Opiumanbau in Afghanistan

Schlaf, Möhnchen, schlaf!

Afghanistan war jahrelang die Nummer eins im Opiumanbau, nicht zuletzt wegen der Nordallianz. Nun zieht Kolumbien nach.

In den Provinzen Takhar und Badakhshan im Norden Afghanistans an der Grenze zu Tadschikistan liegt die Schatzkammer der Nordallianz. Hier ist die Saat längst ausgebracht. Es ist Schlafmohn, den die Bergbauern gesät haben, und in diesem Jahr haben sie ihre Anbauflächen noch einmal aufgestockt, um im Frühjahr eine gute Ernte einzufahren.

In die Bresche sind sie gesprungen und reiben sich die Hände, denn die Konkurrenz im Süden des Landes ist verhindert. Am 27. Juli des vergangenen Jahres verbot der Talibanführer Mullah Omar den Anbau von Mohn im Talibangebiet, und seine Gefolgsleute begannen, die ersten Felder zu roden. Mohnanbau, so der Talibanchef, verstoße gegen die Prinzipien des Islam. Internationalen Beifall erntete Omar für die neue Politik der Taliban, die bis dahin den Mohnanbau toleriert und sich mit dessen Besteuerung auch eine Finanzquelle erschlossen hatten.

UN-Generalsekretär Kofi Annan würdigte den Rückgang der Anbauflächen in Afghanistan um rund 90 Prozent, und Pino Arlacchi, der Chef des UN-Antidrogenprogramms (UNDCP), sah einen Wendepunkt erreicht. Mit dem von Satellitenaufnahmen dokumentierten Rückgang der Anbaufläche entstand die Hoffnung, dass es zu einer ersten echten Marktkrise kommen werde, wenn das Verbot ein oder zwei Jahre aufrechterhalten würde und die Lagerbestände zur Neige gingen. Doch seit die Taliban sich im Krieg mit den USA befinden, haben die Bauern die Gunst der Stunde genutzt, um die Mohnsamen noch schnell vor Wintereinbruch unter die Erde zu bringen.

Von Seiten der Nordallianz haben die Bauern keinen Ärger zu erwarten. Für deren Kommandeure ist der Mohnanbau und die Veredelung und Vermarktung des Rohopiums die wichtigste Einnahmequelle. Zahlreiche Kommandeure beteiligen sich am Drogenschmuggel, sie haben Transportnetze und Labors eingerichtet und denken gar nicht daran, ihre wirtschaftliche Basis aufzugeben. Das haben die USA bislang toleriert und das Problem vertagt.

In Kriegszeiten gelten andere Prioritäten, und dafür ist Afghanistan das beste Beispiel; denn erst im Krieg gegen die Sowjetunion stieg Afghanistan langsam in den Kreis der großen Opiumproduzenten auf. Mit der Verwüstung großer Anbaugebiete durch die sowjetischen Truppen standen die Kleinbauern vor einem Dilemma. Da die Bewässerungsanlagen größtenteils zerstört wurden, lohnte sich der Anbau von Nahrungsmitteln kaum mehr. Zudem forderten die Mujaheddinkommandanten den Tribut für ihren Kampf von den Bauern. Also wurde der widerstandsfähige und anspruchslose Schlafmohn ausgesät, der obendrein fünfmal mehr als Weizen einbringt.

Auf traditionellen Schmuggelrouten wurde das Rohopium ins Ausland gebracht, später auch im Inland in kleinen Labors zu Heroin verarbeitet, ohne dass die USA sich daran störten. Militärische Lieferungen, unter anderem Stinger-Raketen, wurden auf den gleichen Routen ins Land geschleust, auf denen Drogenpakete hinaus gelangten. 1989 war Afghanistan mit Unterstützung der USA zu einer Opium-Großmacht aufgestiegen und hatte dem Goldenen Dreieck zwischen Thailand, Laos und Myanmar den Rang abgelaufen.

Mit dem Abzug der Sowjetunion und den Machtkämpfen unter den Mujaheddinkommandanten verloren die USA das Interesse wieder. Lose Kontakte zu Kommandanten bestanden zwar weiter, aber das Pentagon und die Geheimdienste überließen das Land sich selbst und den nationalen wie internationalen Drogenexperten. Im Bericht des State Department taucht Afghanistan alljährlich als der weltweit größte Opiumproduzent auf: 72 Prozent des Rohopiums wurden demzufolge im vergangenen Jahr in Afghanistan produziert.

In diesem Jahr kam es hingegen nach Schätzungen des UNDCP zu einem spektakulären Einbruch wegen des Anbauverbots von Mullah Omar. Nur etwa 200 Tonnen Rohopium wurden produziert, fast ausschließlich auf dem Terrain der Nordallianz, womit Afghanistan seine Führungsposition an Myanmar abgab.

