Paul Thomas Anderson: Punch-Drunk Love

von uwe nettelbeck

So here we go, sagt Lena zu Barry, und so endet der Film, dessen Geschichte damit endet, daß er ihr das am Morgen des schönen Tages, girl meets boy, an dem sie beginnt, und das Leben ihrem Helden über den Kopf zu wachsen wie noch nie, von der Straße geholte, seither gehütete, aber jetzt den ganzen weiten Weg, um alle Ecken, auf ihre Etage, durch den ganzen langen Flur so schnell es ging zu ihr zu ihr getragene Harmonium vor die Schwelle stellt, außer Atem, kaum noch auf den Beinen. Er faßt sich ein Herz, sie nimmt seinen Kopf in ihre Hände, und Emily Watson und Adam Sandler sind ein Paar. For ever and ever. Aber natürlich, wir sind im Kino, »everything’s perfect now, for both of them. I wouldn’t wanna see it not work out. I don’t like it when it doesn’t work out in the movies. I hate that.«

1997 Hard Eight und Boogie Nights, 1999 Magnolia, ein mörderisches Tempo, und jetzt, »I felt like I’d become pretty good to a certain extent at my job, I wanted to scare myself«, »These are dark, confused days for movies; stuff is not working. It’s a good opportunity for small revolutions to happen, for filmmakers to feel a responsibility to mix it up a bit«, Punch-Drunk Love.

Early morning, Street in Sherman Oaks, keine Menschenseele außer Barry in Blau, dem Anzug, in dem er während des gesamten Films steckt, »Why are you wearing a suit?«, »I bought one because I thought it would be nice to get dressed for work, I’m not exactly sure why«. »It’s an MGM suit. I always loved ›The Bandwagon‹‚ the Vincente Minnelli musical. And if you watch ›Singin’ in the Rain‹‚ too, it’s sort of indicative of these movies that there’s a fantastic rich blue suit in just about every one of them. Look next time and you’ll see them.« Tiefe Stille. Plötzlich krachend ein sich überschlagender Jeep Cherokee, feuerrot, funkensprühend und auf Nimmerwiedersehen. In derselben Sekunde hält ein Checker Cab, und das Harmonium steht da. Dann, in Rosarot, Lena.

»The main thing was, ›We don’t know where we’re starting, but we’re not starting here.‹ OK, but what does that mean? We’ll find it as we go along«, »We scrapped the first two weeks of shooting because I was still making the same movie. I had to educate myself on how to keep it simple.« Bekanntlich nicht einfach. Nicht einmal die richtige Verfilmung des Zerschneidens einer Kreditkarte. Und eine ziemliche Strecke bis zu Telephonzellen, die kaum ist die Liebste am andern Ende sich auf ihre Beleuchtung besinnen und in den wärmsten Farben erstrahlen, oder zu lines wie der, die Barry auf Hawaii hinlegt, Barry und Lena in einer Bar am Meer, Magic Hour, Musik die Ladies K, »Waikiki«, Lena, »You got me out of my room, it’s so nice«, Barry, »It really looks like Hawaii here«. Es ist die auf großem Fuß schon in Magnolia erreichte Gegend, in der es sich von selbst verstand, daß die in Mose II, 8 so umständlich bemühten Frösche gleich direkt vom Himmel fallen, und wie Ricky Nelson und Walter Brennan in Rio Bravo in Dean Martin’s My Rifle My Pony And Me, und sofort hinterher Get Along Home Cindy, »I wish I was a apple hangin’ in a tree, And everytime my sweetheart passed, She’d take a bite of me«, mitten im Film die, auf die sie regnen, in ein Lied einstimmen.

Barry’s Schwestern finden den Anzug unmöglich, wieso ein Anzug, schon wieder dieser Anzug, this goddamn suit! Er trägt ihn auch auf dem headshot, den sie von ihm hängen haben. Sieben Schwestern. »I’d seen an episode of ›Cops‹ where the guy had his shirt off, he was all scratched up and crying; one of his

