Wer ist schon glücklich

Wie und mit wem soll man leben? Lucinda Williams gibt auf »World without Tears« Antworten. von vali djordjevic

Ein paar Ansprüche wird man/frau ja wohl stellen dürfen: »I want a comfortable bed that won’t hurt my back / Food to fill me up / And warm clothes and all that stuff.« So textete Lucinda Williams 1992 in dem Stück »Passionate Kisses«, das von Mary Chapin-Carpenter gesungen wurde und das mit einem Grammy für das beste Songwriting ausgezeichnet wurde. »Passionate Kisses« ist ein frühes Beispiel dafür, was an Williams toll ist. Es geht hier um das konkrete Leiden am Alltag, das nicht hinter verschwiemelten Metaphern versteckt, sondern beim Namen genannt wird. Sie evoziert Orte und Situationen, zeichnet das ganze Panorama von Einsamkeit und Nichtwissen, wo man hingehört im modernen Leben. Gleichzeitig ist sie verwurzelt

in der musikalischen Tradition von Country und Blues. Ihre Songs sind verortet im Süden der USA und in ihrer persönlichen Geschichte. Ihre Anschaulichkeit macht sie eindringlich und offen für Identifikation.

Williams galt über Jahrzehnte als ein Geheimtipp unter Kritikern und Musikern, die sie in den Olymp des alternativen Country gehoben hatten. Der große Erfolg ließ aber auf sich warten. Sie war der Musikindustrie nicht vermarktbar genug, passte nicht in die Kategorien, die den Musikmanagern profitabel erschienen.

Anfang der Siebziger hatte Lucinda Williams als Singer/Songwriter in der Tradition von Bob Dylan und Joan Baez angefangen. Nach zwei wenig beachteten Platten Ende der Siebziger bekam sie Mitte der Achtziger von der Plattenfirma CBS in Los Angeles die Chance ein Demoband aufzunehmen. Die Aufnahmen wurden jedoch abgelehnt, weil sie zu »Country« seien. CBS schickte das Band dann zu ihrer Vertretung nach Nashville – »Music City USA« und Hauptstadt des Country –, die es wiederum zu rockig fand.

1998 erschien dann endlich »Lucinda Williams« bei Rough Trade, das 1992 mit »Sweet Old World« ihren Ruf als außergewöhnliche Musikerin begründete. Aber erst 1998 mit »Car Wheels on a Gravel Road« wurde sie einem breiten Publikum bekannt. »Car Wheels« war eine schwere Geburt. Es dauerte sechs Jahre, bis das Album fertig war. Drei Mal nahm Williams die Platte neu auf, weil sie mit dem Klang nicht zufrieden war.

Eine Reportage in der New York Times 1997 gibt einen guten Eindruck von dem nervenaufreibenden Prozess. Jeder Song wurde wieder und wieder aufgenommen, Mandolinen hinzugefügt und wieder weggelassen, Backgroundsänger ins Studio eingeladen und wieder weggeschickt, verschiedene Produzenten verbraten.

Das Ergebnis jedoch war bemerkenswert, »Car Wheels« verkaufte sich über eine Million Mal, brachte ihr ihren zweiten Grammy und verschaffte ihr den Freiraum, eigene Ideen durchzusetzen.

Nach »Car Wheels« scheint der Perfektionszwang etwas nachgelassen zu haben, ihr Output hat sich normalisiert. Der Nachfolger »Essence« erschien schon drei Jahre später, nämlich 2001, und gerade wurde die neue CD »World without Tears« veröffentlicht. »World without Tears« ist zwar ein Meisterwerk, aber nicht Williams’ Meisterwerk, denn das 1998er-Album war so genial, dass nicht einmal sie selbst es überholen kann. Williams hält mit der neuen CD aber auf jeden Fall ihren Standard.

Hier arbeitet sie mit Kontrasten, sowohl musikalisch als auch textlich. Am besten funktioniert das, wenn sie Orte und Ereignisse zu fast physisch schmerzhaften Momentaufnahmen verdichtet. Im Song »Minneapolis« beschreibt sie die Stadt im Winter »Snow covered the streetlamps / and the windowsills / The buildings and the brittle crooked trees / Dead leaves of December« und verknüpft dieses Bild mit einem traumatischen Beziehungserlebnis »I can always trace it back / To that night in Minneapolis«. Das Lied fängt wie ein gewöhnliches Liebeslied an – eine Frau wartet auf ihren Liebhaber – endet mit offener Feindseligkeit: »You’re a bad pain in my gut / I wanna spit you out«. Das ist meilenweit entfernt von Country-Betulichkeit und »Stand by your Man«-Romantik.

