Denn das Herz schlägt deutsch

Mit zwei von ihr in Auftrag gegebenen Studien begründet die PDS ihre endgültige Wendung zum Nationalismus.

Im ehemaligen Gebäude des Neuen Deutschland, in dem heute die Rosa-Luxemburg-Stiftung residiert, musste man zunächst an den Verkaufsschaltern einer Autovermietung vorbei, dann durch ein muffiges Treppenhaus in den ersten Stock und dort in einen Raum, der dringend einen neuen Anstrich braucht. Hier fand am Montag vergangener Woche eine Diskussionsrunde statt, zu der die PDS-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung geladen hatte. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sprach von einer »abgewohnten Herberge«. Das sollte wohl heißen, wenn sich die PDS schon ein so bedeutendes Thema sucht, soll sie es auch entsprechend präsentieren.

Denn das Thema lautete: Die Linke und die Nation. Und wie die Liste der Diskutanten zeigte, war bis auf Tilman Fichter, den ehemaligen SPD-Parteischulleiter und Vertreter des rechten Flügels seiner Partei, niemand eingeladen, der der PDS nicht nahe stand. Im Publikum saßen fast nur Männer, die meisten waren im Rentenalter. »Die Nation ist wohl hauptsächlich eine Männersache«, stellte die Moderatorin Irene Runge mit augenzwinkerndem Stammtischhumor fest.

Gabi Zimmer, die Bundesvorsitzende der PDS, war auch auf dem Podium die einzige Frau. Neben ihr und Fichter fanden sich dort der PDS-Fraktionsvorsitzende im sächsischen Landtag, Peter Porsch, und die beiden Wissenschaftler Ronald Lötzsch und Erhard Crome. Sie hatten im Auftrag der Stiftung zwei Studien über das Verhältnis der Linken zum Begriff der Nation verfasst. Diese Studien sollten die Grundlage der Diskussion bilden.

Nun hatte bereits die Ankündigung der Veranstaltung aufhorchen lassen. Sie sei hier in ihrer Gänze zitiert: »Überwindet die deutsche Linke ihre traditionellen Schwierigkeiten mit der Nation? Nach der Revolution von 1848/49 überließ sie das Nationale den Rechten; die Arbeiterbewegung pflegte dazu aufgrund ihrer antipreußischen Aversion und ihrer antibürgerlichen Perspektive ein überwiegend ablehnendes Verhältnis. Sie hoffte auf die Realisierung der von Marx und Engels im 'Manifest' vertretenen These, 'mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nation würde die feindliche Stellung gegeneinander fallen'. Seither behandeln linke sozialtheoretische Analysen die Nation als ein 'Stiefkind'. Auch beide Teile Deutschlands hatten nach 1945 Schwierigkeiten mit der Nation, unter Honecker apostrophierte die SED sogar die Herausbildung einer eigenständigen 'sozialistischen Nation' in der DDR. Die Herbst-Losung von 1989 'Wir sind ein Volk!' bestätigte das Gegenteil. Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands, die Festigung und Erweiterung der Europäischen Union sowie die Globalisierung ließ der Frage der Nation erneut Aufmerksamkeit zukommen, gerade auch für die Formulierung neuer, alternativer Politikansätze, wie sie die PDS für sich in Anspruch nimmt.«

Der Text formulierte bereits die Ziele des Testlaufs. Man wollte sich mit dem »Stiefkind« versöhnen. Seit Gabi Zimmer auf dem PDS-Parteitag im Herbst 2000 in Cottbus mit dem Spruch »Ich liebe Deutschland« eine Diskussion um die nationale Frage in Gang setzte, arbeitet man in der PDS daran, sich als eine Partei der Vaterlandsliebe zu beweisen. Hierfür waren die Studien von Lötzsch und Crome in Auftrag gegeben worden.

Die beiden Wissenschaftler machten an diesem Abend den Anfang und stellten ihre Untersuchungen vor. Da die Herrschenden Beherrschte wollten, die jedoch unbeherrschbar seien, wenn sie über Souveränität und Identität verfügten, brauche es in der Linken Identitätsbildung, meinte Crome. »Und die Nation, die auch so etwas wie Heimat ist, ist der Ort, daran zu arbeiten.« Crome sieht in der Charakterisierung der Arbeiterklasse als heimatlos den Sündenfall Marxens. Dieser Fehler müsse korrigiert werden.

Lötzsch, der Sprachwissenschaftler, ging anders an sein Thema heran, kam jedoch zum gleichen Ergebnis. Bei ihm sind es die Ethnien, die die Nation bilden. Die Linke müsse diese Gegebenheiten akzeptieren. »Der Nationalstaat ist mit seinem Volk identisch«, rief er ins Publikum.