sisters had beaten him up. The cops needed to take him somewhere, and he kept naming all these other sisters he couldn’t go to. Someone asked how many there were and he said, I have seven.« Sie wollen, daß Barry zu ihrer Dinnerparty erscheint, und gehen auf Nummer sicher. Barry, Leitung eins, deine Schwester, Barry, Leitung zwei, deine Schwester. Er taucht in dem Familiengetümmel, das Sittenbild des Stücks, mit einer Kuchenschachtel auf, und geht mit ihr unter, sie haben bereits einen, eine gewaltige Torte. Sie machen sich über eine alte Geschichte lustig, der kleine Barry, sein Hammer und das picture window des Elternhauses. Die fortgesetzte Hänselei, »We called you gayboy and you got all mad. Do you remember? Yes you do! Are you gay now?«, kostet sie die Front der nächstbesten, ihre eigenen Panoramafensterschiebetüren. Er zerschlägt und zertritt sie. In beneidenswerter Manier.

Barry zu Walter, dem Arzt in der Familie, »Sorry about what I did – I don’t like the way I am sometimes. Can you help me?« »Barry, I’m a dentist!« »I know that – Maybe you know other doctors? – I don’t have anyone to talk to about things and I understand it’s confidential with a doctor – I’m embarrassed about that and I don’t want my sisters to know – I don’t know if there’s anything wrong with me because I don’t know how other people are – sometimes I cry a lot – for no reason«. Und Adam Sandler legt, und zwar wirklich herzzerreißend, die Nummer Barry in Tränen hin, piece of cake und slice of life in einem. Nicht erst seit es das Kino gibt so eine Sache, piece of cake, aber woher nehmen und nicht stehlen, slice of life, aber wohin damit am falschen Platz.

Die verrückte Puddinggeschichte eine wahre, Barry’s »determination to take advantage of a marketing loophole and accumulate huge numbers of frequent flyer miles, is based on a real person, a civil engineer at UC Davis who gained 1.25 million miles by buying 12,150 cups of Healthy Choice pudding for

$ 3,000. ›This made sense to me‹‚ says Anderson, who read about it in Time magazine«, so die Los Angeles Times. Die echte Packung, der echte Coupon, die echten Konditionen, Wahnsinn. Und noch eine

Annonce, an die Barry gerät, Find Love, Talk Live, eine Telephonsexnummer. Unter dem Strich ein Erpresserladen in Utah, Furniture & Mattresses, mit einer Schlägerbande zur Hand. Vier blonde Brüder.

Als Dean Trumbell, The Mattress Man, sagenhaft Philipp Seymour Hoffman. Bisher in jedem Film dabei. In Hard Eight der Young Craps Player, in Boogie Nights der in Dirk Diggler verliebte Scotty, in Magnolia Phil Parma. Stock Company. Philip Baker Hall, John C. Reilly, Julianne Moore, William H. Macy, Melora Walters, Luis Guzman, Alfred Molina, eine, wie es sie seit Ford und Peckinpah, einem Menschenalter nicht mehr gegeben hat. Rund dreißig Jahre übrigens auch, was sagt, was es sagt, die zwischen den beiden großen Rollen des großen Jason Robards liegen, seiner letzten, schon vom Tod gezeichnet, der des sterbenden Earl Partridge in Magnolia, und dem unvergeßlichen Auftritt in The Ballad Of Cable Hogue.

Emily Watson, »I fell in love with her while watching her in Breaking The Waves«. Adam Sandler, »He’s always just made me laugh, he gets me, I wanted a piece of him« – daß das, das er bekommen hat, der Academy nicht einmal eine nomination wert war, sagt alles über den Betrieb.

Zu fein, zu schräg. Barry, »Hi, Walter.« Walter, »How is it going, how’s work?« Barry, »Business is very food, thanks.« Elizabeth, »What’s very food?« Barry, »What’s that?« Elizabeth, »You just said very food.« Barry, »I’m sorry, I meant to say very good.« Walter, »Maybe you said food because you’re hungry.« Barry, »That makes sense«. Too much.

Zu abstrakt. Eine Quintessenz des Genres, und die Reduktion so virtuos, daß ihr Raffinement kühl erscheinen könnte, wenn sie nicht Einstellung für Einstellung zugleich, und ohne die geringste Scheu vor Innigkeiten, bis zum Äußersten ginge, um wiederherzustellen, was in seinen Kindertagen der Sinn des Kinos war, staunen, und lachen und weinen zu machen.

