedere bedacht. Gemeinsam mit Ströbele, Annelie Buntenbach und Christian Simmert stimmte er deshalb am 16. November im Bundestag gegen Gerhard Schröder. In Rostock hielt Hermann nicht einmal eine Rede. Und aus der Partei austreten will er ebenso wenig wie Ströbele.

Dabei hat die bloße Drohung mit dem Austritt die zerstrittenen Grünen in den letzten 20 Jahren immer wieder aufs Neue zusammengeführt. Wie kein anderes politisches Ritual band es Fundis und Realos nach heftigem Streit zumindest organisatorisch wieder aneinander. Nach dem Austritt der Gruppe um Jutta Ditfurth und Thomas Ebermann 1990/91 begleitete das heute abgenutzte Instrument die schleichende Aussöhnung der verbliebenen kritischen Grünen mit der Macht. Die Grenzen zwischen den Parteilinken und der Parteiführung verlaufen inzwischen schon lange nicht mehr entlang der Frage von Regierungsbeteiligung oder Opposition.

Weil es zu den prophezeiten Massenaustritten mangels Masse ohnehin nie kommen konnte, hat sich der Zustand der regierungskritischen Strömung seit dem Amtsantritt von Rot-Grün personell kaum verändert. Die Gründung von Basisgrün - einem organisatorischen Auffangbecken für ausgetretene sowie frustrierte Mitglieder - nach dem Bielefelder Kriegsparteitag 1999 ist vielleicht der beste Ausdruck der strategischen Ausweglosigkeit der grünen AntimilitaristInnen. Auch in Rostock waren es nicht mehr als 200 Parteilinke, die ihr Vorgehen gegen den Vorstand am Freitagabend im Intercity-Hotel der Stadt aufeinander abstimmen wollten.

Genutzt hat es bekanntlich nichts. Keiner der kriegskritischen Anträge schaffte es in die Endabstimmung, die Delegierten entschieden sich für die delikate Wahl zwischen entschiedenster Zustimmung zum Kurs der Bundesregierung (Antrag P 44 - Ralf Fücks u.a.) und entschiedener Zustimmung (Antrag P 01 - Bundesvorstand). Am Ende siegte der Antrag des Vorstandes, der die real existierende Kriegspartei mit einem Prädikat versieht, das argumentatorisch wirklich keinen Raum mehr lässt für Parteiaustritte. »Bündnis 90/Die Grünen bleiben eine militärkritische Partei mit hoher Friedenskompetenz«, heißt es in dem Beschluss, der Rot-Grün zumindest vorerst vor dem Scheitern gerettet hat. Ende der Debatte: »Sind wir für oder gegen diesen Krieg - diese Frage stellt sich nicht«, verkündete die Vorsitzende Claudia Roth. Mit ihrem Ausspruch, »Wir sind und bleiben eine Antikriegspartei«, artikulierte sie in Rostock wieder einmal die neue alte Lebenslüge ihrer Partei.

Ob mit dem rhetorischen Festhalten am Dogma des politischen Pazifismus auch die Existenz der Grünen gesichert ist, wird sich wohl erst bei den Bundestagswahlen in zehn Monaten erweisen. Aufschlussreich war die Zusammenkunft von knapp 700 Delegierten aus einem anderen Grund. Die Entschlossenheit, mit der sie ihre Rolle als Ministerwahlverein annahmen, sagt mehr aus über die viel beschworene Streitkultur der einstigen Protestpartei als die in Rostock unentwegt vorgetragene Beteuerung, ohne die Grünen wäre die Republik heute eine andere. Die Tatsache, dass es dabei in erster Linie um das Absegnen der rot-grünen Außenpolitik ging, macht die Angelegenheit nicht besser.

