Annamaria De Palma ist Sprecherin des antirassistischen Netzwerks Venezia-Mestre

»Der Migrantenstreik war wunderbar«

In Italien hat die Regierung Berlusconi ein neues Immigrationsgesetz verabschiedet, das zahlreiche repressive Regelungen vorsieht: stärkere Kontrollen der italienischen Küste durch die Marine und die Pflicht für alle in Italien lebenden Menschen, ihre Fingerabdrücke polizeilich registrieren zu lassen. Doch nicht nur die staatliche Kontrolle wird für Nicht-EU-Ausländer verschärft. Mit der Koppelung der Aufenthaltserlaubnis an vorweisbare Arbeitsverträge werden sie auch der Willkür der Unternehmer unterworfen.

Die italienische Regierung hat im Spätsommer ein neues Immigrationsgesetz, das Bossi-Fini-Gesetz, eingeführt. Welche grundlegende Neuerung ist darin enthalten?

Der Mensch, der nicht aus der EU kommt, wird darin als Arbeitsmaschine definiert. Seine Anwesenheit in Italien ist an einen Arbeitsvertrag gekoppelt. Die Aufenthaltserlaubnis verwandelt sich in einen Aufenthaltsvertrag. Und sie gilt so lange wie der Arbeitsvertrag, höchstens aber zwei Jahre – auch dann, wenn der Arbeitsvertrag unbefristet ist. Zuvor konnte die Erlaubnis vier Jahre lang gelten. Nun hast du lediglich sechs Monate Zeit, einen neuen Job zu finden. Findest du ihn nicht, etwa weil du krank bist, verlierst du die Chance, in Italien zu bleiben, selbst wenn du schon 20 Jahre hier gelebt hast. So bist du immer in Gefahr.

Welche Auswirkungen hat es, wenn die Immigration auf die Bedürfnisse der Unternehmer abgestimmt wird?

Indem Arbeitnehmer geschaffen werden, die total vom Arbeitgeber abhängig sind, wird das allgemeine Niveau der Arbeitsbedingungen nach unten gedrückt. In dieser Hinsicht steht diese neue Regelung nicht allein da. So gibt es die Auseinandersetzungen um den Kündigungsschutz oder das »Weiße Buch« von Minister Maroni von der Lega Nord, wonach verschiedene Formen von Leiharbeit oder, wie wir es nennen, Sklavenarbeit eingeführt werden sollen. Die gibt es faktisch schon länger, jetzt aber werden sie institutionalisiert.

In welchen Bereichen des italienischen Arbeitsmarktes wird migrantische Arbeitskraft benötigt?

Praktisch in allen: in der Gastronomie, im Tourismus und in den kleinen Unternehmen, der so genannten fabbrica diffusa. Im Westen und im Norden auch in den großen Fabriken, in der Gegend um Bologna in den vielen Gerbereien und Stahlgießereien, und im Süden in der Landwirtschaft.

Jenseits des neuen Immigrationsgesetzes wurde eine Art Legalisierung illegalisierter Immigranten geregelt. Vom 11. September an konnten im Rahmen dieser »Sanatoria« zwei Monate lang Anträge dafür ausgefüllt werden. Wie viele Illegalisierte betraf das?

Bei dieser »Sanatoria« gab es allein 675 000 Anträge. Aber die Dunkelziffer ist hoch. Im Süden in der Landwirtschaft arbeiten mindestens eine Million Illegale.

Von diesen 675 000 Menschen sind 40 Prozent Frauen aus den osteuropäischen Ländern. Diese Frauen sind zum Teil hoch gebildet und qualifiziert. Sie arbeiten überwiegend in Familien und werden als »badanti« bezeichnet, was ungefähr »Aufpasserinnen« bedeutet. Speziell für sie wurde dieses neues Wort kreiert. Diese Frauen kümmern sich vor allem um ältere Menschen.

In Italien gibt es nicht so viele Altersheime wie in Deutschland; fast alle alten Menschen leben in ihrer Familie, und kaum jemand kann sich einen Pfleger leisten, der 24 Stunden auf die Großmutter aufpasst, wenn sie Alzheimer hat. Diese Frauen machen die Arbeit, die sonst niemand in der Familie machen will, und sie werden oft nicht einmal richtig entlohnt. Sie sind total erpressbar, sie machen die Drecksarbeit. Und auf sie war die »Sanatoria« zunächst zugeschnitten.

Wie funktioniert diese »Sanatoria«?

