Bilanz der Generation

in die presse

»Diese Regierung ist die Regierung meiner Generation.« Diesen schmissigen Satz schrieb Bernhard Schlink in der letzten Ausgabe des Spiegel. Doch der Literat und Juraprofessor meinte damit mitnichten, dass er mit der Regierung zufrieden sei. Nein: »Statt mit den notwendigen Reformen begegnet sie den Schwierigkeiten, in denen Deutschland steckt, mit Flickwerk.« Rot-Grün weigere sich, »neue Konzeptionen der Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen und der Einforderung individueller Verantwortung« mutig anzupacken. Denn die 68er, die diese Regierung vertrete, seien »erschöpft«.

»Der Marsch in die Institutionen hatte Erfolg. Aber zum Marsch durch sie, zum Marsch zu einem Ziel hinter dem, was schon ist, reicht es nicht mehr.« Hinter den Institutionen, so lernen wir, liegt die Zukunft, und das einzige, was zukünftig ist, ist der Sozialabbau. Doch die Regierung sei zu empfindsam und lege »gegenüber Arbeitslosen, Empfängern von Sozialhilfe, Kranken und Alten eine besondere Behutsamkeit bei der Zumutung von Arbeit, Ortswechsel, eigenem Einsatz und eigener Leistung« an den Tag. Die 68er seien verweichlicht, weil ihnen der Aufstand und die Karriere leicht gefallen seien.

Schlink jedoch, selbst ganz 68er, der die Nation mit seinem Roman »Der Vorleser« beglückte, weiß, dass nur hart macht, was Mühe kostet, die 68er es aber in »den Verhältnissen« stets gut hatten. Warum? »Weil die Verhältnisse zunächst zu verunsichert waren, dem Anspruch der 68er-Generation etwas entgegenzusetzen.« So haben die 68er falsche Erfahrungen gemacht, und diese »sind heute in vieler Hinsicht unbrauchbar, in mancher kontraproduktiv«. Kurz: Es fehlt die Erfahrung von Konkurrenz, Leistung, Disziplin. Nur sie ist produktiv.

Und nun muss die fehlende Erfahrung durch die Vernunft oder das, was Schlink dafür hält, ersetzt werden. Er ruft die Regierung zur »Einsicht in die vorhandene Reform- und auch Opferbereitschaft« des deutschen Volkes auf, ganz selbstsüchtig. Denn nur so gelänge es seiner Regierung, »die Bilanz der Generation, deren Regierung sie ist, doch noch positiv zu wenden«.

jörg sundermeier