Krieg im Irak und Frieden mit dem System

Die Linke nach dem Irakkrieg. Wer dem Bellizismus etwas abgewinnen kann, argumentiert in einer nicht existierenden Zwischenwelt. von ernst lohoff

Ob es gefällt oder nicht, Kriegszeiten sind allemal binäre Zeiten und laufen auf so etwas wie einen kollektiven Lackmustest hinaus. Wenn US-Army oder Nato als bewaffneter Arm des Gesamtimperialismus bomben und massakrieren, dann schrumpft die Palette möglicher Meinungen und Positionierungen unweigerlich auf eine simple Alternative zusammen: dafür oder dagegen.

Gerade aufgrund dieses inhärenten Zwangs, Farbe zu bekennen, markieren Kriege in der Entwicklung der europäischen und US-amerikanischen Neuen Linken seit jeher Wende- und Scheidepunkte. Ohne die Empörung über den Vietnamkrieg wäre der Bruch mit der Ideologie von freedom and democracy und die Formierung der Neuen Linken gar nicht denkbar gewesen. Umgekehrt bildeten die sicherheitsimperialistischen Kriege aber auch Meilensteine beim beschleunigten Zersetzungsprozess des ehemals gesellschaftskritischen Lagers nach dem Ende der Blockkonfrontation. In drei Schüben haben Ex-Linke hierzulande mit ihrem Ja zu einem Interventionskrieg ihren bedingungslosen Frieden mit den herrschenden Verhältnissen geschlossen und sich endgültig aus dem oppositionellen Lager verabschiedet. Die Vorhut setzte sich gleich anlässlich des zweiten Golfkriegs 1991 in die Arme der westlichen Demokratie ab. Die Kosovo-Intervention, der erste Krieg seit 1945 mit direkter deutscher Beteiligung, brachte den großen Exodus. Sie kennzeichnet den Punkt, an dem die Partei der Alt- und Spät-68er samt ihrem Anhang die letzten restkritischen Anwandlungen fahren ließ. Heute, angesichts des dritten Golfkriegs macht sich ein letzter kleiner Nachtrab-Trupp demokratischer Spätheimkehrer und Bellizisten auf den Weg, diesmal aus dem vormals linksradikalen Spektrum.

Zu den uralten Schwächen der antiimperialistischen Linken gehört die Gewohnheit, das Nein zum imperialistischen Krieg mit einem Bekenntnis zu dem ins Fadenkreuz geratenen Regime zu verknüpfen. Schon Herbert Marcuse brachte es nicht fertig, Stellung gegen die amerikanischen Bombardements in Nordvietnam zu nehmen, ohne gleichzeitig alberne Oden auf die utopischen Qualitäten der ziemlich schmal geratenen und von daher angeblich besonders liebespaarfreundlichen Hanoier Parkbänke anzustimmen. In den neunziger Jahren entblödeten sich linke Antiimperialisten nicht, selbst noch dem durch und durch kleptokratischen und mafiotischen Milosevic-Regime irgendetwas Restsozialistisches anzudichten.

Diese affirmative Wendung findet ihre Entsprechung auf Seiten der ex-linken Bellizisten. Sie können ihre Verwandlung in Vorkämpfer des westlichen Sicherheits- und Ausgrenzungsimperialismus nur legitimieren, indem sie die demokratische Kriegspropaganda nicht nur übernehmen, sondern die Dämonisierung der vom Westen bekämpften Regimes auf die Spitze treiben. Fischers ungeheuerliche Gleichsetzung der Albaner-Verfolgungen des Milosevic-Regimes mit Auschwitz kam genauso wenig von ungefähr wie Enzensberger irres Gerede von Saddam Hussein als dem »Wiedergänger Hitlers« anlässlich des zweiten Golfkriegs. Es handelt sich hier nicht nur um die Verdrängung der deutschen Verbrechen qua Projektion, sondern erfüllt zugleich noch eine andere perfide Aufgabe: Nur der Einsatz des allerschwersten ideologischen Geschützes sorgt für Rauchschwaden, die dicht genug sind, um gleichzeitig den realen Hintergrund des imperialistischen Zugriffs, nämlich den irrwitzigen Versuch, mit den »Schurkenstaaten« die Gespenster der Weltmarktkrise wegzubomben, und die Ungeheuerlichkeit des eigenen neuen Standpunkts zu vernebeln.

Die beiden beschriebenen Bewegungen der neunziger Jahre hatten gesellschaftlichen Tiefgang. Bei der derzeitigen Neuauflage handelt es sich dagegen nur noch um ein Szenephänomen. Allein vor diesem Hintergrund werden einige spezielle Seltsamkeiten des nachklappernden, »antideutsch« unterlegten Bellizismus verständlich. Seine Hauptabsurdität liegt auf der Hand. Alle Vorgänger wussten, dass sie die Fronten wechseln und bekannten sich offen dazu. Diesmal gerieren sich die Überläufer als besonders radikale Gesellschaftskritiker und es steht zu befürchten, dass die meisten von ihnen sich selber das auch noch abnehmen.

