Alemán über Bord

Der ehemalige nicaraguanische Präsident Arnoldo Alemán muss sich wegen Geldwäsche vor Gericht verantworten, weitere Korruptionsskandale gefährden die Macht der Regierungspartei.

Nach monatelanger Anspannung kann Nicaraguas Bevölkerung aufatmen. Die Entmachtung des ehemaligen Präsidenten Arnoldo Alemán führt nicht in die bewaffnete Konfrontation, sondern zu politischem Realismus der Hauptakteure. Ob sie allerdings willens sind, die Forderungen der Bevölkerung nach einer grundlegenden Verbesserung der verheerenden Lebenssituation ernst zu nehmen, bleibt fraglich. Enrique Bolaños, Daniel Ortega, der katholische Klerus und die USA haben andere Interessen.

Bei seinem Amtsantritt im Januar 2002 hatte der liberale Präsident Enrique Bolaños das Jahr unter das Motto »Kampf der Korruption« gestellt. Kurz vor dem Jahresende stand tatsächlich sein Vorgänger und Parteifreund Arnoldo Alemán, ein wortgewaltiger Rechtspopulist und der Führer des liberalen PLC, wegen Geldwäsche vor Gericht. Zwar wurde ihm ein Aufenthalt im Gefängnis Tipitapa aufgrund einer richterlichen Verfügung bisher erspart, politisch jedoch wird er seinen Prozess nicht überleben. Doch auch das Image des Präsidenten hat erheblichen Schaden genommen.

An Pathos und Zynismus mangelte es Alemán bis zum Schluss nicht: »Wie Nelson Mandela werde ich eines Tages aus dem Gefängnis schreiten, vorher jedoch die Leichen meiner Feinde an mir vorbeiziehen sehen.« Wie es sich für einen Populisten geziemt, wurden immer neue Register gezogen, um die Massen folgsam zu halten und die Abgeordneten einzuschüchtern: Demonstrationen, Indiskretionen über kriminelle Finanzaktionen liberaler Parteigegner, die Ankündigung von Attentaten und der Wiederbewaffnung ehemaliger Contras.

Aber der Druck wurde zu groß. Innerhalb weniger Wochen wurden der wegen seiner Skrupellosigkeit gefürchtete ehemalige Bürgermeister Managuas (1990 bis 1996) und ehemalige Präsident (1996 bis 2002) aller politischen Ämter enthoben. Das Parlament hob seine Immunität auf, und nachdem die USA Ende November Alemán das Einreisevisum entzogen hatten, wurde am 23. Dezember wegen Unterschlagung, Bildung einer kriminellen Vereinigung und Geldwäsche ein Haftbefehl erlassen.

Die Hilfe der USA bei der Antikorruptionskampagne, von Alemán nicht ohne Witz als »Imperialismus« gegeißelt, verlangt allerdings auch nach einer Gegenleistung. So hatte Bolaños auf Verlangen des US-Botschafters Oliver Garza die legitime Forderung von über 5 000 durch Pflanzenschutzmittel verseuchten Nicaraguanern gegenüber Dow Chemical, Shell und Dole per Dekret gestrichen.

Die Konzerne hatten das bereits 1977 international geächtete Pestizid Nemagon bis zum Sturz der Somoza-Diktatur im Jahr 1979 auf ihren Plantagen versprüht. Nach Massenprotesten musste Bolaños das Dekret Anfang Dezember zurücknehmen. Inzwischen wurden die US-Konzerne in Managua zur Zahlung von 500 Millionen Dollar verurteilt.

»Arbeiten wir alle für ein Nicaragua, das sich auf dem Weg in den Fortschritt befindet, (…) ein Nicaragua, das der zentralamerikanischen Integration, dem Kampf gegen Terrorismus, Drogenhandel und Korruption verpflichtet ist.« Diese Rede Bolaños gibt eher die Wünsche der US-Regierung wieder als der Bevölkerung.

Und genau das ist das Problem des Präsidenten. Mit der Entmachtung Alemáns hat er Punkte gesammelt, eine tatsächliche Verbesserung der Lebensbedingungen ist jedoch nicht zu spüren. Mehr als die Hälfte der fünf Millionen Einwohner lebt in Armut, das jährliche Durchschnittseinkommen liegt bei 400 Dollar, und die Analphabetenrate ist auf 33 Prozent gestiegen.