Im Gegenteil. Sah sich Joseph Fischer vor zwei Jahren noch veranlasst, den deutschen Einsatz im Kosovo-Krieg mit einem neuen Faschismus in Serbien zu begründen - »Ich stehe auf zwei Grundsätzen: Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz«, erklärte er auf dem Bielefelder Himmelfahrtsparteitag -, genügten dieses Mal zwei Zwischenrufe, um die Delegierten fast geschlossen auf die Seite des Außenministers zu ziehen. »Es ist doch so was von daneben, wenn das euer Beitrag ist«, kanzelte er eine Frau ab, die mehrfach »Wollt ihr den totalen Krieg?« gerufen hatte. Als ein Mitglied des Hamburger Landesverbandes »1938« brüllte, erntete Fischer für seine Erwiderung Beifall: »Wie kann man 1938 so verharmlosen, dass man es mit den heutigen Verhältnissen vergleicht? Was für eine Geschichtsvergessenheit ist das. Ich würde mich schämen an deiner Stelle.«

Fischer verwies in Rostock auf die Balkan-Kriege als politischen Wendepunkt für seine Zustimmung zu begrenztem Einsatz von Militär. Dabei rüttelte er ebenso wenig wie Roth am pazifistischen Mythos der Partei. »Die Grünen sind gewaltfrei, und ich mit meiner Vergangenheit muss es besonders sein.« Nichts sei schwieriger für Grüne als »Politik unter Bedingungen des Krieges zu formulieren«. Kerstin Müller hatte zuvor die historische Zäsur, die der Bundestagsbeschluss zur Bereitstellung deutscher Soldaten bedeutet, ebenfalls mit Verweis auf das Massaker von Srebrenica 1995 begründet, das schon in Fischers Rechtfertigung des Kosovo-Krieges 1999 einen zentralen Platz einnahm.

Nicht ganz zu Unrecht bezeichnete Daniel Cohn-Bendit das Votum für den Afghanistan-Einsatz als »historische Abstimmung, die endlich mal Klarheit geschaffen hat«. Was er unter Klarheit versteht, hatte er mit seinem Plädoyer für Nato-Schläge gegen Stellungen der bosnischen Serben schon 1993 klar gemacht. Als erster Grüner attackierte Cohn-Bendit damals die antimilitaristische Tradition der Partei. Nach dem Massaker von Srebrenica schwenkte Fischer auf den Kurs Cohn-Bendits ein - der Anfang vom Ende der Antikriegspartei Bündnis 90/Die Grünen war gemacht. Die Parteitage von Magdeburg 1997 und Bielefeld 1999 segneten die Vorgaben ihrer Vormänner lediglich ab.

Und jedesmal war das Gejammer der Parteilinken groß. Ihren intellektuellen Tiefpunkt aber erreichte die Bewegung, als ihre acht parlamentarischen Repräsentanten vor zwei Wochen das gemeinsame Vorgehen bei der Vertrauensfrage festlegten. Die Begründung lieferte der Abgeordnete Christian Simmert. »Die vier aus der Gruppe der acht, die mit Ja gestimmt haben, haben auch für diejenigen gestimmt, die mit Nein stimmen, und umgekehrt.« »Das ist in gewisser Weise schizophren«, kommentierte Ströbele den Vorgang.

Wem das nicht reicht, dem sei als Antwort auf die Frage, weshalb Linke bei den Grünen nichts verloren haben, die Europaparlamentarierin Ilka Schröder empfohlen. »Wer sicherstellen will, dass Deutschland weiterhin Kriege führen kann, sollte 2002 unbedingt die Grünen unterstützen«, sagte sie schon vor zwei Jahren. Ihr Parteiaustritt folgte im September dieses Jahres. Gemeinsam mit den PDS-Abgeordneten André Brie und Hans Modrow sitzt sie im Europaparlament jetzt in der Fraktion der Vereinigten Linken.

Brie gehört übrigens zu der Gruppe in der PDS, die vor anderthalb Jahren auf dem PDS-Parteitag in Münster eine Zustimmung der Basis zu Uno-geführten Militäreinsätzen erreichen wollte. Mal sehen, ob Ilka Schröder mit dem »pazifistischen Opportunismus« (Fischer) der demokratischen Sozialisten besser zurecht kommen wird als mit dem des neuen Grünen-Fraktionsvorsitzenden im Europaparlament. Der heißt nämlich Daniel Cohn-Bendit.