Eine teils implizite, teils explizite Themaverschiebung machen dieses (Selbst)-Täuschungsmanöver und diese Maskerade möglich. Nur oberflächlich betrachtet ist die Einschätzung des Hussein-Regimes als einer realen Bedrohung der Welt und insbesondere Israels Ausgangspunkt des nachholenden Linksbellizismus. Seine Scheinplausibilität schöpft der Bellizismus vielmehr aus einer recht billigen Abgrenzung zur hiesigen Antikriegsbewegung. Dass diese friedensbewegte Melange aus gegenläufigen Motiven und Tendenzen, deren gemeinsame Basis sicherlich in der Angst vor dem Verschwinden der warengesellschaftlichen Normalität zu suchen ist, kritisiert werden muss, steht außer Frage. Aber die Bellizisten reduzieren die Antikriegsbewegung konsequent auf ihre dubiosesten Elemente und denunzieren sie als rein völkische und antisemitische Veranstaltung. Wird diese Denunziation, die mit Kritik nichts mehr zu tun hat, weil das Urteil über ihren Gegenstand von vorneherein feststeht, von den Hardcore-Bellizisten des antideutschen Lagers mit systematischer Perfektion praktiziert, so hat sich der damit verbundene Habitus längst in weiten Teilen des linken Spektrums verallgemeinert, die sonst nur wenig mit den Antideutschen verbindet. In Reinkultur wurde dies bei Stefan Ripplinger deutlich, der in einem Diskussionsbeitrag für diese Zeitung (Jungle World, 47/2002) ganz offenherzig aussprach, dass er zwar gar keine Ahnung davon habe, was im Irak vor sich gehe, ihm aber die Antikriegsstimmung in Deutschland genüge, um zumindest nicht gegen den Krieg zu sein. Ripplinger plaudert aus, was viele andere in der linken Subkultur tatsächlich umtreibt: pure Identitätsbehauptung jenseits aller Analysen der kapitalistischen Wirklichkeit.

Früher gingen die Differenzen im linken Lager auf unterschiedliche Einschätzungen der kapitalistischen Wirklichkeit zurück. Im linksbellizistischen Lager ist man autistisch und szenefixiert genug, umgekehrt aus der Feinderklärung an die antiimperalistischen Nachbarfraktionen, die in der Antikriegsbewegung mitlaufen, die Einschätzung der Weltlage abzuleiten. Unseren Szenefeinden ist das Sternenbanner ein rotes Tuch, ergo marschieren wir unter dieser Fahne, so das stillschweigende Motto. Der Feind unseres Feindes muss freiwillig oder unfreiwillig irgendwie doch eine gute Sache vertreten.

Natürlich flankieren pseudoinhaltliche Spekulationen diesen szeneidentitären Mechanismus. So werden etwa Vermutungen darüber angestellt, ob die Installation demokratischer Regime im Nahen Osten nicht doch eine realistische Perspektive böte, um die Lebensverhältnisse der Menschen dort zu verbessern; natürlich nur um in letzter Instanz die gesellschaftliche Emanzipation zu ermöglichen. Ausgerechnet im Irak soll funktionieren, was nirgendwo mehr funktioniert: nachholende Modernisierung und Inwertsetzung. Man muss wahrlich kein ausgewiesener Politökonom, sondern nur einigermaßen bei Trost sein, damit es einem angesichts solcher Diskussionen die Sprache verschlägt. Die Frage ist nicht, ob den Menschen im Irak nach dem Sturz Saddam Husseins nun ein besseres Leben und die Segnungen der westlichen Demokratie ins Haus stehen. Erklärungsbedürftig ist vielmehr, warum linke Zeitschriften und Zeitungen wie diese hier, die schon einmal relevante Debatten geführt haben, so etwas überhaupt ernsthaft erörtern. Angesichts der Bombenopfer ist es mehr als frivol, ausgerechnet die Bush-Propaganda zur innerlinken Diskussionsgrundlage zu machen.

Keine Frage, Kriegsgegnerschaft allein macht noch keinen emanzipativen Standpunkt. Eine radikale Linke, die ihren Namen verdiente, statt sich selber aufzugeben, wäre gerade in der jetzigen Situation weder zum Trittbrettfahren noch zur Publikumsbeschimpfung aufgefordert, sondern zum kritischen Intervenieren und Polarisieren. Jede Form von Bellizismus aber steht von vornherein außerhalb des gesellschaftskritischen Lagers. Die Suche nach einer gemeinsamen Diskussionsgrundlage erübrigt sich. Auch wer zu Recht auf der Offenheit des gesellschaftskritischen Diskurses besteht, wird zugeben müssen: Über die Frage von Krieg und Frieden ist nicht in der gleichen Weise zu diskutieren wie über die Verschuldungskrise oder unterschiedliche Einschätzungen des Foucaultschen Machtbegriffs.

Bellizismus ist keine Frage von Toleranz oder Intoleranz, sondern von Tolerabilität. Wer dem Bellizismus etwas abgewinnen kann und zugleich eine Kritik des Sicherheits- und Ausgrenzungsimperialismus formulieren will, argumentiert in einer nicht existierenden Zwischenwelt. Ob es gefällt oder nicht: Wer sich selber ernst nimmt, muss sich schon entscheiden.