Pisa liegt in Italien

Die italienische Regierung plant eine Schulreform mit differenzierten Ausbildungswegen wie in Deutschland. Das halten viele Lehrer und Schüler für keine gute Idee. von elena tebano, rom

Was in Deutschland eine scheinbar unumstößliche Realität ist, die Differenzierung in verschiedene Schulzweige mit eingeschränkter Berufswahl, löst in Italien momentan einen Sturm der Entrüstung aus. Seit Monaten gehen Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit Lehrerverbänden gegen die geplante Schulreform von Ministerpräsident Silvio Berlusconi auf die Straße. Die UDS (Union der SchülerInnen), der größte italienische Schülerverband, hat zusammen mit den Lehrergewerkschaften Ende März gestreikt und große Demonstrationen »gegen die Schulreform und für den Frieden« in Rom und anderen Städten organisiert. Es war der erste gemeinsame Streik seit vielen Jahren, an dem sich nach Gewerkschaftsangaben 80 Prozent der Lehrer beteiligten. 60 Prozent der Schulen blieben geschlossen.

»Die Regierung hat kein Geld für die Schulen, aber sie erhöht die Militärausgaben«, erklärte Giovanni Salvi von der UDS. »Bildungsministerin Letizia Moratti will mit der Reform ein Schulwesen schaffen, das jeden kritischen Geist verstummen lässt. Es gibt aber keine friedliche Welt ohne Ausbildung.« Nach Morattis Plänen soll es nach der Mittelschule einen gymnasialen und einen berufsbildenden Zweig geben. Bisher ermöglichen alle Schulen das Abitur und den Zugang zur Universität, auch wenn wenige Abgänger der Berufsschulen diesen Weg wählen. Nach fünf Jahren gehen alle Schüler für drei Jahre in die Mittelschule. Die letzten fünf Jahre bis zum Abitur werden die Schüler in Berufsschulen, Technischen Schulen und Gymnasien getrennt voneinander unterrichtet.

Für die Zukunft ist vorgesehen, dass die Jugendlichen sich mit 13 Jahren entscheiden müssen, ob sie studieren wollen oder nicht. Allein die gymnasiale Richtung wird sie auf die Universität vorbereiten, während die Berufsausbildung den Schwerpunkt auf technische Kenntnisse legt und bereits im dritten Jahr Praktika vorsieht. Diese Trennung wird von linken Gruppen und den Gewerkschaften vehement abgelehnt, weil sie das Recht auf Bildung aushebele. Nach Meinung der CGIL Scoula, der wichtigsten Lehrergewerkschaft, setzt die Reform die Schulpflicht faktisch herab. Durch die Reduzierung des Bildungsbegriffes auf berufsrelevante Faktoren werde den Jugendlichen zudem die Chance auf die Entwicklung ihrer Persönlichkeit, ihrer kulturellen, sozialen und geistigen Kompetenzen genommen.

Die Regierung stellt vor allem die populärste Neuerung in den Vordergrund. Ab September dürfen Kinder ein halbes Jahr früher in den Kindergarten oder die Schule gehen. Während viele Eltern dieses Vorhaben begrüßen, wehren sich die Lehrer gegen die frühere Einschulung. Sie fürchten, dass sie einen Eingriff in den besten Teil des staatlichen Schulwesens darstellt, und zwar ohne erkennbaren Nutzen. Die italienischen Kindergärten seien vorbildlich, und die vorzeitige Einschulung brächte das Erziehungssystem durcheinander, so ihr Argument. Ein Kind könnte bestimmte Fähigkeiten wie Lesen und Schreiben zwar früher lernen, ohne jedoch die nötigen sozialen Kompetenzen entwickelt zu haben.

Obwohl Ministerpräsident Berlusconi das neue Schulgesetz Anfang März als innovativste Ausbildungsreform der Republik anpries, ist unklar, wie es verwirklicht werden soll. Das Gesetz ist als so genannte »legge delega« genehmigt. Das heißt, dass die einzelnen Teile innerhalb eines Zeitraumes von 24 Monaten eingeführt werden müssen und keiner weiteren Bestätigung durch das Parlament bedürfen. Da die künftigen Vorschriften viele Bereiche betreffen werden, weiß man noch nicht, welchen Inhalt die Reform tatsächlich haben wird. Der Finanzausschuss hat inzwischen beschlossen, dass die Dekrete nur erlassen werden dürfen, wenn der Finanzminister im Voraus die Kreditdeckung dafür gewährt hat.

»Die Reform des Rechts ist praktisch auf die Tagesordnung des Finanzministeriums übergangen«, klagt Vittoria Franco, die Vorsitzende der Sozialdemokraten in der parlamentarischen Ausbildungskommission. »Die Regierung hat nur einen Teil der Reform finanziert, und zwar die vorzeitige Einschulung von etwa 16 000 Kindern. Für die anderen Maßnahmen gibt es vor Februar 2004 kein Geld. Das nächste Schuljahr wird also ohne die erforderliche Finanzierung beginnen.«

Die Reform orientiert das Schulwesen auf den Markt, und will, wie Berlusconi es formuliert, » die drei ›I‹, Inglese, Internet, Impresa« (Englisch, Internet, Unternehmen) in den Schulen verwirklichen. »Solche Kenntnisse reichen aber nicht aus, um Bildung zu schaffen«, erklärte Julia Moneti, eine Lehrerin, auf der Demonstration in Rom. »Die Schule soll die Menschen nicht nur für den Arbeitsmarkt erziehen.« Unternehmen und der Markt sind das Vorbild dieser Reform. Die propagierte Unabhängigkeit der Schulen bedeutet daher vor allem die Durchsetzung marktwirtschaftlicher Kriterien: je mehr »Kunden« sie anzulocken verstehen, desto mehr staatliche Förderung steht ihnen zu.

Direktoren und Lehrer versuchen bereits, ihre Schüler mit Angeboten anzuziehen, auf Kosten der Qualität der Ausbildung. »Die Schulkonferenz wird praktisch zu einem Verwaltungsrat, von dem die Schülervertreter bald ausgeschlossen werden«, erklärt Giovanni Salvi von der UDS, »und wird sich hauptsächlich um ökonomische Fragen kümmern.«

Um eine unabhängige Ausbildung zu bieten, haben die Schulen kein Geld. Die Regierung Berlusconi hat den Ausbildungsetat bereits um die Hälfte gekürzt, und in drei Jahren sollen etwa 35 000 Lehrer entlassen und sechs Prozent der Verwaltungsstellen gestrichen werden. Zudem ist das Gehalt der Lehrer sehr niedrig, was nicht gerade einen Anreiz darstellt, diesen Beruf zu ergreifen oder sich weiter zu qualifizieren. Nach 15 Jahren verdient ein Lehrer etwa 1 100 Euro im Monat. Seit vier Jahren fordern die Gewerkschaften Lohnerhöhungen, bisher ohne Erfolg.

Dabei scheint das europäische Ziel, der Ausbildung Priorität zukommen zu lassen, ein Luxus, den sich Italien nicht leisten kann oder will. Für diejenigen, die diesen Luxus dennoch nicht missen wollen, gibt es die Privatschulen, die vom Staat mitfinanziert werden. Man muss allerdings zuerst das nötige Schulgeld aufbringen.