Blühende Landschaften

Treffen des Chaos Computer Clubs in Berlin

Einen nie dagewesenen Ansturm von Nachwuchshackern erlebte der jährliche Chaos Communication Congress vom 27. bis 30. Dezember in Berlin. Statt bislang 2 000 tummelten sich diesmal an die 3 000 Computerfreaks im nun viel zu engen »Haus am Köllnischen Park« beim Chaos Computer Club (CCC). Netzdemokratie, Datenüberwachung, Raubkopieren, Psychomanipulation waren brisante Themen der größten europäischen Hacker-Convention des Jahres 2002.

Der Niedergang der Internet-Demokratisierung im Zuge des »Kampfes gegen den Terror«, der Ausbau des Echelon-Spionagesystems in der Schweiz, die Angleichung des EU-Urheberrechts an das US-Copyright nebst einer neuen Variante von technischem Kopierschutz waren Höhepunkte des umfangreichen Veranstaltungsprogramms. Andy Müller-Maguhn, bekanntestes Clubmitglied und gewählter Direktor im Internetgremium Icann (Internet Commitee for Assigned Names and Numbers), berichtete von der stillen Abwicklung dieser jungen Institution.

Vor zwei Jahren waren die Icann-Wahlen mit viel Pomp als Beginn einer neuen, demokratischen Ära des Internet gefeiert worden. Bislang wurden dessen Strukturen und Standards allein von Technokraten der US-Regierung festgelegt, nun sollte wenigstens die Vergabe der wichtigen Namensräume des Internets einer Kontrolle durch die Vertreter anderer Nutzergruppen unterworfen werden.

Dafür wählten die Internetnutzer der Welt vier von neun Icann-Direktoren, fünf Plätze besetzt die US-Bürokratie. In Europa konnte sich Müller-Maguhn gegen Kandidaten von Siemens, der Telekom und der akademischen Informatikerschaft durchsetzen, um seither verdutzte US-Technokraten mit dem Standpunkt der deutschen Hacker-Subkultur bekannt zu machen.

Die Stimmenmehrheit garantierte zwar weiterhin die US-Dominanz im Netz, aber lästig genug für eine Beseitigung der jetzigen Icann scheint der Status quo den Behörden zu sein. Ein »Evolutional Reform Committee« soll nun demokratische Ineffizienz beseitigen.

Widerstand im Netz wird nicht ausbleiben, und er ist keineswegs zwecklos. Auch gegen eine Anpassung des europäischen Urheberrechts an das US-Copyright regt sich Protest. Die Stärkung der Medienindustrie gegen Künstler und Kunden wird in Brüssel nicht ohne Echo bleiben, und auch die neue TCPA-Technologie der Industrie findet wenig Anklang bei Hackern. TCPA (Trusted Computer Program Architecture) soll als schon in den Computerchip eingebautes Signatursystem künftig die Rechte von Kirch, Warner & Co. bis in jedes Kinderzimmer wahren.

Doch es wurden nicht nur Probleme gewälzt. »Art & Beauty« zeigte Video- und Lasershows, die Bielefelder Foebud-Gruppe verteilte ihre Big Brother Awards an Datensünder, im Häcksenraum wurde »Blinkenlights« demonstriert, ein Computerlichtspiel an Hausfassaden, das Hackcenter hackte auf Teufel komm raus, und die »Deutsche Meisterschaft im Schlossöffnen« befriedigte auch die Freunde rein mechanischer Einbrecherkunst.

Ein gelungener Kongress, der sich im nächsten Jahr wohl ein größeres Domizil wird suchen müssen, denn die Hacker-Subkultur blüht im Antiterror-Totalitarismus so richtig auf.

thomas barth