Zwar betrachten die Nicaraguaner Alemán als Hauptverantwortlichen für die Misere, von jeglicher Mitschuld kann sich Bolaños, der unter Alemán Vizepräsident war, keineswegs freisprechen. Auch gegen ihn wird ermittelt, da sich seine Unterschrift auf Schecks illegaler Geldtranfers ins Ausland fand.

Deshalb hat er auch Abstand genommen von seiner vollmundigen Ankündigung, seine Immunität aufzugeben. Schließlich geht es jetzt um das Überleben des antisandinistischen Projekts. Wenn es ihm nicht gelingt, die Parteiführung zu einen und Ermittlungen zu verhindern, bricht der PLC in mehrere Fraktionen auseinander; und vorgezogene Neuwahlen wären das allerletzte, was sich die Partei erlauben kann.

Allerdings bedarf es einiger Anstrengungen, die tief in die Korruption verstrickte Partei zu retten. In der so genannten Canal-6-Affäre wird gegen den ehemaligen Finanzminister Byron Jerez und ranghohe Mitglieder der Regierung Alemán wegen der Unterschlagung von 1,3 Millionen Dollar ermittelt.

Mitgliedern des Alemán-Clans wird außerdem vorgeworfen, sich mittels der staatlichen Baufirma Mayco um Millionen bereichert zu haben. Das Unternehmen führte 40 Bauvorhaben für Alemán durch, wurde nicht bezahlt und so in den Konkurs getrieben und dann von Alemán und Jerez gekauft.

In der so genannten Guaca-Affäre wird gegen denselben Clan wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und Unterschlagung von 97 Millionen Dollar sowie gegen 32 Funktionäre des PLC wegen eines Verstoßes gegen das Parteispendengesetz ermittelt.

Einmal mehr profitiert Daniel Ortega, der Revolutionskommandant und Generalsekretär des sozialdemokratischen FSLN, von der Selbstzerfleischung des liberal-klerikalen Lagers. Er festigt seine Führungsansprüche innerhalb der Partei und zeigt, dass er an seinen Ambitionen auf eine erneute Amtsperiode als Präsident des Landes unbeirrt festhält.

Clever taktierend setzte er sich an die Spitze der gegen Alemán gerichteten Bewegung und sorgte mit den 38 Stimmen des FSLN für die nötigen Mehrheiten der Regierung Bolaños. Die offensichtliche Schwäche des Präsidenten, auf die Stimmen der Sandinisten angewiesen zu sein, wird von Ortega ausgenutzt. Seine Leute bestimmen maßgeblich die Arbeit der parlamentarischen Kommissionen, und mit dem so genannten Pakt Ortega-Obando ist ihm ein unglaublicher Coup gelungen.

Die katholische Kirchenhierarchie, untrennbar mit Alemán verbunden, hatte bis zum Schluss gegen Bolaños intrigiert. Lauthals Freiheit für Alemán und Jerez fordernd, ignorierte Kardinal Obando y Bravo, dass sich die Stimmung geändert hatte. Seine Gesandten wurden in Washington nicht einmal angehört.

Und auch seine Diözese wurde zum Objekt der Ermittler. Statt Fahrzeugen für soziale Arbeiten waren von der katholischen Organisation Coprosa mehr als 160 Luxuskarossen illegal ins Land gebracht und unter Parteifreunden verteilt worden. Als Hauptakteur gilt der oberste Wahlleiter, Roberto Rivas, ein Günstling des antisandinistischen Kardinals. Mithilfe sandinistischer Stimmen wurde er in seinem Amt bestätigt, was ihm Immunität vor Strafverfolgung verschafft.

Als Gegenleistung konnte Ortega erreichen, dass zwei sandinistische Richterinnen zur Präsidentin bzw. zur Vizepräsidentin des höchsten Gerichtshofs ernannt wurden. Nun liegen die oberste Gerichtsbarkeit und auch die Prozesse gegen Bolaños und andere Regierungsmitglieder wegen Verstoßes gegen das Parteispendengesetz in den Händen Ortegas.