»Herr Wichmann mag den Film«

Der Kinofilm »Herr Wichmann von der CDU« zeigt, wie sich ein Jungpolitiker mit Sonnenschirm und Kulis durch den Wahlkampf in Brandenburg schlägt. Ein Interview mit dem Regisseur andreas dresen

Der Filmemacher Andreas Dresen ist einer der wenigen Regisseure, denen es gelingt, deutsche Alltagsgeschichten ins Kino zu bringen. Preisgekrönte Filme wie »Nachtgestalten« (1998), »Die Polizistin« (2000) oder »Halbe Treppe« (2002) erzählen tragikomische Geschehnisse mit einem realistischen Gestus. Seit letzter Woche läuft Dresens neue Arbeit, der Dokumentarfilm »Herr Wichmann von der CDU« in deutschen Kinos. Dresen beobachtet so genau wie distanziert den Arbeitsalltag des ambitionierten 25jährigen Wahlkämpfers Hendryk Wichmann und seinen Umgang mit den Menschen seines brandenburgischen Wahlkreises Uckermark. Dabei ergeben sich bewegende wie witzige Situationen, nicht nur weil Wichmann in jedes Fettnäpfchen tritt, das man sich vorstellen kann, sondern auch weil dem Film anzumerken ist, dass den Regisseur mehr interessiert als lediglich die Demaskierung seiner Hauptfigur. Es ist die Stärke des Films, dass er Raum für eigene Interpretation bei der Observierung eines teilweise absurden Vorganges schafft, der bestimmt, welche Menschen regieren.

In Spielfilmen wie »Nachtgestalten« oder »Halbe Treppe« haben Sie sich immer wieder mit dem Alltag in Deutschland auseinandergesetzt. Es kommen darin weder extreme Charaktere vor, noch gibt es vordergründigen Glamour oder dramatische Ereignisse. Dennoch taucht man ganz intensiv in die Welt dieser Leute ein. Wie schaffen Sie diese Wirkung?

Mich interessiert das einfach. Wenn man sich mal fragt, wo ist das Defizit in der Kinolandschaft, wo kann man für sich einen Platz definieren, dann ist es genau das: Die spannendsten Entdeckungsreisen können unter Umständen auch ins eigene Wohnzimmer gehen. Da muss man nicht in ferne Galaxien reisen und braucht keine spektakulären Plots. Gerade in den unspektakulären Geschichten kann man sich oft auch selber wieder finden.

Ihr Ansatz ist nicht unbedingt populär in der hiesigen Filmszene.

Es ist aber eigentlich unsere einzige Chance. Auch für den europäischen Film insgesamt. Wir können nicht noch spektakulärer sein als Hollywood, wir haben gar nicht so viel Kohle. Wir haben auch nicht die fetten Stars. Zudem gibt es auch ein Bedürfnis, Geschichten aus unserem Alltag zu erzählen.

Woher kommt Ihr Bezug zu diesen sozialen Themen und Milieus? Ich habe den Eindruck, dass sich viele Leute schon auf der Filmhochschule mit ganz anderen Themen auseinandersetzen.

Das hat natürlich auch etwas mit der sozialen Ader zu tun, die in der DDR so ausgeprägt wurde. Im Grunde war auch die Ausbildung an der Filmhochschule diesem Ansatz verpflichtet. Als ich in Potsdam mein Regiestudium begann, wollte ich Spielfilme machen. Ich kam gerade vom DEFA-Spielfilm-Studio, wo ich Volontär war, und wollte nun sofort mit Schauspielern drehen. Da haben die gesagt: Nee, die ersten anderthalb Jahre machst du Doku-Grundlagenstudium. Doku, das hatte ich nie zuvor gemacht.

Wie war Ihre Reaktion?

Ich habe schon auch geflucht, ich wollte das gar nicht. Ich fand, dass das irgendwie Zeitverschwendung war. Deren Absicht war natürlich: Guckt euch erst mal an, wie das Leben da draußen überhaupt läuft, bevor ihr selber anfangt, Geschichten zu gestalten. Damit das, was ihr euch am Schreibtisch ausdenkt, überhaupt was mit der Welt zu tun hat.

Heute machen Sie beides, dokumentarisches Kino und Spielfilme.

Wir sollten damals Arbeiterfilme drehen, und das war wirklich spannend. Ich habe bei der Arbeit interessante Leute kennen gelernt und konnte so auch die eigenen Kreise durchbrechen. Man lebt ja als Student in seiner eigenen Welt, und später ist es dann die Filmbranche, wo sich alles nur noch um sich selbst dreht. Da ist es befreiend, mal rauszugehen. Mir hat das so einen Spaß gemacht, dass ich immer wieder auch Dokumentarfilme gemacht habe. Der große Reiz an diesen Arbeiten ist, dass ja auch immer wieder Dinge passieren, die einen überaschen und die man sich so nicht ausdenken könnte.