Nicht der Arbeitnehmer sagt, ich gehe jetzt hin und legalisiere mich; der Arbeitgeber entscheidet, ob er den Arbeitnehmer anmeldet oder nicht. Es waren die Arbeitgeber, die die Formulare abgeholt, ausgefüllt und unterschrieben haben.

Anfangs wurde das für die »badanti« eingeführt, der ganze Norden wollte unbedingt deren Legalisierung. Die Frauen sind in der dort vorherrschenden Familienökonomie sehr wichtig, sie mussten legalisiert werden. Dabei hat einerseits der Druck der Industriellen, aber andererseits auch vor allem der katholischen Welt eine wichtige Rolle gespielt.

Am 11. September hat die »Sanatoria« angefangen, und sie hätte am 11. Oktober aufhören sollen. Aber dann wurden permanent die Fristen verändert, Arbeiter aus anderen Produktionsbereichen kamen hinzu, und deswegen dauerte die »Sanatoria« dann einen Monat länger.

Wenn Migrations- und Arbeitsmarktpolitik so eng verkoppelt werden wie nun in Italien, wie hat sich das Verhältnis der antirassistischen Bewegung und der Gewerkschaften entwickelt?

In der Zeit, in der das vorige Immigrationsgesetz verabschiedet wurde, haben die Gewerkschaften bis auf die Cobas, die linken Basiskomitees, nie den Mund aufgemacht.

Um sich damals, vor dem Regierungswechsel im Jahr 2001, nicht mit der Mitte-Links-Regierung anzulegen?

Richtig. Mittlerweile hat sich auch die linke CGIL an antirassistischen Mobilisierungen beteiligt. Die Präsenz der Gewerkschaft in dieser Bewegung ist neu. Es ist wichtig, dass die CGIL jetzt dabei ist, weil sie als einzige institutionelle Form sozusagen eine Art Deckung oder Schirm darstellt.

Seit den vielen Auseinandersetzungen im Frühjahr spielt die Gewerkschaft eine wichtige Rolle. An der Demonstration in Rom Ende März gegen die Verschlechterung des Kündigungsschutzes beteiligten sich etwa drei Millionen Menschen. Mitte Mai gab es einen Generalstreik. Und man muss im Kopf behalten, dass die CGIL auf lokaler Ebene, etwa in Vicenza in Norditalien, für den 15. Mai den ersten Migrantenstreik ausgerufen hat. Das hat wunderbar geklappt. Wir haben uns mit Gewerkschaftern aus Brescia, Bologna, Verona, Reggio Emilia, Venedig und Padua getroffen, um diese Gebiete mit zu mobilisieren und den Streik auszuweiten.

Welche organisatorischen Strukturen tragen die antirassistische Arbeit hauptsächlich?

Ich komme aus dem antirassistischen Netzwerk von Venedig, ähnliche Strukturen gibt es auch in anderen Städten. Zudem existieren in vielen Städten die Sozialen Foren wie etwa in Genua, und es gibt das Liliputnetz, das aus der katholischen Kirche stammt. Diese Gruppen sind eng miteinander vernetzt. Wir arbeiten unabhängig. Niemand bekommt Geld für diese Arbeit.

Das letzte Jahr war eines großer sozialer Mobilisierungen und Auseinandersetzungen in Italien. Ein kleiner Ausblick in die Zukunft: Wie wird sich das weiterentwickeln?

Es ist sehr schwer zu prognostizieren, was passieren wird. Im Moment sieht Italien aus wie eine große soziale Werkstatt. Du hast die Sozialen Foren, die katholische Welt ist gut organisiert, die Gewerkschaft, die sich auch in die Richtung bewegt, die Cobas sind stärker als früher. Dann gibt es die »Girotondi«, diese Ringelreihen-Demonstrationen. Sie bringen Leute auf die Straße, die sonst nie demonstrieren würden. Politisch wird man sich mit ihnen sicher in die Haare kriegen, aber es scheint zurzeit ein sehr großes gesellschaftliches Bewusstsein in Italien zu geben.

Dieses neue Bewusstsein auf sozialer Ebene hat aber keinen Gegenpart in der Politik. Die offizielle politische Welt tut so, als wäre nichts im Gange. Die einzige Ausnahme ist Rifondazione Comunista. Die sozialdemokratische DS geht nie mit uns auf die Straße, einzelne Personen sicher, aber nicht die Organisation als solche. Jedenfalls ist alles sehr lebendig hier. Italien übernimmt vielleicht nicht die Führung, aber es könnte ein Funken überspringen auf die anderen Länder in Europa.