T-Shirts als Kommunikationsmittel

Wenn Unterhemden zu viel sprechen

Ich kann die Schrift auf meinem T-Shirt nicht im Spiegel lesen. Ist sie deswegen schon für andere bestimmt? Und was ist mit den Beschriftungen, die an jenen angebracht sind, die noch gar nicht selbst lesen können? Das Baby-T-Shirt mit der Aufschrift »Terrorist« mag Trost für die Eltern sein. Rätselhafter ist schon das Hemd, das ein Kindergartenkind tragen muss und auf dem »2. Ehe« steht. Das beschriftete T-Shirt bestimmt das Bild auf der Straße, im Foto, auf der Party, im Fernsehen. Es steckt ein kleines Revier ab, das überallhin mitgenommen werden kann, und schließt aus oder lockt herein.

Das T-Shirt befindet sich an einer Schnittstelle zwischen Bekleidung, Mode, Kommunikation und Handeln. »Flanieren ist eine Lektüre der Straße«, meinte Franz Hessel 1929, eine Methode, bei der »Menschengesichter, Auslagen, Schaufenster, Café-Terassen, Bahnen, Autos, Bäume zu lauter gleichberechtigten Buchstaben werden, die zusammen Worte, Sätze und Seiten eines immer neuen Buches ergeben.« Heute haben wir es meistens schon mit fertigen Worten oder Sätzen zu tun. Sie machen Aussagen, wie zur Zeit T-Shirts mit »Ich bin pleite - Berlin ist schuld« oder »Berlin ist pleite - ich bin schuld«, vermitteln aber nur bedingt Erkenntnisse. Oder sie funktionieren wie eine Visitenkarte, wenn Besucher aus der Provinz freundlicherweise ihre Schulshirts tragen.

Das T-Shirt ist nicht die einzige Schriftunterlage im Straßenbild. Immer mehr Taschen, Rucksäcke, Jacken und Schuhe sind beschriftet. Ein großer Teil des Textes besteht aus Markennamen, und manche von ihnen sagen etwas über die Globalisierung aus. Etwa wenn auf CNN zu sehen ist, wie sich ein tschetschenischer Jugendlicher von anderen abhebt, weil er ein T-Shirt der Marke »Boss« trägt.

Die neue T-Shirt-Generation kommuniziert oft ähnlich einfach, zum Beispiel mit Begriffen wie »Star« oder »Pornostar«, oder indem Namen und/ oder Fotos von (Sex-) Göttern aufgedruckt sind. Wenn das Shirt schon »Sexy« sagt, bevor jemand anderer das entscheiden kann, so wirkt es in jedem Fall befreiend, egal ob die Behauptung an dem einen Teenager redundant, an dem anderen absurd erscheint.

Ein Beispiel aus der Starliga für die neue angstlose Praxis liefert die Pionierin Madonna, die sich dem Nachwuchs gegenüber aneignend verhält, indem sie ein »Britney Spears«-Shirt trägt.

Kein Wunder, dass die Methode der Selbststigmatisierung verbreitet ist, doch wirkten die ersten Exemplare zunächst überraschend und nicht sofort verständlich. Vorläufer gab es in Kontexten von Punk, Riot Grrrls und Clubkultur, aber vor einigen Jahren auch in der Werbung in einer MTV-Kampagne. Lange Zeit musste ja der Körper herhalten, wenn Symbol- oder Schriftstatements gemacht werden wollten.

Im Alten Rom wurde den Christen zur Zeit ihrer Verfolgung ein Mal in die Haut gebrannt, um sie als Ketzer zu kennzeichnen. Dieses Label wurde von ihnen danach aber nicht nur stolz getragen, sondern sich auch selbst zugefügt. Ähnlich verhält es sich einem T-Shirt, bei dem ein pfeildurchbohrtes Herz am Oberarm wie ein Tattoo angebracht ist. Textile Selbststigmatisierung kennt viele Varianten, viele Aussagen zwischen Selbstbeschreibung und Vorwegnahme. Oder der Sinn, der durch einen Bandnamen in Kauf genommen wird. Es sieht sympathisch aus, wenn ein türkischer Junge »Bad Boy« trägt, oder ein Independent-Typ sich mit »Slut« auf die Straße wagt.