Wie wichtig ist Ihnen die Recherche, insbesondere für den Spielfilm?

Ich recherchiere eigentlich immer und gehe raus. Für »Nachtgestalten« war ich viel mit Obdachlosen und Junkies zusammen und die Nächte in Berlin unterwegs. Das ist wichtig. Man findet so Dialoge und gerät in Situationen, die man so aus der eigenen Vorstellung nicht entwickeln kann. Die kommen einfach aus dem wirklichen Leben, so abgedroschen es auch klingt.

Sie haben mit Ihren Arbeiten durchaus Erfolg. Haben Sie einfach Glück gehabt, oder war es der berühmte zähe Kampf, sich als Filmemacher durchzusetzten?

Beides. Natürlich habe ich das Glück gehabt, die richtigen Leute zu finden. Es ist ein Geschenk, einen Produzenten wie Peter Rommel an seiner Seite zu haben. Es gibt nicht viele Produzenten, die ihr letztes Hemd geben für einen Film und denen es nicht nur um die Kohle geht. Ich habe »Nachtgestalten« in einer Zeit produziert, als gerade der neue deutsche Komödien-Boom am Start war. Und in diesem Lande gab und gibt es so viele Probleme, so viele Dinge die erzählenswert sind, wenn man sich im Film auch politisch der Wirklichkeit nähert. Dazu kam nicht zuletzt ein persönliches Gefühl, immer wieder als Künstler zu brav zu sein. Man muss auch mal Risiken eingehen.

Es ist aber kein Geheimnis, dass viele gute Filme aus Deutschland einfach keinen Verleih finden.

Es funktioniert auch immer nur gegen ganz große Widerstände. »Nachtgestalten« haben wir ganz vielen Verleihern gezeigt. Es gab kaum Interesse. Dann kam die Berlinale, und zum Glück hat die Berlinale ihn in den Wettbewerb genommen. Das war, im Nachhinein gesehen, unsere einzige Chance. Sonst wären der Rommel und auch ich finanziell ruiniert gewesen. Ich hatte ein Jahr lang umsonst gearbeitet, Peter Rommel hatte das Haus seiner Eltern verpfändet. Das sind die Umstände, in denen man sich bewegt, das glaubt einem hinterher keiner. Wenn das auf der Berlinale nicht geklappt hätte, wäre das erst mal unser letzter Film gewesen. Bei »Halbe Treppe« war es genau so schwer, jemanden für den Film zu begeistern. Dann läuft der plötzlich erfolgreich bei einem Festival, und dann sind auch die Verleiher da. Dann gehen 400 000 Zuschauer da rein, damit haben wir nie im Leben gerechnet.

Wie wichtig ist es denn, erfolgreich zu sein? Ist das überhaupt ein Maßstab für die eigene Arbeit.

Wir müssen in dieser Gesellschaft immer so verdammt erfolgreich arbeiten. Das sind die Wertmaßstäbe, die uns vermittelt werden. Scheitern darf man nicht. Aber Scheitern gehört im Leben wie in der Kunst dazu. Auch mit einzukalkulieren, dass mal was schief gehen kann. Das ist überhaupt nicht schlimm. Ich finde es schlimmer, kein Risiko einzugehen, als zu scheitern. Gescheitert ist man dann, wenn man kein Risiko eingegangen ist. Dann hätte ich ein Problem, mich im Spiegel anzugucken.

Wie hat sich die Idee entwickelt, einen Film über einen Jungpolitiker im Wahlkampf zu machen?

Das war eigentlich eine Idee, die vom Bayrischen Rundfunk und vom WDR an mich herangetragen wurde. Die produzieren eine Dokumentarfilm-Reihe unter dem Titel »Denk ich an Deutschland«, bei der Spielfilmregisseure für 60minütige Dokumentarfilme angesprochen werden. Was man dann macht, ist einem freigestellt. Für diese Produktion hatte ich Lust, in die Provinz zu gehen. Ich gehe immer lieber an die Peripherie der Ereignisse und der Gesellschaft. In diesem Fall hat es mich interessiert, an die äußeren Ränder des Landes Brandenburg zu fahren. Da geht es den Leuten nicht so toll. Und ich fand es wichtig, davon zu erzählen. Ich finde es immer ungerecht, wenn Leute so vergessen werden.

Eine gute Absicht, aber noch kein Film.

Genau, es war zuerst mehr eine räumliche Idee. Welche Figur könnte mich also durch so einen Landstrich führen? Da dachte ich zuerst an einen Gerichtsvollzieher, aber das schien mir bald zu drastisch. Ich habe da Skrupel gekriegt.

Weil es bedeutet hätte, Menschen in Extremsituationen zu zeigen?

