Das Militär hat’s schwer

Je wahrscheinlicher der Irakkrieg wird, desto stärker wird der Zweifel US-amerikanischer Generäle. von thomas uwer

Die bekannte Weisheit, dass das in der Rede vom »Wir« akklamierte Kollektiv ein unzuverlässiger Partner ist, steht um die Neujahrszeit stets hoch im Kurs. Kein Appell an den Gemeinsinn, der nicht auf einen kommenden Ärger einzustimmen gedächte, der in diesem Jahr ganz besonders dick ausfallen könnte. Denn mit der Mobilisierung weiterer US-amerikanischer Truppenverbände am Golf ist ein Krieg gegen den Irak merklich näher gerückt.

Doch anstelle der erwarteten Klärung der Fronten herrscht weiter Verwirrung über die zu erwartende Konstellation. Während die deutsche Bundesregierung angesichts des scheinbar Unausweichlichen ihre mögliche Zustimmung zu einem vom UN-Sicherheitsrat mandatierten Militärschlag bereits angekündigt hat, ohne dass »wir von unserer grundsätzlichen Haltung abweichen« würden (Gerhard Schröder), bröckelt die Front der Befürworter eines schnellen Krieges innerhalb der USA. Je wahrscheinlicher der Krieg wird, desto deutlicher melden sich jene zu Wort, die einen raschen Militärschlag skeptisch betrachten.

Die auf einen jederzeit möglichen Krieg ausgelegte Strategie der Regierung sei eine Rechnung mit zu vielen Unbekannten, warnten bereits vor Wochen US-amerikanische Generäle. Denn nach wie vor sei nicht geklärt, über welche militärischen Möglichkeiten das Regime Saddam Husseins verfüge. Gemeint ist damit nicht nur die Gefahr des Einsatzes chemischer und biologischer Waffen, sondern auch die zu erwartende Reaktion des irakischen Militärs im Falle eines Angriffs. Auf rund 100 000 Mann werden die regimetreuen Truppen der Republikanischen Garden und anderer Eliteeinheiten geschätzt.

Dass Saddam Hussein selbst diesen Truppen kein Vertrauen schenkt, muss nicht unbedingt als Hinweis auf einen schnellen Erfolg gewertet werden. Denn während wenige Zweifel daran bestehen, dass das Regime im Falle eines Krieges in sich zusammenbrechen würde, ist längst nicht absehbar, wie dieser Zusammenbruch vonstatten gehen würde. So meldeten der New York Times zufolge auch britische und US-amerikanische Nachrichtendienste jüngst Zweifel an, dass das Militär bereits bei einem Angriff aus der Luft mit dem Regime brechen werde. Die Militärführung würde sich erst gegen Hussein wenden, »wenn sie die ersten Schüsse selber« höre.

Wenn sich dann, wie spekuliert wird, ein Militärputsch innerhalb der irakischen Führungsriege ereignete, stünde auch die unter schwierigen Voraussetzungen zusammengeschweißte Anti-Saddam-Front vor einem ernsthaften Problem. Weder die Kurden im Norden noch die Schiiten im Süden des Landes würden sich mit einem derartigen Putsch zufrieden geben. Auch der zu erwartende Aufstand der Bevölkerung zur Befreiung von der baathistischen Diktatur stünde im offenen Widerspruch zu einem Militärputsch der verhassten Eliten.

Die Sorge der US-Militärs ist vor diesem Hintergrund verständlich. Ein den Krieg verkürzender Umsturz innerhalb der militärischen Führung, von dem man sich erhofft, er werde sowohl verlustreiche Kämpfe als auch den Einsatz von irakischen Massenvernichtungswaffen verhindern, droht zugleich jenen irakischen Bürgerkrieg zu provozieren, den man auch mit Blick auf die Nachbarstaaten möglichst zu vermeiden sucht. Ein Krieg gegen den Irak, so die Kritik der US-amerikanischen Generäle an der Regierung Bush, könne sich schon deshalb wesentlich schwieriger gestalten und erfordere eine maximale Truppenpräsenz. Eine derart große Mobilisierung koste nicht nur Zeit, sondern mache den Einsatz auch für Hussein berechenbar.

