Das Böse ist nah

Die geplante Beteiligung eigener Truppen am Irakkrieg und der Nordkoreakonflikt haben der südkoreanischen Antikriegsbewegung viel Zulauf gebracht. von christian karl, seoul

In einem sind sich die vielen und oft sehr unterschiedlichen Antikriegsdemonstranten in Südkorea wenigstens einig. Zwar sei der Irakkrieg so gut wie vorbei, der Kampf der koreanischen Antikriegsbewegung aber noch lange nicht. Der nächste Krieg drohe bereits, und zwar in unmittelbarer Nähe.

Denn als sich in der vergangenen Woche der Uno-Sicherheitsrat mit dem nordkoreanischen Atomprogramm beschäftigte und sich wegen des Widerstandes Russlands und Chinas zu einer Verurteilung des Landes nicht entschließen konnte, sprach die nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA schon von einer »schweren Provokation« und vom »Vorspiel zum Krieg«. Der Irakkrieg habe gezeigt, dass eine Militäraktion nur verhindert werden könne, »wenn man über eine physikalische Abschreckung verfügt«.

Noch deutlicher wurde zuvor die Zeitung Rodong Shinmun, das Zentralorgan der Partei der Arbeit. Sanktionen des Weltsicherheitsrates würden als »direkte Kriegserklärung« gewertet, und man könne sich auch einen militärischen Erstschlag vorstellen. Für den Fall eines Krieges drohte vor kurzem der nordkoreanische Staatsrundfunk, die koreanische Halbinsel werde in eine »Urne voller Asche« verwandelt werden.

Aber nicht nur die Nordkoreaner, sondern auch die USA geben sich hart, auch wenn die Regierung Bush betont, den Konflikt diplomatisch beilegen zu wollen. Erst vor kurzem wurden F-117-Tarnkappenbomber nach Südkorea verlegt, und auf der Insel Guam stehen Langstreckenbomber der Typen B 52 und B 1 bereit.

Zwar betonten die Amerikaner immer wieder, dass die Verlegung dieses beträchtlichen Waffenarsenals nichts mit dem Nordkoreakonflikt zu tun habe. Glauben will ihnen das in Südkorea aber kaum jemand, zumal in der vergangenen Woche bestätigt wurde, dass die F-117-Bomber für unbestimmte Zeit bleiben sollen.

Angesichts dieser nicht gerade friedlichen Stimmung braucht man sich nicht zu wundern, dass viele Südkoreaner im Norden das nächste potenzielle Ziel in Bushs Kampf gegen »das Böse« sehen. »Da helfen die ständigen Bemühungen der südkoreanischen Regierung, das Problem zu verharmlosen, auch nicht mehr«, sagt Kim Yung-chan, ein Führungskader der linken Jugendorganisation Da-Hamkke (Alle gemeinsam). »Die Menschen hier brauchen einfach die Sicherheit, dass am nächsten Tag nicht nordkoreanische Granaten auf Seoul herabregnen.«

Trotzdem bewerten die südkoreanischen Medien das Verhalten des Nordens recht zurückhaltend. Das könnte auch daran liegen, dass die Vorhersagen der letzten Monate, die Volksrepublik werde wieder und wieder provozieren, nicht immer eingetroffen sind. Die Tageszeitung JoongAng Ilbo vermutet, Nordkoreas Präsident Kim Jong-il habe seit den militärischen Erfolgen der USA im Irak schlicht Angst um die Zukunft seines Regimes.

Es gibt aber außer der Angst vor einem Krieg gegen Nordkorea noch einen anderen Grund, der viele Demonstranten in Südkorea umtreibt: die für Ende April geplante Entsendung von 700 südkoreanischen Soldaten, die im Irak die Briten und Amerikaner technisch und medizininisch unterstützen sollen.

