SEK-Beamte testen eine Elektroschockpistole

Einfach umwerfend

Seit einem Jahr testen Berliner SEK-Beamte eine Elektroschockpistole am lebenden Subjekt.

Kurz abgedrückt, schon liegt der Getroffene am Boden. Er ist bei Bewusstsein, aber bewegungsunfähig. Sein zentrales Nervensystem ist durch eine Stromspannung von 50 000 Volt gelähmt. Bleibende Schäden muss der Getroffene nicht fürchten. Oder zumindest fast nicht.

Beschrieben wird hier die Wirkung einer Elektroschockpistole, die seit einem Jahr vom Sondereinsatzkommando (SEK) der Berliner Polizei getestet wird. Das heißt, sie darf von den Beamten im Einsatz mitgeführt und statt der Schusswaffe benutzt werden. Zweimal schon hat das SEK die Hochspannung durch die Körper von Menschen gejagt, die mit einem Selbstmord drohten. Erstmalig am 14. August des vergangenen Jahres im Stadtteil Kreuzberg, das zweite Mal am 22. Juli dieses Jahres in Reinickendorf.

Die Ergebnisse dieser beiden Elektroschock-einsätze beschreibt der Leiter des Berliner SEK, Martin Textor, als »umwerfend im wahrsten Sinne des Wortes«. Beide Personen seien sofort bewegungsunfähig gewesen. Beim Einsatz vor rund drei Wochen habe der verhinderte Selbstmörder »überhaupt keine Verletzung« davongetragen.

Aus dem Advanced Air Taser M 26, wie die Wunderwaffe vom Hersteller aus Scottsdale in den USA genannt wird, werden zwei etwa fünf Zentimeter lange Geschosse abgefeuert. Sie sind mit feinen Widerhaken ausgestattet. Haben sich beide Elektroden in der Haut oder im Körper eines Menschen verfangen, wird ein heftiger Stromstoß ausgelöst. Zu diesem Zweck sind die verschossenen Elektroden mit etwa sieben bis zehn Meter langen Drähten an der Waffe befestigt. Auf der Haut hinterlassen die Elektroden kleine Brandwunden. Verfangen sich die Widerhaken in der Kleidung oder den Schuhen, wirft das den Getroffenen genauso um.

Die Beamten des SEK haben das alles genau geprüft. Ihr Vorgesetzter Textor gab ihnen am Anfang des vergangenen Jahres die Erlaubnis zum Selbstversuch, daraufhin beschossen sich die Beamten gegenseitig mit dem Air Taser. Eine Testphase, eher zum Selbstschutz als aus Nächstenliebe. »Ein SEK-Beamter muss sich vor dem Einsatz von der Zuverlässigkeit der Waffe überzeugen«, erklärt Textor der Jungle World.

Die Polizisten wollten vor allem eines wissen: Ist ein Mensch noch in der Lage, eine Waffe abzufeuern, nachdem 50 000 Volt durch seinen Körper geflossen sind? Nein. Nicht mal die sportlichen und durchtrainierten SEKler konnten sich nach dem Stromstoß aus der Wunderwaffe noch bewegen. Ein Gefühl, das sie durchweg als »sehr unangenehm« und »extrem« bezeichnen.

Das von einer Koalition der PDS und der SPD regierte Berlin ist mit diesem Versuch in ganz Deutschland zum Vorreiter geworden. Getestet wird der Air Taser zwar auch in Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg, eingesetzt aber haben ihn bisher nur die Berliner SEK-Beamten.

Auch wenn das mit Papierkram verbunden ist. Denn die von Erhart Körting (SPD) geführte Berliner Innenverwaltung fordert nach jedem Einsatz einen ausführlichen Bericht. Mit welchem Erfolg wurde die Elektroschockpistole eingesetzt und wie geht es dem Getroffenen? Erst nach der Vorlage dieser Unterlagen wird entschieden, ob der »Test im Einsatz« weitergeht.