Manchmal ist das fast zu viel. Es ist irgendwie eine Zumutung, solch intime Einblicke in das Innenleben einer anderen Person zu bekommen. Die gnadenlose Ehrlichkeit bewahrt Lucinda Williams gleichzeitig vor dem Absinken in den Kitsch. »Ventura« handelt von der Normalität des Lebens und der Sehnsucht nach dem Aufgehen im »Ocean of Love«, nur um diese »versteckte Besessenheit« anschließend über der Kloschüssel herauskotzen zu wollen.

»Viele meiner Songs sind insofern politisch, als sie den Zustand des Menschen beschreiben, worum es eigentlich in der Politik auch geht«, sagt sie in einem Radiointerview. Wie man sein Leben leben will, ist schließlich eine der grundlegenden Fragen, die einen beschäftigen.

Ihr »way with words« liegt sicherlich auch an ihrer Herkunft. Ihr Vater ist der Literaturprofessor und Dichter Miller Williams, der 1997 bei der zweiten Antrittszeremonie von US-Präsident Bill Clinton das – eher mittelmäßige – Gedicht »Über Geschichte und Hoffnung« verlesen durfte. Sie wuchs in einem Künstlerhaushalt auf, in dem Besuche von Schriftstellern wie Charles Bukowski und Alan Ginsberg ganz normal waren.

Die Verbindung zwischen den kunstvollen Lyrics und der bodenständigen musikalischen Tradition des Blues, der sich Lucinda Williams verpflichtet fühlt, macht den Reiz ihrer Musik aus. Bei ihrem Berliner Konzert im Mai dieses Jahres sagte sie vor der letzten Zugabe, einem Delta-Blues von Skip James, das wäre der Ort, von dem all ihre Musik herkomme.

Bei dem Berliner Konzert konnte man auch sehen, wohin die Reise noch geht. Denn Lucinda Williams ist noch lange nicht fertig. Sie macht im Gegenteil vor, dass frau in der Country-Musik in Würde älter werden kann. Lucinda Williams ist in diesem Jahr fünfzig geworden, und es gibt nicht viele Frauen, die in dem Alter einfach nur cool sind. »Reif, ich reif? Ich bin etwas langsam mit dem Reifwerden«, antwortet sie ungläubig lachend in einem Radiointerview mit einer Stimme, die ziemlich mädchenhaft klingt.

Auch wenn sie nicht angekommen ist, wahrscheinlich auch nicht ankommen will im Zustand des Erwachsenseins, verraten die Songs doch eine gewisse Erfahrung. Auf »Car Wheels on a Gravel Road« gibt es ein Stück, in dem sie über Selbstbefriedigung singt. »Lie on my back and moan at the ceiling«. Besser und dichter kann man es kaum ausdrücken. Die Frage, ob es ihr nicht unangenehm sei, sich so zu entblößen, versteht sie nicht: »Ich hab kein Problem mit dem Zeug. Ich bin jetzt eine ältere Frau und das heißt hoffentlich, dass ich als Künstlerin weniger befangen bin.«

Zum Nicht-Erwachsenwerden gehört auch, immer wieder an den falschen Mann zu geraten. Sie ist dabei allerdings nicht das Opfer, sondern die handelnde Person. Das mag sich alles etwas hoffnungslos und elend anhören, ist aber nicht so gemeint. Wer ist schon glücklich.

Lucinda Williams ist zumindest optimistisch. »Ich bin jemand, für den das Glas halb voll ist. Ich spreche aus einer Haltung der Stärke heraus.« Auf die Frage, was sie dazu bewogen hat, Songwriterin zu werden, erzählt sie in einem Interview von ihren Anfängen in den siebziger Jahren, dem Einfluss der Folkbewegung, die mit einer linken Politik in Verbindung stand: »Es gab auch einfach das Gefühl, dass ich die Welt ändern kann und aus ihr einen besseren Platz machen.«

Lucinda Williams: World without Tears (Lost Highway/Universal)