Ja, da kommt man in so viele brenzlige Situationen rein, wo Leuten das Letzte genommen wird, ich hätte irgendwie ein Problem gehabt, das zu drehen. Das konnte ich nicht. Dann war aber gerade Wahlkampfzeit, man kennt sich ja selber, wenn man diese Schirme da rumstehen sieht. Ich mache da meistens einen großen Bogen rum. Ich habe keinen Bock, diese Werbegeschenke angedreht zu bekommen und blöde Diskussionen führen zu müssen. Dann dachte ich aber: Was passiert eigentlich, wenn so ein Provinzpolitiker durch die Gegend zieht, wo die Leute total desillusioniert sind? Wie prallt der politische Anspruch einer Demokratie auf das alltägliche Leben der Leute? Und was entsteht dann? Gibt es da überhaupt noch ein Interesse, was hat so ein politisches System überhaupt noch für eine Chance?

Wie sind Sie an Herrn Wichmann geraten?

Ich fand erst mal wichtig, dass es eine Partei ist, der ich persönlich nicht nahe stehe. Damit man auch aus einer gewissen Distanz beobachten kann. Von daher bot sich die CDU an. Außerdem hat die CDU in Brandenburg noch nie einen einzigen Wahlkreis gewonnen. Es war klar: Wer für die CDU antritt, kämpft auf verlorenem Posten. Das war für mich ein interessanter Aspekt, weil es sympathisch ist. Wenn jemand als Verlierer antritt, der von Anfang an keine Chance hat, begreift man das noch viel mehr als eine Sisyphus-Arbeit, so eine Basisarbeit. Ich bin dann zur CDU gegangen und habe denen erzählt, was ich vorhabe. Die haben mir dann alle Direktkandidaten in der Region vorgestellt, haben mir aber auch gleich gesagt: Da gibt es diesen Herrn Wichmann. Der tritt gegen den SPD-Mann und Ex-DDR-Minister Markus Meckel an, und der kann gar nicht gewinnen. Der schießt zwar immer mal wieder über das Ziel hinaus, aber der ist engagiert und macht viel. Der hängt nicht nur drei Plakate auf und wartet den Wahlabend ab. Das war für mich wichtig.

Und er hatte gleich Lust?

Ich bin zu ihm hingefahren und habe ihm das erklärt. Er hatte auch Lust, so habe ich ihn noch einen Tag bei seiner Arbeit beobachtet, dann konnten wir anfangen.

Die Ausgangssituation hat etwas vom alten Spielfilm-Drama: Ein Held kämpft auf verlorenem Posten.

Es hat so ein bisschen etwas vom Western. Ein junger Mann mit seinem CDU-Schirm tritt an gegen die widrigen Umstände. Das ist auch ein bisschen wie Don Quichottes Kampf gegen die Windmühlen. Es gibt einen Gegenspieler, das ist das Wahlvolk, das Poster vom übermächtigen Gegenkandidaten, die Widerstände. Und man kann ihm zuschauen, wie er das am Wahlabend schafft und ob er das schafft. Wie er die Ziellinie überquert.

Wie war die Beziehung zu Herr Wichmann während der Dreharbeiten?

Es gab zwischen uns ganz klare Absprachen. Dass er während des Drehtags sagen konnte, er will das nicht gedreht haben. Oder auch im Nachhinein, falls er diese oder diese Szene nicht mit drin haben will. Er hatte auch die Möglichkeit, sein Sendermikro rauszuziehen, wenn er wollte, das wir etwas nicht hören. Er hat aber weder das eine noch das andere je gemacht. Er hat alles in jeder Situation immer zugelassen. Die einzigen, die uns unterbrochen haben, waren die Passanten, die manchmal nicht gefilmt werden wollten. Später hat Wichmann den Film ja auch gesehen, als er geschnitten war, und wir hätten auch mit ihm diskutiert, wenn es ihm nicht gefallen hätte. Aber er fand den Film total gut.

Und der ziemlich distanzierte, beobachtende Blick hat sich aus der Arbeit organisch ergeben?

Was mir nicht klar war, ist, dass wir überwiegend vom Stativ drehen würden. Was so lustig ist, weil die Spielfilme davor alle mit Schulterkamera gedreht worden sind und nicht mit still stehendem Stativ. So ergab sich eine sehr ruhige Ästhetik, keine Interviews, wenig äußerlich sichtbare inszenatorische Mittel. Natürlich ist der ganze Film in gewisser Weise eine Inszenierung, weil er kompiliert ist und die Bildkompositionen auch etwas erzählen. Das ist ganz klar. Diese Zurückhaltung kam auch durch das Sujet. Wir hatten von vornherein das Gefühl, etwas Abstand halten zu müssen. Weil es uns anfangs so fremd war, ganz von den politischen Inhalten abgesehen. Wir mussten uns herantasten. Je länger wir drehten, desto größer wurde allerdings auch mein Respekt, auch vor dem Kandidaten.