Marion Seelig vom Koalitionspartner PDS will weitere Berichte über den Einsatz der Waffe abwarten, bevor sich die Partei »abschließend positioniert«. Dass der Air Taser aber irgendwann auch einmal von Streifenbeamten benutzt werden soll, halte sie für »sehr schwierig«. »Wenn überhaupt, gehört das Ding in die Hände des SEK.«

Weiteren Tests in der Praxis steht aber erst einmal nichts entgegen. Um Schlagzeilen zu vermeiden, gibt es außerdem eine klare Dienstanweisung der Innenverwaltung an die SEK-Beamten. Gegen Schwangere soll die Waffe möglichst nicht eingesetzt werden, außerdem sei darauf zu achten, dass der Getroffene nicht gefährlich mit dem Kopf aufschlagen kann. Auf diese Gefahren hat ein Gutachten der Universität Tübingen die Verwaltung hingewiesen.

Auch aus dem langjährigen Einsatz in den USA ist bekannt, dass die neuartige Alternative zur Schusswaffe nicht völlig ungefährlich ist. Amnesty international zitiert einen Gerichtsmediziner, der von bisher »16 Todesfällen im Zusammenhang mit Tasern in Los Angeles« berichtet. Gerade bei Herzkranken oder Menschen, die unter Drogeneinfluss stehen, sei der Einsatz problematisch. Allerdings, so ergänzt der SEK-Chef Textor nicht ganz zu Unrecht, seien die Folgen einer Schusswaffe in der Regel schlimmer als die eines Elektroschockers. Deswegen ist die Anschaffung des Air Tasers für Textor auch »eigentlich eine Abrüstung und keine Aufrüstung« der SEK-Einheiten.

Im Gegensatz zu seinen Untergebenen, die nach zwei erfolgreichen Einsätzen schon keinen Zweifel mehr am Sinn der Waffe hegen, ist der seit Anfang der siebziger Jahre dem Berliner SEK dienende Textor vorsichtiger. Gern zitiert der Mann, der nicht nur den gleichen Nachnamen trägt wie die Mutter des Dichters Johann Wolfgang von Goethe, sondern auch ihr Nachfahre ist, die frühere Vorsitzende der Berliner Grünen und heutige Verbraucherschutzministerin, Renate Künast. »Die hat mal gesagt: Menschen kann man vertrauen, Institutionen nicht. Und damit hat sie doch Recht.« Textor ist sich bewusst, dass eine Elektroschockwaffe Misstrauen weckt: »Klar ist die Angst da, dass so ein Gerät benutzt wird, um jemandem eine Aussage abzuringen, die er sonst nicht machen würde.«

Denn genau das, was beispielsweise Holger Bernsee, der stellvertretende Vorsitzende des Bundes der Kriminalbeamten, an der Waffe lobt - dass sie »sofort und sicher angriffs- bzw. fluchtunfähig macht, jedoch keine tödliche Wirkung entfaltet« - ist eine Gefahr.

Nach einem Bericht von amnesty international »nimmt seit Anfang der neunziger Jahre die Zahl der Staaten zu, in denen 'moderne' Elektroschockwaffen zu Folterungen eingesetzt werden«. So sei der Schwarze Rodney King vor seiner Misshandlung durch Polizeibeamte im Jahre 1992 durch den Einsatz eines Tasers bewegungsunfähig und wehrlos gemacht worden. Werden die Elektroden dabei, wie im Falle des verhinderten Selbstmords in Berlin-Reinickendorf vor drei Wochen, nur auf die Kleidung abgeschossen, ist der Einsatz des Air Tasers noch nicht einmal nachweisbar.

Bald dürften nicht mehr nur Berliner SEK-Schützen den Air Taser im Einsatz anwenden. Denn der Berliner Modellversuch ist von bundesweiter Bedeutung. Der Arbeitskreis der Innenministerkonferenz mit dem schönen Namen »Gewalt gegen Vollzugsbeamte« empfahl im Frühjahr des letzten Jahres den Testbetrieb im Einsatz ausdrücklich.

Nach den ersten Einsätzen in Berlin erwägt nun auch der Bundesgrenzschutz, die rund 500 Euro teure Waffe in seinen Bestand aufzunehmen. Die Elektroschockpistole sei vor allem für die so genannten Sky Marshalls interessant: für Beamte des Bundesgrenzschutzes, die sich zur Abwehr von Flugzeugentführungen unter den normalen Passagieren befinden. Denn an Bord eines Flugzeuges bedeute der Einsatz normaler Schusswaffen meist ein zu hohes Risiko.