Volk ohne Biss

Geplante Reform des Gesundheitswesens

von philipp steglich

»Wenn man dem Volk weniger zu beißen gibt, was braucht es dann schon gesunde Zähne.« Dies sei das Muster der Politik Helmut Kohls, sagte der damalige Kanzlerkandidat der SPD, Gerhard Schröder, im Bundestag kurz vor der Wahl 1998. Gleich nach dem Wahlsieg hob die rot-grüne Regierung dann einige der Sparmaßnahmen der Regierung Kohl auf. So erhielten nach 1978 geborene Kinder und Jugendliche wieder Anspruch auf Kassenleistungen zum Zahnersatz.

Doch eine Legislaturperiode später werden wieder, ähnlich wie unter Helmut Kohl, Opfer verlangt. Die Reformkommission für Rente und Gesundheit unter der Leitung des Wirtschafts- und Finanzwissenschaftlers Bert Rürup wurde von der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) berufen, sie soll sich »vorurteilsfrei und ohne Tabus« über die Zukunft der unterfinanzierten Kranken- und Rentenversicherung Gedanken machen.

Dabei stand die Richtung von vornherein fest. Die Lösung darf nicht in der Erhöhung des Arbeitgeberanteils, sondern nur in dessen Senkung liegen. Denn der Standort soll durch geringere Lohnnebenkosten und eine höhere Profitrate attraktiver werden. Von Tabulosigkeit kann beim Auftrag für die Rürup-Kommission keine Rede sein.

Ganz in diesem Sinne hat sich in der vergangenen Woche, wenn auch unabgesprochen und voreilig, das Kommissionsmitglied Bernd Raffelhüschen zu Wort gemeldet. Der Finanzexperte, der auch Mitglied des Wirtschaftsrats der CDU ist, fordert eine Selbstbeteiligung von 900 Euro pro Jahr an den Arzt- und Medikamentenkosten sowie einen Wegfall der Kassenleistungen für Zahnbehandlungen bis zum Jahr 2014.

Damit geht er den noch vom früheren Gesundheitsminister Norbert Blüm (CDU) eingeschlagenen Weg, der mit der Einführung der Selbstbeteiligung an den Arzneikosten begann, konsequent weiter. Die ehemals von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu gleichen Teilen getragenen Kosten werden einseitig auf die Arbeiter und Angestellten abgewälzt.

Die Äußerungen von Raffelhüschen haben allerorten eine kurzzeitige Empörung ausgelöst, nur die FDP begrüßt die Sparmaßnahmen. Auf Ablehnung stoßen vor allem die Form der Verlautbarungen – sie seien nicht mit der Kommission abgestimmt gewesen – und der zu frühe Zeitpunkt der Vorschläge. Auch der Umfang der geplanten Eigenleistungen wird kritisiert. Die Richtung aber, hin zu mehr Selbstbeteiligung und zu orwellscher »Wahlfreiheit« bei den Leistungen, nimmt man kommentarlos hin, denn sie scheint, wie so vieles, vom Sachzwang diktiert zu sein.

Denkt man die noch nicht druckreifen Anregungen zu Ende und streicht immer mehr Behandlungsarten aus dem Leistungskatalog der Kassen, dann wird die Krankenversicherung bald zu einer Abgabe, die wie die so genannte Ökosteuer mit ihrem Namen und ihrem eigentlichen Zweck nichts mehr zu tun hat.

In jedem Fall scheint die Band Superpunk schon im Jahr 2001 Zukunftsmusik geschrieben zu haben. In dem Lied »Neue Zähne für meinen Bruder und mich« wird ein Lösegeld erpresst, um die angemessene Zahnbehandlung bezahlen zu können. Den Refrain dürften bald viele mitsummen: »Ich habe keinen Hass auf die Reichen, ich möchte ihnen nur ein bisschen gleichen.«