Es ging also ziemlich rasch zur Sache an diesem Abend. Das Podium war einhellig der Meinung, dass die Nation wieder zu entdecken sei. Fichter, der immerhin empört feststellte, dass Lötzsch in seiner Studie auf die Juden und die Sinti und Roma in Deutschland nicht eingehe, forderte eine Erfolgsorientierung der Linken. Diese sei nur zu erlangen, wenn man von der Rechten lerne. Andernfalls bliebe man ohne »Gestaltungskraft«.

Gabi Zimmer dagegen, die ganz in der traditionellen Frauenrolle aufging, flehte darum, mithilfe der Nation die »Herzen und Hirne« der Dorfjugend erreichen zu dürfen. Sie kenne Umfragen, die gezeigt hätten, dass Jugendliche deutsch fühlten. Das dürfe man nicht ignorieren. Zudem könne man bei andauernder Ablehnung der Nation kein anderes Publikum als die Linke erreichen. Die PDS-Vorsitzende zeigte sich völlig zerrissen, sie konnte einfach nicht verstehen, dass überhaupt jemand etwas gegen die Nation vorbringt. Man müsse das Problem diskutieren und werde dies noch öfter tun. Porsch rundete das Bild ab. Er sah in den Anglizismen, die angeblich allerorten vorherrschten, eine Gefahr für die Kommunikation.

So sollten also, das war die einhellige Meinung, die Deutschen, das Deutsche und Deutschland stärker in der Politik der PDS - die hier fast durchweg als einzige Vertreterin der Linken gehandelt wurde - verankert werden. Auf Proteste aus dem Publikum wurde nicht eingegangen, entweder wurden sie von Runge abgewürgt oder gleich vom Publikum selbst. So wurde einem Zurufer aus dem antinationalen Spektrum der Satz entgegengehalten: »Wenn ein Sorbe die deutsche Staatsangehörigkeit hat, ist er noch lange kein Deutscher.«

Ähnlich sah das auch Lötzsch, der mit dem Gestus des Besserwissers betonte, dass die zugewanderten Türken und Kurden, selbst mit deutschem Pass, nun mal keine Deutschen sein wollten, er kenne da genügend Beispiele. Sollte sich das ändern, wäre die Nation natürlich auch für diese Leute offen. Crome dagegen betonte, dass die Europäische Union nicht verhindern werde, dass sich immer neue Nationalstaaten herausbildeten. Das habe man ja in den letzten Jahren gesehen. Und er empörte sich darüber, dass sich die Argumente des global agierenden Kapitals, der »Milliardäre«, ähnlich anhörten wie die der »so genannten Linken«, der Antinationalen.

Mit jeder Minute, die die Diskussion ohne Widerrede andauerte, wurde das Grinsen im Gesicht des dem Nationalbolschewismus zugeneigten Schriftleiters der Zeitschrift Kalaschnikow, Stefan Pribnow, breiter. Auch andere anwesende Neurechte freuten sich. Denn die PDS eilt ihnen zügig entgegen. In der Weise, wie auf der Veranstaltung gesprochen wurde, betreibt die Partei eine nationale Mythenbildung. Wie selbstverständlich wurde - ganz antiindividualistisch und antifreudianisch - behauptet, dass das »Eigene« existiere, das sich aus Kultur und Herkunft ergebe und es wurde einfach zur Tatsache erklärt, dass ein »nationales Bedürfnis« vorhanden sei. Immer wenn es dagegen Widerspruch gab, zeigten sich die Podiumsteilnehmer nicht bereit zu argumentieren. Warum auch, sie hatten ja genügend »Beispiele« für ihre Behauptungen.

Gleichfalls ignorierte man in der Runde völlig das vielfältige und stete Bemühen in der SPD, der KPD, der SED und in der anarchistischen Bewegung, das Nationale in ihrer Politik zu forcieren. Nein, man präsentierte sich auf dem Podium sogar noch als Tabubrecher, Noske hin und Ulbricht her.

Der israelische Theoretiker Zeev Sternhell aber hat in mehreren historischen Analysen gezeigt, dass eine linke Partei oder Bewegung, die vor allem ihre Gestaltungskraft, nicht aber die Stärke ihrer Theorie betont, oftmals das Nationale für sich entdecke, wenn ihre Politik zu scheitern drohe. Mit Hilfe des Nationalen wolle sie dann ihre Ziele erreichen, wofür sie allerdings ihre Politik umgestalten und entsprechend radikalisieren müsse. Von da an sei der Übergang zur faschistischen Bewegung oft fließend. Heute sucht eine ostdeutsche Volkspartei, die weiß, dass sie mit Regionalpolitik nicht alt werden kann, neue Wege, sich wichtig zu machen.