Die Zukunft von gestern

Medien, Kunst, Aktivismus – geht das zusammen? Diese Frage wurde auch in diesem Jahr auf dem Berliner Medienkunstfestival Transmediale diskutiert. von vali djordjevic

Das Haus der Kulturen der Welt in Berlin wirkt wie ein Raumschiff aus den fünfziger Jahren, bei seinem Schalendach wird man an eine fleischfressende Pflanze erinnert. Auch in diesem Jahr fand hier wieder die Transmediale statt. Es ist ein passender Ort für ein Medienkunstfestival, bei dem die Faszination über Entwicklungen der Technik beinahe vorausgesetzt wird.

Nach fünf Tagen Festival bleibt vom Zukunftsoptimismus aber nicht viel übrig. Einmal, weil auch hier die Berliner Pleitestimmung anwesend ist. Davon blieb auch die Transmediale nicht verschont. Im Vergleich zum Vorjahr fehlten 100 000 Euro und das hinterließ durchaus Spuren in der Qualität.

So gab es in diesem Jahr keine Medienkunstausstellung mehr, obwohl die des vergangenen Jahres bestens ankam. Dieses Mal versteckte sich bloß noch eine Handvoll Installationen in einer Ecke hinter der Treppe, zwei weitere waren irgendwo im Haus zu finden.

Das Festival stand unter dem Motto: »Play Global!« Der Festivalleiter Andreas Broeckmann wollte es als Provokation verstanden wissen, was aber so gut wie niemandem weiter auffiel. Nur die US-amerikanische Künstlerin Coco Fusco fragte in der Eröffnungsdiskussion nach, wieso hier Globalisierung als Spiel verstanden werden sollte, obwohl sie für Millionen von Menschen außerhalb der westlichen Länder bitterer Ernst sei.

Sie war dann auch die Einzige, die in ihrer Arbeit thematisierte, welche Ausbeutungsverhältnisse herrschen, damit die so genannte erste Welt vor ihren Computermonitoren sitzen und weltumspannend kommunizieren kann.

In ihrer Arbeit »Dolores from 10 to 10« stellte sie zwölf Stunden aus dem Leben von Delfina Rodriguez aus Tijuana in Mexiko nach, die diese eingesperrt in der Fabrik verbrachte, in der sie arbeitete, ohne zu essen, zu trinken oder die Toilette aufzusuchen. Die Firmenleitung hatte sie vorher beschuldigt, einen Betriebsrat gründen zu wollen, und versuchte, sie zu zwingen, ihre Kündigung zu unterschreiben. Fusco verband die Form und den Inhalt in einer Arbeit, die die Zusammenhänge von Globalisierung und Medialisierung, Überwachen und Strafe auf den Punkt brachte.

Auf dem Podium waren aber die Globalisierungsgewinner in der Mehrheit. Europäer und Amerikaner unterhielten sich über den US-Militärunterhaltungskomplex, über Weiblichkeitsmodelle in Computerspielen und darüber, welch gute Zeit sie auf den Demonstrationen in Seattle hatten.

Die in New York lebende Videokünstlerin Heidrun Holzapfel zeigte naiv-dokumentarische Filme über einen mexikanischen Jugendlichen in New York und seine 55 Paar Turnschuhe und einen über rumänische Einwanderer in Österreich. Die Frage, wie denn ihr Verhältnis zu den Objekten ihrer Studien wäre, und was diese davon hätten, bei ihren Filmen mitzumachen, konnte jedoch nur schwer beantwortet werden. Fragen nach der Rolle der Kamera und der Ethnologisierung des anderen wurden von Holzapfel nicht gestellt. Damit unterschritt sie das Niveau eines Cultural Studies-Kurses für Anfänger.

Abgesehen von der Qualität oder dem Mangel daran hat ein Festival wie die Transmediale auch das grundsätzliche Problem der Fragestellungen: Wie definiert sich Medienkunst und warum braucht es überhaupt ein ganzes Festival über Medienkunst? Gerade die Allgegenwart von Fernsehen und Internet, aber auch von Bankautomaten, die eigentlich schon eine perfekte interaktive Installation sind, macht eine eigene Kategorie Medienkunst problematisch.

Auf der anderen Seite gibt es außer Medienfestivals wenige Orte, an denen man sich Gedanken über die Auswirkungen digitaler Technik auf die Gesellschaft macht. Diese Möglichkeit findet offenbar auch das Publikum interessant, wie im letzten Jahr kamen wieder 20 000 Besucher zur Transmediale.

Das zweite große Thema der Medienshow war die über die Kontinente verstreute Netzkultur; also zum Beispiel Computerspiel-Communities, Programmierer von Softwarekunst und Medienlabore wie die Gesellschaft für alte und neue Medien »De Waag« aus Amsterdam, die Software-Design für Benachteiligte entwickelt und Medienprojekte in gefährdeten Regionen unterstützt.

Die Medienkunst wird von der öffentlichen Kulturförderung vernachlässigt. Die Transmediale des vergangenen Jahres brachte Berlin die erste Medienkunstausstellung seit 20 Jahren. Die bildenden Künstler, die sich eine gewisse Anerkennung verschafft haben, verlassen das Medienkunstghetto, um sich im »normalen« Kunstbetrieb zu etablieren, in dem mehr Bewegungsfreiheit herrscht.

Insofern überraschte es nicht, dass die Präsentation der neuen Arbeit Peter Greenaways, »The Tulse Luper Suitcases«, so viel Anklang fand. Bei keiner anderen Veranstaltung war der Saal so voll. Hier schien es sich um die Arbeit von jemandem zu handeln, der sich Gedanken gemacht hat, und das war etwas, was den meisten der Arbeiten auf der Transmediale fehlte.

Filmische Innovationen und Experimente waren selten und fanden sich kaum in all den klassischen Fünf-Minuten-Kurzfilmen, die wahrscheinlich ausschließlich für Festivals wie dieses gedreht werden.

Das erklärt auch, wieso die meisten Arbeiten wie mäßige Studentenfilme wirkten. Wer die Filmhochschule abschließt, macht entweder richtige Filme oder sucht sich einen anständigen Job. Das sah wohl auch die Jury so und vergab den ersten Preis an keinen Film, sondern an die Gruppe 242.pilots, die real-time Visuals im Club-Kontext boten.

Wie üblich waren von den künstlerischen Arbeiten diejenigen interessant, die den Kunstkontext im engeren Sinne sprengten. Von den Wettbewerbskategorien betraf das vor allem die Software-Kunst. Programmierer, die auch einmal zwecklose Programme entwickeln wollten, versprengte Netzkünstler, die nicht den Weg in die Galerien antreten wollten, und Poeten trafen hier zusammen, um sich Gedanken über die soziale Rolle von Software zu machen. Über Fragen wie »Auf welche Weise steuert Software die Wahrnehmung?«, »Welche Rolle hat der Programmierer?« und »Wie objektiv ist Software?« wurde öffentlich diskutiert.

Nach einem allseits gelobten Festival im letzten Jahr ging es in diesem Jahr wieder einen kleinen Schritt zurück. Das mag am Geldmangel gelegen haben oder schlicht an einer geistigen Rezession. Die Aufgabe eines jährlichen Festivals wie der Transmediale wäre es jedenfalls, Neues zu zeigen. Dafür müsste die Transmediale stärker bereit sein, mehr als bisher mit dem Alten aufzuräumen. Sonst ist bald die Berliner Kongresshalle nicht mehr das Einzige, das von vergangenen Zukunftsträumen erzählt.