Fanny Müller über alles

Toast Hawaii

Erinnern Sie sich noch an die fünfziger Jahre? Auch roaring fifties genannt? Als richtige Männer noch richtige Frauen zu schätzen wussten und richtige Frauen noch richtiges Essen? - Das waren Zeiten! - Buttercremetorten waren auf jedem festlichen Ereignis ein must. Kroketten wurden zu allen Mahlzeiten gereicht, außer zu Spaghetti. Mayonnaise - wie französisch das klang! - durfte praktisch über jedes Gericht gekippt werden und Remoulade noch obendrauf.

Ach Gott ja, alles was gleichzeitig satt und fett machte und auch so aussah, und außerdem noch irgendwie an exotische Länder erinnerte, wurde reingeschaufelt, bis man platzte. Männer mit Bauch liebten Frauen mit Hüften. Und Frauen mit Hüften liebten den Geflügelsalat Florida, die Königin-Pastete und Russische Eier. Vor allem aber liebten sie den Toast Hawaii. Wohlgemerkt: Es ist von Vorspeisen die Rede; danach gab's dann erst das richtige Essen, dessen Ausmaße auch nicht von Überlegungen in Richtung Kalorienzählen oder ähnlichem Quatsch angekränkelt waren. Das ging auch gar nicht, weil die Kalorie noch nicht erfunden war und das Vitamin zu Recht ein Dasein am Rande des Küchentisches fristete.

Toast Hawaii! Wir wussten, dass es in Hawaii kein Bier gibt, aber wir wussten auch, dass Hawaii die Heimat der Ananas ist. Wäre allerdings diese Insel tatsächlich die Heimat aller in Deutschland im Zuge des TH verzehrten Ananasscheiben gewesen, so hätte sie landauf landab, an Stränden und Lagunen, in Schluchten und Tälern, mit Ananasfrüchten bepflastert sein müssen. Und zwar dreimal übereinander.

In Wirklichkeit aber war die Ananas für den Toast Hawaii in Dosen zur Welt gekommen. Die Maraschinokirsche, welche den TH krönte, wuchs in kleinen Gläsern auf. Käse-Scheibletten: Ihre DNS erwachte in einem Rührbottich zum Leben. Toast besaß ein Haltbarkeitsdatum von sieben Monaten, und der Schinken hatte nie eine Sau gesehen.

Das war auch völlig richtig so. Beim TH konnte man sicher sein, dass keine Verbindung zu unappetitlichen Tieren nachzuweisen und keine Zutat durch Menschenhand vergiftet oder beschmutzt war: Es handelte sich um astrein voll synthetische Fabrikware. Das war gesund und lecker! Das war modern! Schließlich trugen wir ja auch keine Bärenfelle mehr, sondern Nylonblusen und Trevirahosen.

Das Leben war schön!

Dann aber kam der backlash. Hirsepicker übernahmen das Kommando. Nouvelle Cuisine trat auf den Plan - eine Richtung, bei der man nie genau weiß: Ist das jetzt schon das Futter oder nur die Tellerbemalung?

Und doch! Was gut und bewährt ist, kann nicht untergehen. Der Toast Hawaii lebt! Im Untergrund! In Kneipen, die »Bei Ernst und Käthe« oder »Hella's Bierbar« heißen. In Pensionen namens »Waldesruh«. In versteckten Cafés, wo alte Damen mit beigen Velourshüten spannende Geschichten darüber erzählen, was ihre Schwiegersöhne von Beruf sind. Und unsere so viel geschmähte junge Generation sorgt klammheimlich dafür, dass der TH seinen ihm gebührenden Platz wieder einnimmt - kaum verändert, aber größer und schöner denn je: als Pizza Hawaii.

Am 30. März um 22.30 Uhr liest Fanny Müller in Klaus Bittermanns »Club der letzten Gerechten« in der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz