Der Marathon
geht weiter

Die Gerüchte häufen sich, dass Joschka Fischer europäischer Außenminister werden soll. Der Abschied von der Misere der deutschen Politik käme ihm recht. von alexander wriedt

Nach fünf Minuten war am vergangenen Freitag die Pressekonferenz im Garten des Bundeskanzleramtes vorbei. Gerhard Schröder sprach von einem »offenen, freundschaftlichen Meinungsaustausch«, der US-amerikanische Außenminister Colin Powell sagte, man habe »direkt und offen« miteinander geredet. Kurzer Händedruck, knappes Lächeln, Ende des Auftritts. Der Streit in der Irakkrise hinterlässt tiefe Spuren, das Verhältnis der USA zu ihrem ehemaligen Lieblingsverbündeten ist immer noch gestört.

Ein paar Stunden später bietet sich den Journalisten ein ganz anderes Bild. Vor dem Gästehaus des Auswärtigen Amtes in Berlin-Dahlem, dem ehemaligen Sitz des amerikanischen Stadtkommandanten, trifft Powell Außenminister Joschka Fischer, schüttelt ihm herzlich die Hand und strahlt in die Kameras. Seinen »guten Freund Joschka« nennt er ihn. Mag die Wut der Amerikaner auf die Bundesregierung groß sein, Fischer ist ausdrücklich davon ausgenommen.

Nicht nur Powell schätzt den deutschen Außenminister. Es findet sich kaum ein europäischer Amtskollege, der nicht voll des Lobes für Fischer ist. Und dieser strebt offenbar schon nach Höherem: dem zukünftigen Amt des Außenministers der Europäischen Union. Was kümmert ihn die zähe Debatte über die Reform des Sozialstaates? Fischer denkt in größeren Zusammenhängen. Die weltpolitische Lage nach dem 11. September, das historische Projekt der europäischen Einigung und die Neuordnung des Nahen Ostens sind seine Themen.

»Wir alle brauchen eine neue globale Ordnung, die möglichst vielen Gesellschaften, Staaten und Bürgern Frieden, Gerechtigkeit und eine gemeinsame Perspektive bietet«, ist ein typischer Satz, den der ehemalige Häuserkämpfer über seine Hofberichterstatter von der Zeit verbreiten lässt. Journalisten, die den Minister bei Dienstreisen im Flugzeug begleiten dürfen, kommen zudem in den Genuss etwa eineinhalbstündiger Vorträge des Ministers. Über die Sitzreihen hinweg referiert er dann über die Welt im 21. Jahrhundert. Sein besonderes Augenmerk gilt dabei dem Nahen Osten, insbesondere dem Konflikt zwischen den Israelis und den Palästinensern.

Schon sein erster Besuch in Israel als deutscher Außenminister sollte ihm auf einen Schlag höchstes Ansehen als Diplomat einbringen. Am 9. Februar 1999 reiste er nach Tel Aviv, um an einer Konferenz über das Vermächtnis der 68er teilzunehmen. Am Abend des 10. Februar hielt er in der Universität vor 1 000 Zuschauern eine Rede, in der er über die Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus sprach. Ebenso wie viele andere seiner Generation habe er Angst gehabt, an der Unaufrichtigkeit im Umgang mit der Vergangenheit zu ersticken, sagte er. Deshalb habe er sich der Studentenbewegung angeschlossen. Er sprach allerdings auch über die Irrwege einzelner Gruppen, die terroristische Anschläge durchführten.

Er machte damals einen großen Eindruck auf sein Publikum. Es habe sich gezeigt, »mit welchem Gespür Fischer offenbar in der Lage ist, politischen Tretminen auszuweichen und klar gezogene, aber unsichtbare Grenzen zu respektieren«, schreibt der Historiker Wolfgang Kraushaar, ein Chronist der 68er-Bewegung. »Das war die hohe Kunst von Diplomatie, Ironie und Dialektik in einem«, schwärmte Josef Joffe in der Süddeutschen Zeitung. Die linken Kritiker hingegen hielten Fischers vorsichtige Formulierungen für pure Anbiederung und für einen Beweis seiner Wendigkeit.

