Sans Papiers

Zwangsarbeit fürs Bleiberecht

In Frankreich mehren sich die Proteste der Sans Papiers- Bewegung gegen die selektive Anerkennungspraxis der Regierung.

Die Polizei hat den Boulevard nicht absperren lassen, der von der Pariser Place de Clichy abgeht. Dabei war die Demonstration für die Rechte der Sans Papiers - wie sich die illegalisierten Immigranten in Frankreich nennen - vom vergangenen Samstag seit zwei Monaten angemeldet. Einige Zeit lang warten die rund 2 000 Teilnehmer auf beiden Seiten des Boulevards. Schließlich formieren sich die Migranten aber doch zu einem Demonstrationszug.

»Zehn Jahre Zwangsarbeit für eine Karte«, steht auf dem Transparent einer Gruppe der Sans Papiers. Sie spielt damit auf ein 1998 verabschiedetes Gesetz an, dem zufolge Migranten, die nachweisen können, seit zehn Jahren »illegal« im Land zu leben, unter Umständen einen Aufenthaltsstatus erhalten können. Eine andere Gruppe schreibt in einem Flugblatt: »Die Regierung weiß sehr gut, dass niemand zehn Jahre im Lande bleiben kann, ohne zu arbeiten. Das ist die Lüge der Regierung. Sie weiß, dass wir hier im Lande arbeiten, Sozialbeiträge bezahlen und keine Rechte geltend machen können. Aber offiziell tut sie, als ob wir nicht existierten.«

Im Mai 1997 hatte der damalige sozialistische Spitzenkandidat Lionel Jospin während des Wahlkampfes versprochen, den Sans Papiers einen legalen Status zu verleihen, wenn seine Partei die anstehenden Wahlen gewinnen sollte. Ferner stellte er in Aussicht, die repressiven Ausländergesetze abzuschaffen.

Das war eine Woche vor dem ersten Urnengang der Parlamentswahl, die damals die Niederlage der bürgerlichen Mehrheit Jacques Chiracs besiegelte und ihn zur fünfjährigen Koexistenz mit einer sozialistisch-kommunistisch-grünen Regierungskoalition zwang.

Am 24. Juni 1997 verkündete der linksnationalistische Innenminister Jean-Pierre Chevènement seinen Plan für die »Operation zur Legalisierung« der Sans Papiers, der ihnen unter bestimmten Bedingungen einen Aufenthaltsstatus in Frankreich verleihen sollte. Dabei handelte es sich um eine der ersten konkreten Maßnahmen der neuen Koalition, die die Wahlen vom 1. Juni gewonnen hatte. Dass diesem Aktionsfeld der Regierung eine hohe symbolische Bedeutung beigemessen wurde, lag vor allem daran, dass sich in der vorangegangenen Legislaturperiode eine breite Solidaritätsbewegung für die Rechte der Sans Papiers formiert hatte.

Doch die neue Regierung von Lionel Jospin propagierte rasch den »gesellschaftlichen Realismus« und verweigerte sich deshalb einer allgemeinen Legalisierung aller Immigranten ohne Aufenthaltsstatus, zumal mit dem neuen Innenminister Chevènement ein Garant für restriktive Positionen im Amt saß. Mit seiner ministeriellen Anweisung vom 24. Juni 1997, der im Mai 1998 das geänderte Einwanderungsrecht folgte, schlug er daher einen anderen Weg ein als die sozialistisch-kommunistische Regierungskoalition in den Jahren 1981 und 1982. Sie hatte allen illegalisierten Immigranten, die einen Antrag stellten - insgesamt taten dies 132 000 Personen - ein Recht auf gültige Aufenthaltspapiere zugesprochen.

Die Legalisierungsoperation von Chevènement sah stattdessen vor, die ersehnten Dokumente nur unter den Bedingungen einer Einzelfallprüfung zu erteilen, für die bestimmte Kriterien vorgesehen sind. Ein Problem dabei ist, dass die Präfekten der einzelnen Départements den Immigranten oft Schwierigkeiten bereiten, indem sie Beweise für die Anerkennung der zehnjährigen Aufenthaltsdauer verlangen, die für Migranten, die über Jahre illegalisiert gelebt, gewohnt und gearbeitet haben, oft schwer zu erbringen sind. Eine weitere Hürde stellt das Kriterium der »persönlichen und familiären Bande« in Frankreich dar, das vor allem für Ledige problematisch ist.

Mit ihrer selektiven Legalisierungspraxis ist es der Regierung jedoch mehr oder weniger erfolgreich gelungen, die verschiedenen Spektren ihrer Wählerbasis zufrieden zu stellen. Der eher links orientierte Teil der Gesellschaft ist zufrieden, weil seit dem Juni 1997 80 000 Menschen legalisiert wurden. Und der autoritär eingestellte Teil der Wählerschaft ist zufrieden, weil es auch zahlreiche Ablehnungen gegeben hat, insgesamt 63 000 im gleichen Zeitraum.

Zwar hat die Regierung zugesagt, die mit einem Antrag auf Legalisierung an die Behörden gelieferten Personendaten nicht zu benutzen, um nach Abschiebekandidaten zu fahnden. Doch das kann in der jetzigen Situation, die nach dem 11. September von einer deutlichen Ausweitung der Personenkontrollen geprägt ist, kaum beruhigen. So nahm die Belegung der Abschiebegefängnisse in den Wochen zwischen dem 11. September und dem 1. Oktober um durchschnittlich 40 Prozent zu.

Zugleich hat die differenzierte Behandlung die Sans Papiers-Bewegung spürbar geschwächt und teilweise zersplittert, da die Anerkennungspolitik je nach Département oft erheblich variiert. Seit etwa zwei Jahren werden die Kämpfe der Sans Papiers daher meist auf regionaler Ebene geführt. In den vergangenen Monaten fanden beispielsweise harte Auseinandersetzungen - mit Hungerstreiks, Besetzungen und nicht selten auch heftigen Polizeieinsätzen - in Lille und Nantes statt. Dort ging es darum, den örtlichen Sans Papiers-Gruppen das Recht auf ein Zentrum zu erkämpfen, in dem sie sich treffen können, nachdem die städtischen und staatlichen Behörden ihre Zusagen nicht eingehalten hatten.

Zugleich wird in Lyon, mit der Besetzung des Hôtel de Nice, seit Ende August eine neue Auseinandersetzung um die Legalisierung von 150 Immigranten geführt, viele von ihnen kommen aus Algerien und aus dem Kosovo. Seit Mitte November liegt der Justiz eine Klage zur Räumung des besetzten Hotels vor. Und seit vorletzter Woche befinden sich auch im nordfranzösischen Roubaix über 40 Sans Papiers im Hungerstreik.