Auf No Angels folgen Bro’sis

Popstars stinken nicht

Sie sind nicht so sauber wie der Prototyp, aber auch nicht schmutzig. Auf No Angels folgen Bro'sis.

Es war eine mehr oder weniger spannende Frage, ob sich der Nummer-Eins-Erfolg der Mädchengruppe No Angels mit der in der zweiten Staffel von »Popstars« gegründeten Band wiederholen ließ. Die »Big Brother«-Erfahrung sprach dagegen, die Kandidaten der zweiten und dritten Auflage waren kaum mehr vermarktbar gewesen. Jetzt ist das Nachfolgemodell der No Angels da, es heißt Bro'sis, damit auch jeder kapiert, dass in dieser Gruppe Jungs und Mädchen singen, und niemand fand diesen Namen sonderlich originell, aber Extravaganz ist auch das Letzte, was ein auf Funktionalität und Turboerfolg programmiertes Produkt gebrauchen kann. Kleine schmutzige Geschichten, die sich so ähnlich anhören wie Skandale, schon. Und es gibt sie bereits. Wobei schwer vorstellbar ist, dass ausgerechnet der grundehrliche Sender RTL II bei einem krummen Ding mitgemacht haben soll, wie es in verschiedenen Boulevard-Magazinen angedeutet wurde.

In der zweiten Staffel der Reality-Serie »Popstars« sei es gar nicht real zugegangen, sondern ziemlich manipulativ, behauptete zum Beispiel das ausgestiegene Jury-Mitglied Noah. War die Band schon gemacht, bevor sie öffentlich gecastet wurde? Die Single gepresst, bevor das Debüt vor Kameras geprobt wurde? Das House-Stück mit der Britney Spears-Telefonsex-Nummer und I-Believe-I-Can-Fly-oder-Irgendwas-Anderes stürmt jedenfalls los, und erhärten ließen sich die Vorwürfe bislang nicht. 11 000 Jungs und Mädchen hatten sich beworben, vorgetanzt und vorgesungen, aber nicht alle sollen die gleichen Chancen gehabt haben, über die verschiedenen Stationen - Casting, Recall, Workshop, Studio - auch tatsächlich bis in die Band vorzudringen. Gott sei Dank. Niemand hätte den übergewichtigen jungen Mann mit der schönen Gesangsstimme, der es bis in den Workshop auf Ibiza schaffte, dort aber partout nicht tanzen wollte, in eine Choreografie zwingen können.

Drin sind der Britpop-Charme versprühende Ross, der Womanizer-Beauftragte Giovanni, Indira alias Verena, die ebenso hübsche wie verhuschte Hila, die beim Training immer wieder ermahnt werden musste, sich nicht wie eine Ameise aufzuführen, und die beiden Rapper Faiz und Shaham. Faiz ist der eher unaufregende bärige Typ, Shaham ist die Lucy der Gruppe (Lucy ist die rothaarige No Angels-Sängerin mit der dreckigen Lache).

Absprachen? Man kennt dieses Phänomen von der Miss-Wahlen-Berichterstattung, wo unter hunderten, einander wie ein Ei dem anderen gleichenden Mädchen am Ende immer ausgerechnet diejenige gewinnt, die die Kamera schon die ganze Zeit im Visier hatte und die vor dem Jury-Entscheid intensiv zu ihren Hobbies, Eltern und Schulleistungen befragt worden war. So als habe es da bei dem selbstverständlich unabhängigen Berichterstatter schon eine gewisse Vorahnung ihres künftigen Sieges gegeben, und am Ende ist auch für den Fernsehzuschauer klar, dass nur dieses eine Mädchen die Gewinnerin sein konnte, schließlich war sie einem ja schon die ganze Zeit irgendwie aufgefallen.

Eine gewisse Vorahnung konnte man in Bezug auf Shahams Chancen, Popstar zu werden, haben, als der mittlerweile in der Favoritengruppe angekommene Rapper plötzlich begann, sich einen merkwürdigen Wäsche-Wechsel-Tick zuzulegen, und demonstrativ frisches Bettzeug durch den Container schleppte, in dem die verbliebenen Kandidaten untergebracht waren und unter strenger Beobachtung der beiden Juroren sowie der Kamera der Produktionsfirma Tresor lebten und arbeiteten. Shaham gestand in penetrant keimfreier Studioumgebung, dass er in Hygieneangelegenheiten äußerst pingelig sei und deshalb zum ständigen Wäschewechseln neige. Ein schmutziger Look sei modisch völlig okay, aber Sauberkeit sei für ihn nun mal extrem wichtig.

Dieses Bekenntnis aus Shahams Mund wirkte einigermaßen verblüffend, geradezu wesensfremd. Bislang war Shaham vor allem dadurch aufgefallen, dass er auf das Chorus Line-kompatible Outfit, mit dem sich die anderen Kandidaten in Bühnenstimmung brachten, verzichtete und stattdessen in einer möglicherweise khaki-farbigen Hose, dazu passendem Anglerhut und mit nacktem schwitzigem und tätowiertem Oberkörper unterwegs war. Ich war mir sicher, dass er stinkt und dass diese Eigenschaft der Teenidol-Karriere noch ernsthaft im Wege stehen könnte, obwohl die Jury immer wieder betonte, dass er ein unglaublich begabter Rapper sei und ihm dabei tief in die blutunterlaufenen Augen sah.

Kaum war die Angelegenheit bereinigt und ein für alle Mal geklärt, dass Shaham nicht stinkt, sondern sich nur unglaublich viel Mühe gibt, so auszusehen, als ob er stinke, tauchte schon ein neues Image-Problem auf, das einer intensiven Aufarbeitung bedurfte. Shaham und Faiz waren »wegen ðPrügeleienÐ von Medien und Fans ins kritische Licht gerückt« (RTL II-Homepage) worden. Gruppenberatung mit betroffenen Mienen, bei der die Jungs nur bedingt Rebellenglam ausstrahlende Taten gestanden. Shaham hat einen Bahnpolizisten auf die Mütze gehauen, Faiz stand bei einer Prügelei nur »dabei«, aber immerhin so dicht, dass der Staatsanwalt daraus falsche Schlüsse zog. Für die nötige Street Credibility, die die Band imagemäßig vom sauberen Prototyp No Angels unterscheiden soll, reichte es gerade. Da beide bereuen und sich die Band irgendwie auch als Resozialisierungsprojekt begreift, erklärte Indira, dass »nur die Gegenwart sowie die Zukunft - nicht die Vergangenheit und was gewesen ist« zähle, und die Sache ist in Ordnung. Sie scheint auch tatsächlich in Ordnung zu sein. Denn wer beispielsweise den Auftritt der sechs Nachwuchsstars bei Stefan Raab gesehen und gehört hat, wie »I believe« live gesungen klingt, wird kaum mehr den Verdacht hegen, die Band habe schon seit längerem heimlich geprobt. »Popstars« ist eine im Vergleich zum Grand Prix genannten Schurkentreffen hochseriöse Veranstaltung.