Die Grenzen der Offenheit

Wir dokumentieren ein Diskussionspapier des Attac-Koordinierungskreises über Antisemtismus, Rassismus und Nationalismus

I.

Attac versteht sich als pluralistisches und offenes Bündnis, in dem Individuen, Gruppen und Organisationen unterschiedlicher politischer Position für soziale und ökologische Gerechtigkeit im Globalisierungsprozess streiten. Pluralismus ist jedoch keine prinzipienlose Beliebigkeit, sondern findet dort seine Grenzen, wo Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus ins Spiel kommen. Diese Abgrenzung ist prinzipiell und kategorisch. Denn Attac steht in der Tradition emanzipatorischer Strömungen und sozialer Bewegungen, die mit reaktionären Ideologien jeglicher Spielart unvereinbar sind.

II.

Diese Grenzziehung ist aber auch aus einem aktuellen Grund von Bedeutung, der mit dem Thema von Attac zu tun hat: der neoliberalen Globalisierung. Als historischer Umbruch, der tief in den Alltag der Menschen eingreift, ruft diese dementsprechend Reaktionen in allen gesellschaftlichen Sektoren hervor. Verschärfte Konkurrenz, Ellbogenmentalität und Ausgrenzung sind Symptome dieser Entwicklung. Das erzeugt Emotionen, Ängste und Abwehr. Diese werden durch die ganze Bandbreite der in der Gesellschaft vorhandenen Deutungsmuster wahrgenommen und verarbeitet, darunter auch Irrationalismus, mitunter auch Abstruses, in einigen Fällen auch Reaktionäres wie Schuldzuweisungen an Ausländer, Juden und andere Minderheiten.

Besonders gefährlich werden scheinbar vorpolitische rassistische, antisemitische und nationalistische Stereotypen, wenn sie mit staatlicher Politik verbunden werden. Beispiele für staatlich praktizierten Rassismus sind die Verteidigung des »Standorts Deutschland« oder die so genannte »Ausländerpolitik« beim »Green-Card-Regime«, mit der der Staat den reaktionären Befindlichkeiten in weiten Sektoren der Gesellschaft Vorschub leistet. Dies zielt eben nicht auf ein von allen »Fremden gereinigtes« Deutschland, wie es der offene Rassismus tut, sondern »nur« auf die selektive Durchlässigkeit »unserer« Grenzen nach wirtschaftlichen Interessen. Das ist im Kern aber nicht weniger rassistisch als die Hetze der Straßennazis – und doch handelt es sich um einen Rassismus, der gerade in seinem Unterschied zum offenen Rechtsextremismus salonfähig ist.

Die Emotionen und Abwehrreaktionen gegen die neoliberale Globalisierung sind daher zunächst einmal höchst ambivalent. Das nutzen rechte Rattenfänger aus. Dagegen ist es das zentrale Anliegen von Attac, eine emanzipatorische Alternative zur neoliberalen Globalisierung zu entwickeln und rassistische, antisemitische und nationalistische Krisenlösungen zu verhindern.

III.

In letzter Zeit wurde die prinzipielle Haltung von Attac gegenüber Antisemitismus und Nationalismus mehrfach in Zweifel gezogen. Ein Anlass war die Beteiligung von cirka 20 Neonazis an einer von Attac-München organisierten Antikriegskundgebung am 22. November. Auf Attac-Mailinglisten tauchen auch Verteidiger und Verteidigerinnen Möllemanns und Karslis ebenso wie Funktionäre der rechtsextremen Bürgerbewegung Solidarität auf. In einigen Fällen wurden jedoch auch unzutreffende Vorwürfe verbreitet.

Es ist klar, dass diese Begebenheiten öffentlich geklärt werden müssen. Rechtsextreme Positionen jeder Art haben im Netzwerk keinen Platz, und es kann keinerlei Zusammenarbeit mit diesen Kräften geben.

Gleichzeitig ist uns klar, dass es mit Erklärungen und selbst mit organisatorischen Konsequenzen allein nicht getan ist. Die Auseinandersetzung mit Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus ist eine ständige Aufgabe und Bestandteil unseres Anspruchs, politische Lernprozesse zu ermöglichen. Dabei halten wir zwei Fragenkomplexe für besonders klärungsbedürftig: 1. Nationalismus, Antiamerikanismus und Irak-Krieg; 2. Finanzmarktkritik und Antisemitismus.

IV.

In geradezu atemberaubender Geschwindigkeit erweist sich, dass der Fortgang der herrschenden Form der Globalisierung zunehmend militärisch abgesichert wird. Unter der Drohung eines Krieges gegen den Irak hat das Europäische Sozialforum in Florenz eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass die globalisierungskritische Bewegung heute zugleich eine Bewegung gegen den Krieg ist. Wir müssen uns einem Krieg gegen den Irak und überhaupt dem »lang anhaltenden Krieg gegen den internationalen Terrorismus« unzweideutig widersetzen.

Unzweideutig heißt aber nicht nur, ohne Wenn und Aber gegen diesen Krieg zu sein. Denn hier öffnet sich eine Flanke zum Rechtsextremismus, und auch hier wirken seit langem eingeschliffene Denkmuster, die von staatlicher Politik in Deutschland und Europa systematisch mobilisiert und aktualisiert werden.

So verdankt sich die Wiederwahl der Regierung Schröder/Fischer zu einem erheblichen Teil ihrer jedenfalls im Wahlkampf behaupteten Ablehnung des von der Bush-Administration vorbereiteten Krieges gegen den Irak.