Das Anfang April im Parlament verabschiedete Entsendegesetz hat für viel Aufregung gesorgt und der Antikriegsbewegung einen riesigen Schwung gegeben. Kamen zu einer Demonstration gegen den geplanten Irakkrieg im vergangenen Oktober in Seoul, einer Stadt mit über zwölf Millionen Einwohnern, nur 400 Menschen, so sorgten der Kriegsbeginn und die Diskussion über eine Beteiligung Südkoreas für tägliche Massenaktionen.

Fast ohne Vorbereitung versammelten sich zum Kriegsbeginn mehr als 10 000 Menschen, um gegen den Angriff zu protestieren. Seither vergeht kein Tag, an dem nicht demonstriert wird. Der wichtigste Grund für diese Mobilisierung war die Ankündigung des Präsidenten Roh Moo-hyun, eigene Truppen in den Mittleren Osten zu verlegen.

Noch vor wenigen Wochen ließ der frisch gewählte Präsident verlauten, unter keinen Umständen werde Südkorea einen Angriffskrieg der USA unterstützen. Der geplante Krieg sei auf jeden Fall ungerecht, hieß es damals zur Begründung. Doch nur wenig später war plötzlich die Rede davon, dass eine Unterstützung der gewaltsamen Entwaffnung Iraks im »nationalen Interesse Koreas« liege. Deshalb wollte Rohs Regierung nun ein Entsendegesetz verabschieden, um 600 Armeeingenieure und 100 Mediziner schicken zu können.

Umgehend kam es zu riesigen Protestaktionen. Täglich demonstrierten Tausende vor dem Parlamentsgebäude und sorgten dafür, dass die Antiaufruhrpolizei im Dauereinsatz blieb. Schriftsteller, Studenten, buddhistische Mönche, Gewerkschafter, Schauspieler, Popsängerinnen und Rockstars gingen auf die Straße und forderten die Rücknahme der Gesetzesvorlage. Stundenlang wurden die Zugänge zum Parlamentsgebäude blockiert, Studenten besetzten die Parlamentslobby, viele Abgeordnete konnten nicht passieren. Auch eine der wichtigsten Brücken über den Fluss Han wurde blockiert, Taxifahrer veranstalteten Autokorsos mit Hupkonzerten.

Selbst die über 20 000 Mitglieder des eigentlich als gemäßigt geltenden Gewerkschaftsverbandes KFTU demonstrierten gegen das geplante Gesetz. Und sogar zehntausende Mitglieder von Präsident Rohs Wahlbündnis Nasamo kündigten an, bei den Parlamentswahlen im nächsten Jahr keine der koreanischen »Kriegsverbrecherparteien« zu wählen, sollte das Truppenentsendegesetz verabschiedet werden.

Zwar bewirkten die Proteste einen Aufschub, doch wurde das Gesetz Anfang April dennoch verabschiedet.

Seither sind die Wut und die Empörung nicht mehr zu überhören. Kim Seok-jin, ein Student an der Nationaluniversität Seoul, sagt: »Das ist es, was die da oben unter Demokratie verstehen. Einmal alle fünf Jahre dürfen wir ein Kreuzchen auf dem Wahlzettel machen, danach aber sollten wir am besten bis zum nächsten Wahlkampf das Maul halten.«

Die Regierung versucht indes, die Proteste einzudämmen. Eine Demonstration, die als Auftakt der Aktionstage der Studenten gegen den Irakkrieg dienen sollte, wurde verboten, was die Betroffenen aber nicht davon abhielt, in Seouls Innenstadt den Verkehr zum Erliegen zu bringen.

Auf einer anderen Demonstration gingen die Antiaufruhreinheiten brutal gegen mehrere tausend Demonstranten vor, die sich in der Nähe des Parlamentsgebäudes versammelt hatten, um gegen das Entsendegesetz zu protestieren. Joh Ji-yeong, eine Sprecherin der linken Demokratischen Arbeiterpartei, sagte: »Diesen Kampf haben wir verloren, aber es ist keine totale Niederlage, denn jetzt wird für jeden klar, was diese Regierung unter Demokratie versteht!« Anschließend wurde sie von der Polizei zusammengeschlagen.