Achse des Plutoniums

Obwohl Nordkorea sein militärisches Atomprogamm wieder aufgenommen hat, widersetzt sich die südkoreanische Regierung der harten Linie der US-Politik.

Noch ist die Rhetorik der Kontrahenten recht friedfertig. »Wenn die Vereinigten Staaten uns durch den Abschluss eines Nichtangriffspakts Sicherheit garantieren, wird das nukleare Problem auf der koreanischen Halbinsel gelöst werden«, erklärte Choe Jin-su, Nordkoreas Botschafter in China, am Freitag. Auf der anderen Seite des Pazifiks gab sich der US-Präsident George W. Bush überzeugt, dass der Konflikt mit Nordkorea »friedlich gelöst werden wird«.

Zugeständnisse aber will die US-Regierung nicht machen, um Nordkorea von der Wiederaufnahme seines militärischen Atomprogramms abzuhalten. Und so könnte der Konflikt schnell zu einer gefährlichen Konfrontation werden, denn Nordkorea gehört wie der Irak zu der von Bush ausgemachten »Achse des Bösen«, deren Besitz von Massenvernichtungswaffen sie zum potenziellen Ziel eines Präventivschlages macht.

Nach Ansicht der CIA verfügt die Demokratische Volksrepublik Korea (DVRK) bereits über mindestens zwei Atomsprengköpfe, allerdings beruht diese Erkenntnis nur auf Schätzungen der nordkoreanischen Plutoniumproduktion. Die meisten Nuklearexperten sind sich jedoch darüber einig, dass der Reaktor in Yongpyon und die angeschlossenen Laboratorien einzig und allein zur Herstellung von atomwaffenfähigem Plutonium dienen.

Ende Dezember wurden die von der internationalen Atombehörde IAEA versiegelten Behälter mit gebrauchten Brennstäben aufgebrochen und die Überwachungskameras abgebaut. In einem Brief an die IAEA erklärte man die Mission ihrer Inspektoren für beendet. Demnächst könnte der offizielle Ausstieg aus dem Atomwaffensperrvertrag bevorstehen.

Im letzten Sommer noch war die koreanische Halbinsel ein Hort großer Euphorie. Selbst ein militärischer Zwischenfall im Gelben Meer, bei dem die Nordkoreaner ein Schiff der südkoreanischen Marine versenkten, trübte nur kurzzeitig die Stimmung. Vor allem hoffte man auf die angekündigten ökonomischen Veränderungen in der DVRK: eine Lohn- und Preisreform sowie zaghafte Schritte in Richtung Marktwirtschaft. Weitreichende Verträge auf ökonomischem Gebiet, die südkoreanische Investitionen in Milliardenhöhe ermöglichen sollten, wurden unterzeichnet.

Im Oktober aber gestanden nordkoreanische Regierungsvertreter dem US-Gesandten James Kelley ein, dass man seit Jahren an einem geheimen Nuklearwaffenprogramm arbeitet. Diese offizielle Bestätigung lange gehegter Vermutungen wurde in Seoul noch mit einem gewissen Gleichmut aufgenommen, doch die USA wollten die Eskalation. Als Gegenleistung für den Abbruch des nordkoreanischen Atomprogramms hatte die US-Regierung 1994 regelmäßige Heizöllieferungen zugesagt. Nach der Ankündigung, diese Lieferungen einzustellen, erklärte Nordkorea den Vertrag für »null und nichtig«.

Seither häufen sich die Spekulationen über die Absichten des nordkoreanischen Staatschefs Kim Jong-il. Kommentatoren in der Region sind sich jedoch weitgehend einig darüber, dass es sich um eine Neuauflage desselben Spieles wie 1994 handelt. Damals versuchte die DRVK, mittels der Drohung, Atomwaffen zu entwickeln, die diplomatische Anerkennung der USA und ökonomische Unterstützung zu erhalten. »Pjöngjang versucht es wieder mit denselben alten Witzen, nur dass keiner mehr so richtig darüber lachen kann«, kommentierte die in Hongkong erscheinende Asia Times.

Die nordkoreanische Wirtschaft steht vor dem Zusammenbruch, sie kann nur durch Unterstützung von außen wieder auf die Beine gebracht werden. Da er über keinerlei finanzielle Mittel verfügt, versucht Kim Jong-il jetzt erneut, mit nuklearen Drohungen Hilfe zu erpressen.