Keine Umstände, sondern in schönster Freiheit die Tageszeiten nicht wie es sich gehört, sondern stimmig. Honolulu Airport Tag, Telephonzelle Dämmerung, Hotellobby Tag, Strandbar Abend, Hotelflur zeitlos – Kreisblende, ihre Hände Hand in Hand, Hotelzimmer Tag, Hotelzimmer Tag, Honolulu Airport Tag. Warum auch Nacht in ein paar Stunden, die wie im Flug vergehen, und wo im siebten Himmel zwei Verliebte kein Auge zu bekommen.

Geschwindigkeit, die älteste Hexerei der bewegten Bilder. Wenn es brennt die Entfernung von Sherman Oaks nach Utah der Katzensprung zwischen Ende des Gesprächs und mit dem Hörer noch in der Hand bereits in der Höhle des Schurken.

Das erbeutete Harmonium ist defekt. Die ersten Töne, die Barry den Tasten entlockt, Dissonanzen. Er hält es für ein kleines Piano. Lance, »It’s not a piano, I got a piano at home.« Die Kreditkarte sperren lassen, sehen, was mit dem Harmonium nicht stimmt, nein, erst das Harmonium. Zuvor zu oft mit dem Rücken zur Wand, jetzt schon auf halbem Wege das Harmonium, das ihm Halt gibt, an das gelehnt, auf das gestützt der Welt die Stirn zu bieten schon fast ein Kinderspiel ist.

Drei Passagen vollends abstrakt, nichts als verfließende Streifen und Farben, oder schimmernde Punkte, und ihre Metamorphose zum Lichtspiel eines funkelnden Sternenhimmels. Punch-Drunk.

»What’s all this pudding for?« »I don’t know.«

I’m sorry und I don’t know. Aber so ist die Welt nicht, daß sie es verstünde.

An Chaplin auch, dessen Art, die Füße zu setzen, aber es ist vor allem Buster Keaton, an den Barry erinnert, die Einsamkeit, die Traurigkeit, und das, was die Schwestern sich nicht vergegenwärtigen und die Brüder überrascht, die Kühnheit und die Kraft, seine Grazie und ihre wilde Seite. Buster Barry superhero, wenn es darauf ankommt on top of everything. »School never appealed to Paul & he had to leave the Buckley School in sixth grade because of fighting & bad grades«, »He later enrolled at New York University Film School but only attended for two days«, »He always wanted to be a filmmaker & watching movies was the only education he needed«, Paul Thomas Anderson, »born in Studio City«, 1. Januar 1970. Aber nicht jeder, von dem es erzählt wird, und es wird seit es Videos gibt, Floyd und Jack in Boogie Nights, am Silvestertag 1979, »This industry is going to be turned upside down soon enough«, »Why help it? When it looks like shit, and sounds like shit, then it must be shit«, gern von fast jeder und jedem erzählt, hat dieselbe genossen. Er ist ins Kino gegangen. Nicht anders als sagen wir Ozu unentwegt in alles, was aus Amerika kam. Die Kassetten zeigen es nicht, nicht die emotion der pictures.

»I’ve always loved the romantic comedy genre, especially Astaire-Rogers movies like Carefree and The Gay Divorcee, but they’re a bit out to pasture, they’ve kind of become standard, like action movies.« Punch-Drunk Love erinnert aber auch eher, und so lange ist es her, daß es solche romantic comedies gegeben hat, an die Rasanz der bis heute nicht im mindesten verblaßten Geniestreiche The Lady Eve und The Palm Beach Story. Jedoch auf eigenen Füßen und aus eigener Kraft. Nicht à la, sondern ebenso intelligent und ebenso schön, auf gleicher Höhe, und die alten Drehs wie eben erst erfunden.

Nichts an Punch-Drunk Love ist second hand, Anderson’s maßlose Liebe zum Kino keine Affäre wie etwa Quentin Tarantino’s Pulp Fiction, die eine, nun ja, etwas abgeschmackte war, die Abwicklung gekonnt, aber das Resultat von der Stange. Welch desillusionierender, toter Titel aber auch, ein Videotheksabteilungsleitereinfall, wie von der Markierung des Regals mit dem älteren Ramsch bezogen. Verehrung hilft, aber der bloße Hommage, an den film noir, den Western, den screw ball, you name it, der sich lediglich bedient, geht in die Knie. Alles unweigerlich in Richtung Parodie und zum Gähnen.