Als Zuschauer fragt man sich natürlich irgendwann: Was haben wir nicht gesehen?

Man sieht Dinge nicht, wo Leute vorgeführt werden. Die haben wir grundsätzlich entfernt. Es gab ein paar Sachen, wo Leute nicht ganz Herr ihrer Sinne waren. In einem Altenheim, wo wir gedreht haben, stand plötzlich ein alter Mann auf und blaffte den Wichmann an: Kümmern Sie sich erst mal darum, dass die Juden hier aus diesem Land verschwinden. Wichmann war total perplex und hat das absolut abgelehnt. Da war er wirklich mal sehr entschieden und hat sich das verbeten. Aber der Mann war auch sehr dement, der war nicht zurechnungsfähig. Das wäre für Wichmann eine sehr gute Szene gewesen, aber das wollten wir dem alten Mann nicht antun, dem war, glaube ich, auch nicht wirklich bewusst, dass da gedreht wird. Oder es gab auf einem Stadtfest eine lustige Einstellung, wo ein sturztrunkener Mann um den CDU-Schirm herumtaumelt und sich fast hinlegt, und dahinter steht Wichmann mit seinen konservativen Werten, das hatte schon was. Aber das reinzuschneiden, hätte auch bedeutet, diesen Betrunkenen vorzuführen. Grundsätzlich wussten die Menschen im Film, dass sie gefilmt werden und hatten die Möglichkeit, Einspruch einzulegen.

Warum ist das für Ihre Arbeit wichtig?

Das hat was mit Ethik zu tun. Egal ob man einen Spielfilm oder einen Dokumentarfilm dreht: dass man die Leute vor der Kamera achtet und respektiert. Sie bringen einem eine ganz gehörige Portion Vertrauen entgegen. Nur so kann man ein spannendes und widersprüchliches Bild zeichnen. Wenn man nicht mit Vorurteilen rangeht und nicht ein vorschnelles Urteil hat. Natürlich ist Hendryk Wichmann von der CDU. Es ist nicht meine Partei. Aber ich habe die Pflicht, wenn ich so einen Wahlkampf verfolge, das etwas objektiver zu betrachten und zu gucken: Wo stimmen meine eigenen Klischees eigentlich nicht?

In einer Filmkritik machte sich der Rezensent über Wichmann her. Sich über diese Figur auszulassen, war aber nicht die Absicht des Films.

Natürlich sind die Argumentationslinien, die er benutzt, teilweise stumpfsinnig und verkürzt. Allerdings sollte man sich schon fragen, wie viel differenzierter die Positionen in so einem Kanzlerduell sind. Ob das besser ist. Oder ob es nicht wahlkampfimmanent ist. Es geht ja nicht um eine Charakterstudie von Hendryk Wichmann, sondern es geht es um das Prinzip, das sich hinter diesem Wahlkampf verbirgt.

Wofür steht so ein Wahlkampf, was wird daran für Sie ablesebar?

Es ist natürlich leicht, sich lustig zu machen über die Leute, die mit ihren Sonnenschirmen da für Parteien stehen. Ich frage mich dann aber schon: Wo stelle ich mich eigentlich hin? Demokratie ist ein verdammt hohler Sack, wenn ihn die Leute, und damit sind auch die Wähler gemeint, nicht mit Inhalten füllen.

Auf der einen Seite erscheint die Wahl mir als ein ganz oberflächliches Unternehmen, in dem es mehr darum geht, welche Größe ein Plakat hat, als dass politische Inhalte vermittelt würden. Das Erschreckendste war, dass wir in den fünfzehn Drehtagen so gut wie keine substanzielle politische Diskussion gehört haben. Das ist fatal. Es gibt nach meinem Gefühl eine vernünftige politische Äußerung in dem Film. Die kommt von einem alten Herren, 50 Jahre CDU-Mitglied, der äußert sich sehr differenziert über das Thema Globalisierung. Das finde ich bemerkenswert, und das zeigt auch, dass die Klischees oft nicht stimmen. Ich kann jeden Satz, den dieser Mann sagt, unterschreiben. Er hat Ahnung, ist belesen, zitiert Marx usw. Aber das war die Ausnahme. Hendryk Wichmann redet die ganze Zeit darüber, dass die Jungen ins Parlament müssen und die Alten weg. Klar muss das durchmischt sein, aber ich werde lieber von einem klugen Alten als von einem dummen Jungen regiert. Dieser Moment war wirklich der einzige Kommentar in dem Film, welcher über den Tellerrand der Pragmatik, der in diesem Land so hoch ist, hinausging.

interview: tim stüttgen