Im letzten Jahr gab es bereits allerdings einen Overkill, es war der Sommer der massenhaften Selbstanzeigen als »Zicke«. Ein 10jähriges Mädchen in der Glitzer-Buchstaben-Version reagiert völlig verständnislos auf die Frage, ob sie schon einmal so angesprochen worden sei, und antwortet: »Nein«. Wenn ein schwuler Mann sich aber damit zeigt, oder »I love boys«, (»love« ist ein rotes Glimmerherzchen), von einem Jungen getragen wird, haben wir Beispiele für eine queere Aneignung des T-Shirts, die etwa mit Bekenntnis, Witz, Anspielung, Umkehrung, Verfremdung arbeitet.

Das T-Shirt kann aber auch der Rache der Enterbten dienen, sei es durch Hässlichkeit, Dummheit, Aggression, schlechten Humor, falsches Englisch, oder gezielte Sinnlosigkeit. Ein nettes Exemplar ist das Fußball-Shirt der ehemaligen DDR, das in Berlin-Friedrichshain vor der Weltmeisterschaft zum Bestseller wurde.

Der Sinn eines T-Shirts würde sich oft erst erschließen, wenn wir den Menschen kennenlernen könnten, doch die meisten Über- und Unterschriften werden uns ja nur kurz gezeigt. Nachfragen ergeben allerdings auch, dass mancher selbst nicht weiß, was er da trägt. Und zu anderen Vorübergehenden kann man sich nur eine Geschichte ausdenken. Wenn ein Altpunk ein Shirt mit dem Aufdruck »Ich will Blut« trägt, hat er es vielleicht bei seiner neuen Gothic-Freundin ausgeborgt.

Überhaupt stellt das Verleihen, Erben oder Schenken beim T-Shirt einen besonders hohen Unsicherheitsfaktor für das Lesen dar, weil es ohnehin eins der mobilsten Kleidungsstücke ist. Selbst gebastelte politische T-Shirts sind vielleicht die eindeutigsten, weil sie es ja sein wollen. Denn nicht jedes T-Shirt will kommunizieren, vielleicht kommt es gar nicht raus, ans Sonnenlicht, weil nur auf den Bildschirm geschaut wird. Das sind dann eben selbstbezügliche Shirts.

Eines der anspruchsvollsten ist das von dem Regisseur Heinz Emigholz zu seinem Film »Der zynische Körper« herausgegebene Hemd (das absolute Gegenteil eines Merchandising-Produkts, einen Dienst, den Shirts ja auch übernehmen müssen) mit dem Satz: »Ich hätte auch gern einen Körper gehabt.« Das könnte von einem ungetragenen T-Shirt gesagt werden.

Die frühen Punk-Shirts von Malcom McLaren und Vivienne Westwood befanden sich noch in einer ziemlich analphabetischen textilen Umgebung. Ihre Verlautbarungen wie »Only Anarchists are pretty« muten heute idealistisch an.

Ein aktuelles Beispiel von Selbstbeschreibung zeigt, wie die Idee einer gesplitteten Botschaft auf der A- und der B-Seite des Shirts einmal nicht, wie so oft, nur für einen Kalauer gut ist. Ein von Madonna beim Konzert in Spanien getragenes Shirt , das auf der Brustseite »Mother« zeigt (ein weiterer wichtiger Trend, das noch mal hinzuschreiben, was ist) und auf dem Rücken »Fucker«.

Der Star namens Madonna präsentiert sich auf der Bühne als Mutter. Und hinterrücks teilt derselbe Star mit, dass Sex da nicht aufhört, indem sie sich eine Hip Hop-Formel nimmt und ihren Körper lässig über die Spaltung triumphieren lässt. Ein schönes Beispiel dafür, welches Potenzial die T-Shirt-Sprache hat.