Zur Geschichte der CSU

Die Bayern kommen!

Übernimmt die CSU nun in Deutschland das Ruder? Ein Blick in die Geschichte zeigt: Was in Bayern klappt, funktioniert auf Bundesebene noch lange nicht.

Roland Koch (CDU) macht sich Sorgen: Gebe man so manchem in der CSU die Hand, so müsse man »nachher darauf achten, ob noch alle fünf Finger dran sind«. Denn die bayerische Partei, so der hessische Ministerpräsident, verstehe es besonders gut, ihre Interessen wahrzunehmen - auch im Widerspruch zur CDU. Nach der Nominierung Edmund Stoibers zum Kanzlerkandidaten ließ sich ein Streit um die Vorherrschaft innerhalb der Union kaum noch vermeiden. Ein gemeinsames Programm zur Bundestagswahl soll zwar Geschlossenheit demonstrieren. Dennoch ist Kochs - inzwischen dementierte - Furcht vor einer feindlichen Übernahme nicht unbegründet.

Die Geschichte der CSU ist reich an Konkurrenzkämpfen und Versuchen, ihren bundesweiten Einfluss auszubauen. Rückhalt gibt dabei die starke Position in Bayern, wo die CSU seit jeher über absolute Mehrheiten verfügt. Koalitionen werden im bayerischen Landtag schon lange nicht mehr benötigt. Seit Anfang der sechziger Jahre regiert die CSU den Freistaat allein. In einem langen Prozess der inneren Homogenisierung Bayerns schaffte sie es, ihren Gründungsgedanken zu verwirklichen, nämlich die klassenübergreifende Sammlung aller christlichen und konservativen Kräfte in einer strikt antikommunistischen und urbayerischen Volkspartei.

Doch gab es in ihrer Geschichte eine gefährliche Konkurrenz für die CSU. Die 1947 gegründete Bayernpartei (BP) pflegte einen besonders ausgeprägten bayerischen Patriotismus. Dabei stand die Diskussion um die zukünftige Rolle Bayerns in einem deutschen Staat im Mittelpunkt. Und dort steht sie bis heute (Jungle World, 6/02). Die Forderungen nach möglichst weitgehender Eigenständigkeit entsprangen dem »bayerischen Staatsgedanken«, der sich auf eine konstruierte 1 400jährige Tradition beruft. Das Land habe schon immer eine führende Rolle auf kulturellem und geistigem Gebiet sowie bei der Christianisierung Europas gespielt, hieß es. Die BP leitete daraus eine extrem föderalistische, teils sogar sezessionistische Politik ab. Die Bestrebungen reichten bis zur völkerrechtlichen Souveränität Bayerns. Die CSU dagegen war in dieser Frage gespalten. In ihren Reihen fanden sich sowohl Föderalisten als auch Kräfte, die einen bayerischen Patriotismus innerhalb Deutschlands vertraten.

Mit der Parole »Bayern den Bayern« war die BP in den fünfziger Jahre ein ständiges Problem für die CSU. 1949 erreichte sie bei der Bundestagswahl 20 Prozent der bayerischen Stimmen, die CSU kam nur auf knappe neun Prozent mehr. Die BP konkurrierte erfolgreich um einen Teil des Wählerpotenzials der CSU: die mittelständische einheimische Landbevölkerung, Bauern, Handwerker und Beamte vor allem aus Oberbayern.

Zu ihrer Blütezeit brachte die BP der CSU die schwerste Niederlage bei. 1954 schickte eine Koalition aus SPD, FDP, Bayernpartei und den organisierten »Vertriebenen« die CSU für drei Jahre auf die Oppositionsbänke des bayerischen Landtages, obwohl diese die stärkste Fraktion bildete.

Wollte die CSU die Position der einzigen konservativen Volkspartei erringen, musste sie föderalistische Elemente stärker in den Vordergrund rücken, um die Klientel der BP in die eigene Partei zu integrieren. Im Laufe der Jahre gelang es der CSU tatsächlich, die Konkurrenz auf diese Weise in die Bedeutungslosigkeit zu verbannen.

