die Entwicklungshilfepolitik

Sanfte Eroberung

Die rot-grüne Entwicklungspolitik soll eine Hilfe zur Selbsthilfe sein. Vor allem Deutschland hilft sich dabei selbst. Gefühltes Rot-Grün VII.

Die Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) war zufrieden, als sie Ende Mai ihre Bilanz nach knapp vier Jahren rot-grüner Entwicklungspolitik zog. Das Thema sei keine Nische der Politik mehr, sondern werde in Deutschland wieder ernst genommen, meinte die Ministerin. Auf institutioneller Ebene sei das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gestärkt worden, da ihm ein Sitz im Bundessicherheitsrat eingeräumt wurde und entwicklungspolitische Kompetenzen aus anderen Ressorts ins BMZ überführt wurden. Erfolgreich sei auch das Engagement im Sommer 1999 auf dem G 8-Gipfel in Köln für die Entschuldung der ärmsten unter den hoch verschuldeten Staaten gewesen.

Darüber hinaus sei es gelungen, ein neues Verständnis von Entwicklungspolitik zu etablieren. Die Bekämpfung von Armut soll verstärkt an politische Bedingungen geknüpft werden: »Entwicklungspolitik muss darauf zielen, demokratische Staatlichkeit zumal in den Entwicklungsländern zu fördern«, forderte die Ministerin. Die Staaten der Peripherie müssten sich zu ihrer »Eigenverantwortung« bekennen. Die Regierungen und die Zivilgesellschaften hätten sich daher um »Rechtsstaatlichkeit und gute Rahmenbedingungen« zu bemühen, »good governance« lautet das Stichwort. Auch die Öffnung der nationalen Märkte und die Anpassung an die Strukturen des Weltmarkts seien Vorbedingungen, um in den Genuss besonderer Leistungen zu gelangen.

Allein das leidige Thema Geld vermiest ab und an die Laune im Ministerium. Zwar versprach die Bundesregierung 1998 eine Erhöhung des Etats, doch schon der erste Haushaltsplan von Finanzminister Hans Eichel (SPD) sah erhebliche Kürzungen vor. Standen unter der Regierung Helmut Kohls 1998 noch 7,9 Milliarden Mark für das BMZ zur Verfügung, waren es unter Rot-Grün im Jahr 2000 nur noch 7,1 Milliarden. Damit rückte Deutschland auch immer weiter von den Zielvorgaben der Vereinten Nationen ab, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Entwicklungshilfe auszugeben. Denn mit 0,27 Prozent des BIP lag Deutschland im Jahr 2001 nur knapp über dem bisherigen historischen Tiefstand.

Doch mit den Anschlägen am 11. September des vergangenen Jahres änderte sich der politische Stellenwert des BMZ. Schnell wurde behauptet, dass ein direkter Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit und den Anschlägen bestehe, und die Notwendigkeit betont, sich verstärkt um die Bekämpfung der Armut zu bemühen, um so die weltweite Sicherheitslage zu verbessern. »Wir müssen dazu beitragen, dass die Menschen in allen Regionen der Welt sicher leben können. Sonst kommt die Unsicherheit auch zu uns«, sagte Wieczorek-Zeul im Bundestag.

Also wurden nach dem 11. September kurzfristig 182 Millionen Euro zusätzlich für das BMZ locker gemacht. Bis zum Jahr 2006 will die Regierung den Entwicklungshilfe-Etat schrittweise auf 0,33 Prozent des BIP aufstocken. Doch ob dieses Ziel erreicht wird, ist fraglich. Denn für 2003 sind gerade einmal 100 Millionen Euro mehr als im Vorjahr eingeplant. Außerdem erklärte das Bundesfinanzministerium, dass die Haushaltskonsolidierung weiterhin Vorrang habe. Trotzdem freute sich die Ministerin, denn sie habe erreicht, »dass Entwicklungspolitik zur nichtmilitärischen Sicherheitspolitik gehört«.

Dabei wurde schon zu Zeiten des Kalten Krieges mit Entwicklungshilfe Außenpolitik gemacht. Damals war es ein erklärtes Ziel, mit Hilfszahlungen Länder der Peripherie an den westlichen Block zu binden. Heute dagegen konkurrieren die ehemaligen Verbündeten um Einfluss und Macht. So kritisierte die Heritage Foundation, einer der bedeutendsten Think Tanks der regierenden Konservativen in den USA, die Förderung von »Schurkenstaaten« wie des Iran, des Irak, Libyens oder Syriens mit dem Geld aus der deutschen Entwicklungshilfe. Diese Staaten würden den Terrorismus unterstützen. Eine Einstellung der Zahlungen an solche Staaten kommt jedoch für Wieczorek-Zeul nicht in Frage. »Denn dann verzichten wir auf jede Einflussnahme«, sagte sie der Welt.

Auch im Auswärtigen Amt weiß man, mit welcher Strategie man jenen Staaten am effektivsten beikommt, die sich nicht freiwillig unterordnen. Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe schaffen ökonomische Abhängigkeiten und sind die Türöffner für Verhandlungen. Ludger Volmer, der grüne Staatsminister im Außenamt, setzt ebenso wie Wieczorek-Zeul auf ökonomische und politische Zusammenarbeit, um den deutschen Einfluss auszubauen. »Wir wissen aufgrund unserer eigenen historischen Erfahrung, dass dieser Weg der einzig richtige ist.« Volmer denkt an die sozial-liberale Koalition in den siebziger Jahren, die mit ihrer Politik der Annäherung dazu beitrug, die realsozialistischen Staaten Osteuropas in kapitalistische zu transformieren.

Mit dieser Taktik der sanften Eroberung steht die Bundesrepublik allerdings in Konkurrenz zu den USA. Sowohl Wieczorek-Zeul als auch Volmer werfen den Partnern vor, militärische Mittel ins Zentrum ihrer Außenpolitik zu stellen. Insgesamt 20 Bereiche zählte das BMZ jüngst auf, in denen die Politik der USA den deutschen Interessen zuwiderlaufe. (Jungle World, 29/02) Dass die Rolle der Kritikerin ausgerechnet Wieczorek-Zeul zufällt, hat einen Grund. Denn im Gegensatz zu Außenminister Joschka Fischer könne sie sich als Entwicklungsministerin auch einmal undiplomatisch benehmen, erklärte sie.

Deutschland hilft sich mit der Entwicklungshilfe selbst, vor allem ökonomisch. Nach einer Studie des Ifo-Institutes für Wirtschaftsforschung fließt weit mehr als das Doppelte jedes Euro für die Entwicklungshilfe als volkswirtschaftlicher Ertrag nach Deutschland zurück. Außerdem werden durch die Entwicklungshilfe Exportmärkte geöffnet und die Empfänger oftmals überhaupt erst in den Weltmarkt integriert. Danach können die Exporte in diese Länder erheblich ausgeweitet werden.

Nichtregierungsorganisationen, die in der Entwicklungshilfe arbeiten, und die Opposition im Bundestag kritisieren die Bundesregierung vor allem deshalb, weil sie ihr Versprechen, mehr Geld für die Entwicklungshilfe auszugeben, nicht eingelöst habe. Da aber auch die rot-grüne Entwicklungspolitik den außenpolitischen sowie ökonomischen Interessen Deutschlands verpflichtet ist und ein kapitalistisches Entwicklungsmodell forciert, ist es vielleicht besser, sich auf die Seite des Finanzministers zu schlagen.