Egal wie, von nun an war Fischer als Diplomat anerkannt. Im Juni 2001 sollte er wieder in Tel Aviv sein und nach einem verheerenden Selbstmordattentat in einer Diskothek am Tel Aviver Strand, in der Nähe des Hotels, in dem er gerade logierte, mit seinen Vermittlungsbemühungen noch einmal Begeisterung hervorrufen. Als Außenminister der EU würde seine Rolle in der Nahostpolitik wohl noch bedeutender.

Möglich könnte der Karrieresprung werden, da in absehbarer Zeit drei wichtige Posten in der EU zu besetzen sind. Zum einen der Job von Romano Prodi, dem derzeitigen Kommissionspräsidenten. Zum anderen sollen im Zuge der Reform der EU zwei neue Stellen geschaffen werden: die eines EU-Ratspräsidenten mit einer mehrjährigen Amtszeit und eben die eines EU-Außenministers, der mehr Macht haben soll als der heutige EU-Kommissar für Außenbeziehungen, Chris Patten, und der Hohe Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, zusammen.

Für Fischer böte sich ein eleganter Ausstieg aus der deutschen Politik. Denn was fordert ihn noch heraus? Den größten Teil seines Lebens hat er als hessischer Landespolitiker zugebracht. Später in Bonn spielte er den grünen Rebellen, der scheinbar für immer in der Opposition sein würde, so wie Helmut Kohl immer Bundeskanzler.

Als Außenminister erweiterte sich sein Horizont. Nun flog er von einer Hauptstadt zur nächsten, trat vor der Uno-Vollversammlung in New York auf, nahm an den EU-Gipfeln teil und durfte schließlich die Sitzungen des Uno-Sicherheitsrates leiten, als die halbe Menschheit vor den Fernsehern saß und die Verhandlungen über eine Irakresolution verfolgte.

Doch sein Bundeskanzler bereitete ihm eine herbe Niederlage. Während Fischer nach New York flog, um in zahlreichen Gesprächen einen Kompromiss mit den USA auszuhandeln, reichte dem Kanzler ein Ausflug nach Goslar, um auf einer Wahlkampfveranstaltung Fischers Taktiererei mit einem unmissverständlichen Nein zum Irakkrieg zu beenden. Die USA bezogen von da an nur noch die »Koalition der Willigen« in ihre Vorbereitungspläne ein. Die Kriegsgegner ordneten sich dem geschickt taktierenden Gespann aus dem französischen Außenminister Dominique de Villepin und seinem Präsidenten Jacques Chirac unter. Zum großen Verdruss von Joschka Fischer.

Ob ihm allerdings der Posten des EU-Außenministers den gewünschten Handlungsspielraum verschafft, ist zweifelhaft. Denn in naher Zukunft werden weder Frankreich noch Großbritannien noch Deutschland ihre Souveränität in der Außenpolitik auf einen EU-Außenminister übertragen. Doch das schreckt Fischer keineswegs ab. Denn es ist wohl nicht nur die Suche nach neuen Herausforderungen, die ihn treibt, sondern die Angst, in ein paar Jahren arbeitslos zu sein.

Die Ablehnung des Irakkrieges half der Regierung kaum. Nicht einmal 30 Prozent der Wähler würden zurzeit die SPD wählen. In den Regierungsfraktionen hält man es für ausgeschlossen, dass die rotgrüne Koalition bei der Bundestagswahl 2006 wieder eine Mehrheit bekommt. Da käme es Fischer ganz recht, vorher schon Abschied zu nehmen.

Den Grünen käme damit ihre Galionsfigur abhanden, die nach Schätzungen von Wahlforschern mindestens zwei Prozent der Wählerstimmen bindet. Und wer schlichtet beim nächsten Hauskrach? Kaum jemand anderem wäre es wie Fischer gelungen, in Krisen der Partei, etwa als Schröder den Grünen die Zustimmung zum Kosovokrieg abverlangte, die Mehrheiten zu organisieren, die Spaltung der Partei zu verhindern und den Bruch der rotgrünen Regierung abzuwenden.

Nun wird gerätselt, wer Fischers Nachfolger im Amt des Außenministers werden könnte. Verschiedene Namen wurden bereits genannt: Renate Künast, Fritz Kuhn, Krista Sager und Jürgen Trittin. Überzeugend wirkt keiner davon. Vielleicht ist das Schicksal der Grünen viel enger mit ihrem alten Dauerläufer Joschka Fischer verknüpft, als sie wahrhaben wollen.