Da die Regierung seit Jahrzehnten dem Wahn verfallen ist, dass sie stündlich mit einem Angriff der USA zu rechnen hat, ist der Hauptadressat des Erpressungsversuches die US-Administration. Sie jedoch betrachtet sich als nicht zuständig und erklärt die ökonomischen Probleme Nordkoreas zu einem rein regionalen Problem. Andererseits aber droht sie mit Wirtschaftsblockaden gegen den Norden, und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erklärte Ende Dezember im Hinblick auf die gleichzeitige Eskalation im Irak- und Nordkoreakonflikt, dass die USA sehr wohl in der Lage seien, an zwei Fronten zu kämpfen und zu siegen.

Äußerungen wie diese hört man in Südkorea nicht gern, denn allen ist klar, dass bei einem Angriff auf den Norden der Süden das Hauptziel der Vergeltungsschläge wäre. Nordkorea unterhält, vor allem in unmittelbarer Nähe der entmilitarisierten Zone, die beide Staaten trennt, ein Heer von 1,1 Millionen Soldaten. Allein seine dort konzentrierte weitreichende Artillerie kann Seoul in eine Flammenhölle verwandeln.

Zumindest die Regierung in Seoul aber vertraut auf die Zusage der USA, den Konflikt mit friedlichen Mitteln zu lösen. Besorgter ist man derzeit über die von Washington angedrohten Sanktionen, die im Norden zu einem ökonomischen Zusammenbruch mit unkalkulierbaren Folgen führen könnten. Der am 19. Dezember neu gewählte südkoreanische Präsident Roh Moo-hyun, der Ende Februar das Amt von Kim Dae-jung übernehmen wird, versicherte, dass er den Weg der wirtschaftlichen und politischen Annäherung an den Norden konsequent fortsetzen will.

Umfassende Wirtschaftssanktionen würden Südkorea unweigerlich in Widerspruch zu den USA bringen. Um dem vorzubeugen, versucht es Seoul jetzt mit einer vor allem an China und Russland gerichteten diplomatischen Initiative. Sie sollen Nordkorea nachdrücklich auffordern, sein atomares Rüstungsprogramm zu beenden. Darüber hinaus will Roh eine Vermittlerrolle zwischen Nordkorea und den USA spielen.

Davon allerdings will die nordkoreanische Regierung nichts wissen. »Es gibt keinerlei Veranlassung, eine dritte Partei als Vermittler in der Nuklearfrage einzuschalten«, verkündete die Parteizeitung Rodong Sinmun Ende Dezember. Die DVRK will ausschließlich und ohne jegliche Vorbedingung mit den USA verhandeln. Beharrt Pjöngjang auf diesem Standpunkt, dürfte Rohs Initiative scheitern.

In Südkorea aber wird auch eine andere Möglichkeit diskutiert. Seit Jahrzehnten behauptet die DVRK, dass das Haupthindernis für eine friedliche Wiedervereinigung der beiden Koreas die Anwesenheit der US-Truppen im Süden sei. Seit nunmehr über einem Monat protestieren in Südkorea Millionen Menschen gegen die US-Militärpräsenz. Auch Präsident Roh, der seinen Wahlsieg nicht zuletzt seiner Kritik an den USA verdankt, sprach gegenüber der Korea Times von einem möglichen Abzug der US-Truppen.

Und selbst in den USA mehren sich die Stimmen, die eine solche Lösung befürworten. »Wenn es wirklich Amerikas strategisches Ziel ist, Nordkorea davon abzuhalten, Asiens Hort des Terrors zu werden – hier ist der Weg dazu: Beginn des Abzuges der US-Truppen«, so ein Kommentar in der New York Times vom 26. Dezember.

Vor allem die jüngeren Menschen in Südkorea sehen hierin den Ausweg aus der Krise. »Das würde den Weg frei machen für eine wirklich friedliche Entwicklung in ganz Nordostasien«, so ein Student bei einer Protestveranstaltung in der Nähe der US-Botschaft in Seoul. »Dann werden wir Kim Jong-il beim Worte nehmen und, wenn nötig, auch gegen ihn und für eine konsequente Abrüstung und Demokratie im Norden Massendemonstrationen organisieren. Wir werden uns weder von den alten Männern in Washington noch in Pjöngjang die Zukunft versauen lassen.«