Der Weg nach oben

Mit antisemitischen Klischees will Jürgen Möllemann die FDP zu einer Volkspartei machen.

Die beste Nachricht über ihren deutschen Besucher kannten die israelischen Gastgeber schon vorher: Der FDP-Vorsitzende und Kanzlerkandidat Guido Westerwelle wird nicht der nächste deutsche Außenminister sein, und Bundeskanzler wird er sowieso nicht.

Zwar sollte die Nahost-Reise, die Westerwelle am Sonntag antrat und die am Mittwoch mit dem Besuch bei Ägyptens Präsidenten Hosni Mubarak endet, das außenpolitische Profil des Parteivorsitzenden stärken. Deswegen traf sich Westerwelle mit israelischen Regierungs- und Oppositionspolitikern sowie mit Palästinenserchef Yassir Arafat. Doch parteiintern ist längst klar, dass der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Gerhardt im Falle eines Regierungswechsels die Nachfolge von Außenminister Joseph Fischer (Grüne) antreten wird.

Denn Gerhardt ist seriös. Er ist Miturheber des Mitte Mai verabschiedeten Parteitagsbeschlusses. »Die deutschen Liberalen bekämpfen Antisemitismus und Antizionismus mit aller Entschiedenheit. Bei uns findet niemand seine politische Heimat für antiisraelische Politik«, heißt es darin. Der Fraktionschef gehört eben nicht zur populistischen FDP-Riege, die sich mit Hilfe antisemitischer Klischees auf 18 Prozent katapultieren will.

Und genau deswegen ist Gerhardt nicht mehr Parteichef. »Spaßbremse«, »langweiliger, farbloser Redner« und »uninteressante, graue Persönlichkeit« lauten die in der Partei oft zu hörenden Charakterisierungen Gerhardts. Da musste jede populistische Wahlkampfstrategie verpuffen.

Dem Ausland aber lässt sich ein Mann wie Gerhardt gut als künftiger Außenminister präsentieren, während zugleich die deutschen Liberalen dem Antisemitismus frönen. Vor Westerwelles Nahost-Reise allerdings war der Partei ein wenig mulmig zumute. Hatte doch Yosef Lapid, Knesset-Abgeordneter und Vorsitzender der säkularen und auf einen Friedensprozess drängenden Shinui-Partei, angekündigt, er wolle beim Treffen mit Westerwelle am Montag seinen »tiefen Zorn über einige sehr unglückliche Äußerungen aus der FDP-Führung zum Ausdruck bringen«. In der FDP hatte es vor der Reise sogar Befürchtungen gegeben, Premierminister Ariel Sharon werde Westerwelle wegen der Entwicklung in dessen Partei eventuell gar nicht erst empfangen.

Erst am Montag der vergangenen Woche intervenierte Außenminister Joseph Fischer zugunsten der Liberalen bei seinem israelischen Amtskollegen Shimon Peres. Die Sicherheitsbehörden hatten zuvor den Leiter der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Ost-Jerusalem, Burckhard Blanke, verhört und seine Wohnung durchsucht. Die Vorwürfe gegen ihn: Antisemitische Äußerungen und »Ermutigung zu rassistischen Attacken«. Bei der Hausdurchsuchung fand die Polizei zwei Pläne von Einrichtungen des israelischen Militärs, die für Selbstmordattentate benutzt werden könnten.

Blanke, ein Jünger von Jürgen Möllemann, der zur Tat schreiten wollte? Wohl kaum, nach Fischers Intervention wurden die Vorwürfe zurückgezogen. Nichts scheint undenkbar, wenn man die aktuelle Linie der FDP vor Augen hat: die Hetzattacken des stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Möllemann gegen Juden, sein Verständnis für islamische Selbstmordattentäter, die offene Duldung antisemitischer Tiraden durch Guido Westerwelle, der populistisch von den Liberalen vorgetragene Wunsch, endlich mal wieder die ganz normalen deutschen antisemitischen Ressentiments artikulieren zu dürfen.

Der Fall Jamal Karsli macht diese Entwicklung allzu deutlich. Karsli hatte im März, damals noch als migrationspolitischer Sprecher der grünen Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen, in einer Presseerklärung gesagt, die Palästinenser seien als »unschuldiges Volk den Nazi-Methoden einer rücksichtslosen Militärmacht schutzlos ausgeliefert«. Außerdem wollte der Abgeordnete von Internierungslagern erfahren haben, in denen Tausenden Palästinensern »Nummern in die Hand tätowiert werden«.