Die vom US-Militär gepflegte Doktrin der sicheren Überlegenheit steht somit der Politik eines jederzeit möglichen Präventivschlags diametral entgegen. Denn was für die US-Regierung politisch wünschenswert ist, stößt bei den Militärs auf größte Bedenken. Die Schwäche des irakischen Regimes, das einen Krieg kaum überleben würde, macht eine Planung über den direkten militärischen Einsatz hinaus erforderlich, will man vermeiden, dass aus dem kurzfristigen Sieg über Hussein eine schmerzliche Niederlage wird.

Mehr als die Kritik aus den eigenen Reihen dürfte der Bush-Administration derzeit die viel beschworene »arabische Straße« Sorgen bereiten. Einmal mehr gehen die Prognosen über mögliche Reaktionen in anderen arabischen Ländern auseinander. Prophezeien die einen eine Renaissance des arabischen Nationalismus und den Aufstand der Massen, so versprechen sich andere vom Sturz des Regimes und einer nationalen Revolution die Signalwirkung, dass Besserung auch im eigenen Lande möglich ist.

Dass über die wahren Befindlichkeiten der jeweiligen Bevölkerungen wenig Zuverlässiges bekannt ist, sagt einiges über den gesellschaftlichen Stillstand dieser Staaten aus. Während jene panarabische und islamistische Mobilisierung, die man heute fürchtet, zu Recht als ein Instrument analysiert wird, mittels dessen sich die Staatsklasse und lokale Eliten in den einzelnen Gesellschaften an der Macht halten, bleibt weiterhin fraglich, wie erfolgreich dieses Instrument im Falle eines Irakkrieges eingesetzt werden kann.

Außer Zweifel steht, dass die Möglichkeit eines innerirakischen Regimesturzes auch von anderen arabischen Regierungen als Bedrohung wahrgenommen wird. Israelische Quellen fürchten daher, die irakische Regierung könnte deswegen einem erwarteten US-amerikanischen Militärschlag mit einem Angriff auf Israel zuvorkommen, um den Konflikt auf die gesamte Region auszuweiten. Sollten dann mit syrischer Unterstützung die Hizbollah und palästinensische Milizen einen Angriff unternehmen, dann wäre Israel einem Mehrfrontenkrieg ausgesetzt.

Fast verhalten fielen daher auch die Worte George W. Bushs zum Neujahrstag aus. Von einem regime change in Washington selbst war wenig zu hören. So erklärte Bush zwar, Saddam Hussein müsse begreifen, dass »der Tag der Abrechnung näher rückt«, und der Außenamtssprecher Richard Boucher fügte hinzu, der irakische Diktator müsse entweder »sein Gebaren oder seinen Aufenthaltsort ändern«.

Die US-amerikanische Regierung konzentriert sich jedoch weiterhin auf die Frage der irakischen Massenvernichtungswaffen und lässt es offen, welchen Irak sie sich nach einem Kriegseinsatz erhofft. Angesichts aller jetzt beschrieben Risiken könnte sich die Idee eines begrenzten Krieges ohne grundlegenden Systemsturz durchsetzen.

Auf Kritik stieß daher auch der zum Jahresanfang vorgelegte Bericht der US-Regierung, wonach die prognostizierten Kosten eines Irakkrieges auf rund 60 Milliarden US-Dollar geschätzt werden. Die Summe entspricht in etwa den Kosten des letzten Golfkrieges und deckt lediglich den militärischen Einsatz. Die damit revidierte Prognose vom vergangenen Sommer ging noch von 200 Milliarden Dollar aus, inklusive der zu erwartenden Folgekosten für die Demokratisierung des Landes.

Welche Rolle die irakische Opposition unter diesen Bedingungen künftig spielen wird, bleibt weiter fraglich. Bereits jetzt jedoch zeichnet sich ab, dass das unter dem Druck der Ereignisse gebildete Bündnis das vielleicht einzige im Zusammenhang des Konfliktes akklamierte Kollektiv ist, das Befreiung verspricht.