Demgegenüber müssen wir klarstellen, dass die den Globalisierungsprozess dominierenden Staaten die Militarisierung ihrer »Weltinnenpolitik« gemeinsam vorantreiben. Zugleich müssen wir zeigen, dass und wie deren Widersprüche nicht am »Ob«, sondern vor allem am »Wie« einer militärischen Kontrolle der Globalisierung aufbrechen. Ebenso gilt es, im Wechselspiel von Gemeinsamkeiten und Differenzen auch die besondere Dynamik zu berücksichtigen, die sich aus dem Status einer imperialen Supermacht im Unterschied zu dem ihrer europäischen Juniorrivalen ergibt.

Tatsächlich hat die Regierung Schröder/Fischer die deutsche und europäische Außen- und »Sicherheits«-Politik in einem Maße militarisiert, zu dem frühere Regierungen nicht in der Lage waren. Deutsche Truppen kämpfen mittlerweile überall in der Welt, und sie tun dies selbstverständlich in »wohlverstandenem nationalen Interesse«. Darüber hinaus forciert die Bundesregierung den Aufbau sowohl einer Interventionstruppe der EU wie der Nato.

In ihrer Selbstdarstellung bedient sie dabei nicht nur rassistische Vorurteile, derzeit vor allem gegen »den Islam«, sondern zugleich antiamerikanische Ressentiments. Dieser Antiamerikanismus war historisch auch in manchen Teilen der Arbeiter- und der Friedensbewegung wirksam. Der Rückgriff aufs Ressentiment ist in weiten Teilen eben nicht antimilitaristisch oder pazifistisch, sondern in wechselnder Akzentuierung deutschnational oder eurozentristisch motiviert. Gerade deshalb müssen wir klarstellen, dass sich unser Widerstand gegen sämtliche Kriege richtet.

Das bedeutet auch Kritik an der Politik Washingtons. Das ist kein Antiamerikanismus. Der Missbrauch des Antiamerikanismusvorwurfs, wie er z.B. aus einigen Kreisen der CDU/ CSU betrieben wird, läuft auf eine pauschale Rechtfertigung der US-Politik hinaus.

Zugleich müssen wir deutlich machen, dass unsere Ablehnung des Kriegs keine Verteidigung des irakischen Regimes darstellt; unsere Solidarität gilt der Bevölkerung, der demokratischen Opposition des Irak. Sie gilt den Flüchtlingen aus dem Irak, deren Aufenthalt in Deutschland und Europa nicht nur von Straßennazis, sondern auch und gerade von staatlicher Politik bedroht wird.

V.

Die kritische Darstellung der Rolle der internationalen Finanzmärkte und der zahlenmäßig enorm gestiegenen Kapitalflüsse spekulativen Charakters hat dazu geführt, dass Attac aus einigen Zirkeln vorgeworfen wurde, sich in der Nähe rechtsextremer Ideologien zu bewegen. Tatsächlich kommt es in diesem Zusammenhang entscheidend auf die Form und die Perspektive an, in der die Finanzmärkte kritisiert werden.

So gibt es eine »Kritik« der Spekulation seitens der Nazis, die hauptsächlich mit der Unterscheidung eines »schaffenden« (deutschen, nationalen, produktiven) Industrie- und eines »raffenden« (»jüdischen«, »internationalen«, »spekulativen«) Finanzkapitals arbeitet. Letzteres wurde für sämtliche Krisen der Gesellschaft verantwortlich gemacht. Dabei wurde das »über alle Grenzen vagabundierende« Finanzkapital in der Figur des »parasitären« Spekulanten und dieser in der Figur des »boden- und heimatlosen Juden« personifiziert. Die Überwindung kapitalistischer Krisenhaftigkeit konnte dann folglich mit der Vernichtung der Juden gleichgesetzt werden.

Die Kritik der Finanzmärkte, wie sie von Attac formuliert wird, hat mit dieser faschistischen Pervertierung von Begriffen der politischen Ökonomie, die beispielsweise in den Arbeiten von Rosa Luxemburg über das Finanzkapital verwendet wurden, so wenig gemein, wie Sozialismus mit Nationalsozialismus. Die Personifizierung von Krisen der Globalisierung in der Figur des »parasitären Spekulanten« u.ä. ist in den Texten von Attac-Deutschland nicht zu finden.

Die Kritik an den Ursachen der Globalisierungskrisen kann nicht von Personen, sondern nur von sozialen und ökonomischen Verhältnissen ausgehen. Ebenso wenig akzeptabel ist die völkische Perspektive eines Bündnisses zwischen »ehrlicher« Arbeit und »ehrlichem« Kapital im Interesse der – im Wortsinn – nationalen Ökonomie. Tatsächlich waren und sind Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus oft mit einer Ideologie der (deutschen) Arbeit als der »Quelle allen Reichtums« verbunden.

Eine Kritik der Finanzmärkte darf dies nicht außer Acht lassen. Nur aus der Perspektive eines globalen Kampfes um soziale und demokratische Rechte wird sie sich von ihrer nationalökonomischen Beschränktheit lösen und der Gefahr einer auch ausdrücklich nationalistischen, rassistischen und antisemitischen Wendung entgehen. Eine demokratische Kontrolle der Finanzmärkte und ein globales Recht auf gleichen Zugang zu den Ressourcen eines selbstbestimmten Lebens wird auch und gerade gegen die Politik der führenden Nationalstaaten durchgesetzt werden müssen.

Der Text wurde redaktionell gekürzt. Die vollständige Version ist unter www.attac-netzwerk.de/archiv/antisemit.php zu finden.