Lena, so selbstbewußt wie zuletzt die leading ladies bei Hawks, und Emily Watson macht das mit links und wunderbar, sie geht wie Rosalind Russell in His Girl Friday rannte, ergreift die Initiative. In Barry’s Büro zu deren Verblüffung vor versammelter Mannschaft. Im Restaurant der Kummer, daß er hören muß, was die Schwestern ihr über ihn verraten haben. Er zertrümmert den Waschraum. »Sir, can I talk to you?« »Why?« »Just have you for one second, please.« Es wird eine bittere Minute. »Sir, the bathroom was just torn apart.« »Yeah.« »Did you do it?« »No.« »You didn’t just smash up the bathroom?« »No.« »Well, who did?« »I don’t know.« »Your hand is bleeding.« »I cut myself.« »How?« »On my knife.« »Sir –« »I didn’t do that.« »Your hand is bleeding.« »I know.« »I’m gonna have to ask you to

leave.« »Why? – I didn’t do it – Please don’t do this to me –«, es hilft nichts, der Maître d’ wird grob. Aber auf der Straße, »Relocation at its best« steht auf dem an ihnen vorbeirauschenden Truck geschrieben, Musik, großes Orchester, Crescendo con molto sentimento d’affetto, und Lena an seiner Seite.

Geschäftlich nach Hawaii? Barry hat sofort ebenfalls einen Südseetermin. Tanzt in den ¢ 99 Supermarkt und zwischen den Regalen, Healthy Choice so weit das Auge reicht, Lena, I’m coming. Aber in weiter Ferne auf einmal, sechs bis acht Wochen Bearbeitungszeit, auch die Frequent Flyer Miles. »No no no no no NO NO!«, mit der Faust gegen die Wand. Die Karte von Amerika in seinem Büro hängt daraufhin schief. Close-up der rechten Hand, auf dem Harmonium, The Night Of The Hunter, L-O-V-E, zitiert, und doch nicht,

dort Buchstaben, hier Wunden. Schon ist er unterwegs, »I’ve never been on a plane before«, »What’s that sound?«, egal, Shelly Duvall singt Harry Nilsson’s »He Needs Me«, aus Popeye. Oahu, Palmen. Die Schwester, die weiß, in welchem Hotel, »What do you want her number for?«, »All I want is her number, can you help me out?«, »Tell me why!«, traut ihren Ohren kaum, »There’s no reason for you to treat me this way. You’re killing me! You’re killing me with the way you are towards me. All I want is her fucking number and that should be goddamn good enough for you! Now give me the fucking number!«, »Okay«, »You fucking hear me?!«, »Yes!«, »I’m sick of this fucking shit! Stop fucking treating me this way and give me the fucking number! I fucking kill you! You want that?« Die Brüder, die ihnen nach ihrer Rückkehr auflauern, Barry’s Wagen rammen, ein kleiner Blutstropfen nur, aber Lena ist verletzt, Lena ist verletzt, wissen nicht, wie ihnen geschieht, so schnell ist die halbe Portion über ihnen, ihre Eisenstange in

seiner Hand und alles vorbei. Der Mattress Man, der seinen Augen kaum traut, »You came all the way from Los Angeles to tell me that?«, läßt es sich zur Vorsicht nur gesagt sein, »I didn’t do anything. I’m a nice man. I mind my own business, so you tell me that’s that before I beat the hell from you. I have so much strength in me, you have no idea. I have a love in my life, it makes me stronger than anything you can imagine«. Und Lena hört es gern, wie er sie ihr erklärt, »I’m sorry – I’m so sorry – I left you at the hospital – I called a phone sex line – I called a phone sex line before I met you – and four blond brothers came after me and they hurt you – and I’m sorry – and then I had to leave again – because I wanted to make sure you never got hurt again – and I have a lot of pudding – and in six to eight weeks – it can be redeemed – so if you could just give me that much time – I think I can get enough mileage – to go with you wherever you have to go if you have to travel – for your work – because I don’t ever want to be anywhere – without you – so could you just let me redeem the mileage? – If you just give me six to eight weeks – I can redeem the mileage – and I can go with you – wherever you have to travel.« Die letzte

Einstellung, Barry an seinem Harmonium, Lena hinter ihm. So here we go. Machen Sie sich eine Sternstunde. Gehen Sie ins Kino.