Doch zu Engpässen auf dem internationalen Markt dürfte es vorerst nicht kommen, denn die Depots in Afghanistan sind gut gefüllt. Nur ein Teil der Vorjahresernte, die vom UNDCP auf 3 300 Tonnen taxiert wurde, kam auf den internationalen Markt. Das Gros, Schätzungen zufolge rund 60 Prozent, landete in den Lagern von Kommandeuren, Händlern, Bauern und ganz normalen Afghanen. Ersparnisse werden dort gewöhnlich in Rohopium und nicht bei Banken angelegt. Viele dieser Opiumlager werden angesichts der unsicheren Lage derzeit geräumt. Das Angebot übersteigt die Nachfrage, und der Preis für Rohopium ist um die Hälfte gefallen. 90 Dollar kostet das Kilo derzeit im pakistanischen Peshawar, und europäische Experten rechnen mit einer Drogenschwemme.

Wie groß die Lagerbestände sind, ist unklar, aber zu Engpässen wird es voraussichtlich erst kommen, wenn mehrere Ernten in Afghanistan ausfallen. Dazu müssten die USA allerdings Druck auf die verbündete Nordallianz ausüben, was derzeit wenig wahrscheinlich ist. Noch brauchen sie die heterogene Allianz, die große Teile des Landes kontrolliert und die in eine neue afghanische Regierung eingebunden werden soll. Und solange eine derartige Regierung nicht zustande gekommen ist, werden die Kommandanten weiter für sich sorgen. Ein Indiz dafür ist, dass bisher relativ wenige Mohnfelder aus der Luft vernichtet worden sind, was für die US-Luftwaffe kein Problem wäre. Also wird allem Anschein nach Rücksicht auf die lukrativen Geschäfte der Nordallianz genommen.

Erst wenn die Militäroperationen abgeschlossen sind und eine neue Regierung gebildet ist, will Washington den »Antidrogenkrieg« in Afghanistan wieder aufnehmen, erklärte ein Pentagonsprecher gegenüber der New Yorker Zeitung Village Voice. Dann sollen angeblich 300 Millionen US-Dollar in Antidrogenprogramme investiert werden. Das UNDCP erhielt im vergangenen Jahr hingegen mickrige 1,5 Millionen Dollar von den USA für ihre Arbeit in Afghanistan.

Andernorts laufen die Vorbereitungen, um den potenziellen Ausfall der Nummer eins bei der Rohopiumproduktion auszugleichen. Pakistanische Bauern im Grenzgebiet zu Afghanistan werden über die Schmuggelpfade mit Saatgut versorgt, und auch im Goldenen Dreieck könnte die Produktion ausgedehnt werden.

Doch auch außerhalb der traditionellen Anbauregionen wird mittlerweile Schlafmohn angebaut. US-Spezialisten befürchten, dass sich die Opium- und Heroinproduktion von Afghanistan nach Kolumbien verlagern könne, erklärte der Chef der kolumbianischen Antidrogenpolizei, General Gustavo Socha, in einem Interview mit der Tageszeitung El Tiempo Anfang Oktober. Drei neue Antidrogenbasen seien im Nordwesten und im Südwesten am Entstehen, so Socha. Sie dienen allerdings auch der Bekämpfung der kolumbianischen Guerilla.

Im Südwesten des Landes, im Departamento Cauca, liegt auch der Arbeitsplatz von Ulrich Künzel, einem Drogenexperten der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Künzel leitete bis Mitte des Jahres ein Projekt, um Kleinbauern beim Anbau alternativer Produkte zu beraten. Die Region ist eines der wichtigsten Drogenanbaugebiete des Landes. Nicht nur Koka, sondern auch Schlafmohn wird dort seit Mitte der neunziger Jahre gepflanzt.

»Die Beratung der Bauern erfolgt durch Spezialisten aus Afghanistan. Das hat den Charakter einer funktionierenden Agrarberatung«, sagt Künzel. Professionell, mit Schädlingsbekämpfungsmitteln im Koffer, würden die Afghanen auftreten und alles Nötige pünktlich liefern. Das hat dazu geführt, dass Kolumbien mittlerweile mehr Heroin als Pakistan oder Thailand exportiert und 70 Prozent des US-Marktes beliefert. Acht Tonnen Heroin wurden nach Schätzungen des State Department im letzten Jahr produziert, auf rund 4 000 Hektar wurde die Anbaufläche geschätzt.

Dem korrespondiert die im ersten Halbjahr 2001 sprunghaft gestiegene Beschlagnahmequote der kolumbianischen Polizei. Bisher wurden 25 Prozent mehr Heroin konfisziert als im ganzen letzten Jahr, vermutlich, weil die Anbauflächen aufgestockt wurden. Sie sind jedoch wesentlich schwieriger zu finden als die Kokafelder, da sie oftmals nur die Größe eines Schrebergartens haben und in den nebelverhangenen Bergen angelegt werden. Von den Satelliten sind sie nur bei klarer Sicht auszumachen, und die ist selten.

Neue Strategien seien nötig, um der zunehmenden Bedeutung Kolumbiens als Heroinproduzent Rechnung zu tragen, mahnt Leo Arreguin, der Leiter der Drug Enforcement Administration in Bogotá. Sein Vorgesetzter in den USA, Asa Hutchinson, geht zudem davon aus, dass Kolumbien als Umschlagplatz für Heroin für die wichtigsten Opiumhändler der Welt nach dem möglichen Ausfall Afghanistans interessant werden könnte. Das berichtete zumindest Kolumbiens oberster Antidrogenpolizist Socha im El Tiempo-Interview.