Der Kritik an seiner Wortwahl begegnete er mit seinem Übertritt zur FDP. Am Mittwoch vergangener Woche aber zog Karsli dann seinen Aufnahmeantrag zurück, nicht ohne noch einmal nachzulegen. In einem Brief an Möllemann schreibt das verhinderte Mitglied der Liberalen von einem »Exempel«, das an ihm statuiert werde. »Alle möglichen Kräfte« würden gegen die FDP und insbesondere gegen Möllemann zu Felde ziehen. Wer diese Kräfte sind, hatte Karsli Anfang Mai schon in der rechtsextremen Wochenzeitung Junge Freiheit zum Besten gegeben: eine »zionistische Lobby«.

Das FDP-Präsidium beschloss, dass Karsli auch als Nicht-Mitglied in der nordrhein-westfälischen Landtagsfraktion mitarbeiten darf. Und Möllemann, der sich zuvor intensiv um den Beitritt Karslis bemühte, darf weitermachen wie bisher. So fördere Michel Friedman, das Vorstandsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland, »mit seiner intoleranten und gehässigen Art« den Antisemitismus genauso wie der israelische Ministerpräsident Ariel Sharon, sagte der FDP-Vize Mitte Mai.

In der vergangenen Woche bezeichnete er Friedman auch noch als »übergeschnappt« und wiederholte seine These, der Jude Friedman sei am Antisemitismus schuld. Das kam selbst in der eigenen Partei nicht ganz so gut an. Der designierte Außenminister Gerhardt stellte sich öffentlich auf die Seite Friedmans.

Auch der ehemalige Bundesinnenminister Gerhard Baum erklärte, dass »nicht Friedman den Antisemitismus fördert, wie Möllemann meint, sondern er selbst«. Und die einstige Bundesjustizministerin und bayerische FDP-Vorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger warnte davor, mit »dahindümpelndem Antisemitismus« Wahlkampf zu betreiben. Ihr Appell kommt aber vermutlich zu spät. Intern hat sich längst Möllemanns Linie durchgesetzt. Wer 18 Prozent erreichen will, muss populistisch sein. Denn ohne das Volk ist weder ein Führer noch eine Volkspartei zu machen.

Das ist schon lange Möllemanns Traum. Schon in den siebziger Jahren traf er sich als FDP-Bundestagsabgeordneter mit dem PLO-Chef Yassir Arafat und warf Israel »staatlichen Terrorismus« vor. In den achtziger Jahren wollte er mit einer sozialliberalen Linie breitere Wählerschichten für die Partei gewinnen, als Bundeswirtschaftsminister praktizierte er nach 1990 mit einem Feldzug gegen Subventionen das genaue Gegenteil von sozialliberaler Politik.

Drei Jahre später schien seine Karriere bereits beendet. Er musste zurücktreten, nachdem er auf Briefpapier des Ministeriums private Werbeschreiben für das Einkaufswagenchipsystem eines Vetters verfasst hatte.

Erst das »Projekt 18« brachte Möllemann zurück ins Tagesgeschäft. Die einfache und bisher erfolgreiche Idee der PR-Kampagne: Gewinner ist, wer sich ein Gewinner-Image gibt. Und dabei stört weder Möllemann noch seinen Parteichef Westerwelle der von anderen Parteien zu Recht vorgebrachte Vorwurf des Antisemitismus.

Mag CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer vom Bedienen »latent vorhandener antisemitischer Stimmungen« sprechen, sein SPD-Kollege Franz Müntefering die »Instrumentalisierung des Antisemitismus zu Wahlkampfzwecken« beklagen, der grüne Europa-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit kritisieren, Möllemann habe »das uralte Schema faschistischer Parteien aufgegriffen«, Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, anprangern, Westerwelle wolle »im Stil von Haider und Le Pen Stimmen fangen« - all das schadet dem Projekt nicht. Im Gegenteil.

Wegen seiner Sympathie für Haider kündigte am Wochenende das Neue Deutschland, in dem Möllemann bislang regelmäßig eine Kolumne hatte, die Zusammenarbeit mit ihm auf. In einem Artikel, der als »Abschlussdokument« am Montag veröffentlicht wurde, verkläre er den anwachsenden Rechtspopulismus in Europa zur »Emanzipation der Demokraten« und zum »erwachenden Selbstbewusstsein« der europäischen Völker, begründete das ND die Entscheidung. In seinem Beitrag kündige der stellvertretende FDP-Vorsitzende an, »der Haider Deutschlands werden zu wollen«.

Möllemann wird sich deswegen wohl kaum von seinem Kurs abbringen lassen. Angeblich hat er schon fast 15 000 zustimmende Reaktionen erhalten, und die FDP ist in der Wählergunst gestiegen. Das »Projekt 18« ist also weit mehr als das Hirngespinst eines gescheiterten Politikers, es ist vor allem ein deutsches Projekt.