Spalten und integrieren, hieß die Methode. Zur Hilfe kam der Wandel sozialer Strukturen, der sich für die BP nachteilig auswirkte, da ihr klassisches Wählerpotenzial schrumpfte. Die so genannte Spielbank-Affäre brach der angeschlagenen Partei später endgültig das Genick. Zwei hochrangige Funktionäre wurden 1959 zu Freiheitsstrafen wegen Meineides verurteilt, es ging um einen Streit um die Zulassung von Spielbanken. Die CSU jedenfalls wusste den Prozess für sich zu nutzen.

In der Folge trat eine neue Generation von Politikern an die Spitze der CSU. Darunter auch Franz Josef Strauß, der 1961 zum Parteivorsitzenden gewählt wurde. In seine Zeit fiel die Erwägung einer bundesweiten Ausdehnung der CSU, die seit der Bundestagswahl von 1969 immer wieder diskutiert wurden. Den Hintergrund bildeten politische Differenzen zwischen der CDU und der CSU um Fragen der Ost- und Deutschlandpolitik sowie taktische Überlegungen, wie die sozial-liberale Bundesregierung am besten zu bekämpfen sei. Zwei Varianten kursierten: die bundesweite Ausdehnung der CSU in Konkurrenz zur CDU oder die Gründung einer der CSU nahe stehenden vierten Partei. Diese neue Partei sollte enttäuschte Wähler sowie Teile der extremen Rechten sammeln. Letztlich scheiterten aber alle Versuche, eine solche Organisation zu etablieren. Doch allein das öffentliche Nachdenken darüber reichte oftmals aus, um die CDU auf die Linie von Strauß einzuschwören.

Unter Strauß fuhr die CSU traumhafte Wahlergebnisse ein: 62,1 Prozent bei den Landtagswahlen 1974 und 62,5 Prozent in Bayern bei den Wahlen zum Europaparlament im Jahr 1979. Doch auf der Bundesebene konnte sich Strauß nicht immer durchsetzen. Als er 1976 die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag kündigte, überschätzte er seine Macht. Dieser Schritt war innerparteilich umstritten, und die CDU übte starken Druck aus. So musste Strauß schließlich die Zusammenarbeit wieder aufnehmen. Seine Idee war es gewesen, sich mit einer eigenen Fraktion im Bundestag deutlicher von Positionen der CDU abzugrenzen.

Nachdem er 1978 bayerischer Ministerpräsident geworden war, trat Strauß 1980 als Kanzlerkandidat der CDU/CSU an. Seine Wahlschlappe zeigte deutlich die Grenzen der CSU. Denn die Niederlage war nicht nur der linken »Stoppt Strauß«-Kampagne zu verdanken, sondern auch seiner Ablehnung in Teilen der CDU. Sein Tod beendete 1988 eine Ära, doch die Position der CSU in Bayern war deshalb nicht gefährdet.

1990 unternahm die CSU noch einmal den Versuch einer Ausdehnung über die bayerischen Grenzen. In der DDR wurde mit ihrer Unterstützung aus mehreren christlich-konservativen Gruppen die Deutsche Soziale Union (DSU) zusammengeschustert. Nach anfänglichen Erfolgen fiel sie jedoch bald in die Bedeutungslosigkeit zurück. 1993 trennte sich die CSU endgültig von ihrem ostdeutschen Ableger. Die Expansion war wieder einmal gescheitert.

Im Stammland dagegen errang die Partei trotz der Amigo-Affäre im gleichen Jahr wieder 52 Prozent der Stimmen und machte Edmund Stoiber zum Ministerpräsidenten. Auch er setzt weiter auf bayerische Identität - was seiner Kanzlerkandidatur für die Union nicht im Wege stand.