Der Koch und das Mädchen

Die Pläne der Bundesregierung zur Steuersenkung treffen die Union unvorbereitet. Aber ein paar Christdemokraten ergreifen die Chance zur Demontage Angela Merkels. von alexander wriedt

Der Kanzler ist wieder da. »Es tut sich etwas in Deutschland«, lobt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Der Ausflug ins Schloss Neuhardenberg war offenbar ein voller Erfolg. Schröder kündigt eine Entlastung der Steuerzahler in einer Höhe von 20 Milliarden Euro an, und kaum jemand fragt mehr nach der Finanzierung. Miesmachen, Kleinreden, Bedenken äußern, davon haben wir die Schnauze voll!

Dass dieses Treffen in Neuhardenberg in die Geschichte großer Reformen eingehen wird, ist allerdings nicht zu erwarten. Wahrscheinlicher ist es, dass der Name des Schinkelschlosses noch längere Zeit mit einer anderen Person in Verbindung gebracht wird, die gar nicht anwesend war: mit der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel.

Obwohl bereits Tage vor der Klausurtagung die Medien berichteten, dass der Kanzler am Ende des Treffens Steuersenkungen ankündigen werde, war Merkel nicht darauf vorbereitet. Die Frage, wie die CDU auf einen populären Vorschlag reagiert, der vordergründig den Forderungen entspricht, mit denen sie selbst im Bundestagswahlkampf geworben hatte, war offen. Kein Wunder, dass die Union »wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen« reagierte, wie es der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Friedrich Merz, ausdrückte.

Die Führungsriege der rot-grünen Koalition war noch nicht wieder in Berlin angekommen, da verbreiteten sich schon die widersprüchlichsten Äußerungen führender Unionspolitiker. »Das ist ein Strohfeuer und so etwas lehne ich ab«, sagte der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU). »Der Weg in den Schuldenstaat ist unverantwortlich«, stimmte Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) zu. Der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) und sein Kollege Dieter Althaus (CDU) aus Thüringen hingegen unterstützten die Bundesregierung: »Wir brauchen eine Steuerentlastung.«

Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) wiederum lehnte eine vorgezogene Steuersenkung kategorisch ab, ebenso wie Friedrich Merz, der Saarländer Peter Müller (CDU) und der Hesse Roland Koch (CDU). Und Merkel? Die Parteivorsitzende sagte, sie verschließe sich den Plänen Schröders »nicht prinzipiell«. Doch derart feinsinnig formulierte Andeutungen gingen in dem Chaos unter.

Im Laufe der Woche diskutierte die Union munter weiter. Dabei näherte sich der bayrische Ministerpräsident der Haltung Merkels an. Steuersenkung ja, aber nur, wenn die Bundesregierung Punkt für Punkt auflistet, wo überall gespart werden soll, schien die Devise zu werden. »Es gibt offensichtlich Leute, die nicht kapieren wollen, dass die Bundesregierung uns in eine Falle locken will«, sagte Merkel verzweifelt.

Einer, der das begriffen hat, ist der hessische Ministerpräsident Roland Koch. Er lehnt Zugeständnisse an die Regierung umso vehementer ab, je deutlicher Merkel zum Kompromiss neigt. Und es ist kein Zufall, dass Wulff und Müller fest an seiner Seite stehen. Zwar gilt Koch als extrem konservativ, und die beiden anderen gelten eher als liberal. Doch in Wirklichkeit verbindet sie mehr, als sie trennt. Sie sind Mitglieder im »Andenpakt«, einem Männerbündnis, das bis vor kurzem kaum bekannt gewesen ist und über das der Spiegel in der vorigen Woche berichtete.

Demnach gründete im Juli 1979 eine Ausflugsgruppe der Jungen Union (JU) auf einem Flug über die Anden den Bund »Pacto Andino«. Dabei waren Roland Koch, Christian Wulff und der spätere Verkehrsminister Matthias Wissmann. Man gelobte, füreinander einzustehen oder sich zumindest niemals öffentlich gegen ein Mitglied des Paktes zu stellen. »Uns eint, dass wir gegen den Zeitgeist der 68er in die CDU eingetreten sind«, erklärt Peter Müller, der erst später dazugestoßen ist. »Wir waren die Kerle, die Linken waren die Angepassten«, meint der Abgeordnete Friedbert Pflüger. Ein solches Weltbild verbindet.

Zwar werden auf den seltenen Treffen des Andenpakts weder Staatsstreiche vorbereitet noch Verschwörungen ausgeheckt. Doch es ist in dem harten, von Misstrauen und Konkurrenz geprägten politischen Geschäft äußerst hilfreich zu wissen, aus welcher Richtung keine Angriffe zu erwarten sind. Das schafft Spielräume, um langsam aber sicher die Parteivorsitzende aus dem Amt zu drängen. So wird das gegenwärtige Chaos in der CDU von Koch benutzt, um allen zu zeigen, dass Merkels Zeit abgelaufen ist.

Dabei hatte es die ehemalige Generalsekretärin, die Helmut Kohl gerne »das Mädchen« nannte, schon immer schwer an der Spitze der Partei. Denn die Macht hat dort nicht, wer in der Bundesfraktion über Autorität verfügt, sondern wer sich seinen Einfluss durch jahrelange Basisarbeit sichert. Die Voraussetzung für den politischen Erfolg ist die Bastion im eigenen Bundesland.

Koch, erst 43 Jahre alt, gründete mit 14 Jahren in seinem Heimatort Eschborn den Ortsverein der Jungen Union. Fünf Jahre später war er Stadtverordneter, zwei Jahre später CDU-Kreisvorsitzender, wenig später Landtagsabgeordneter. Schon als Jugendlicher lernte er, dass verlässliche Mehrheiten nur dort entstehen, wo loyale, ergebene Menschen sind, die selbst geringere Ambitionen haben. Schritt für Schritt baute er diese Mehrheiten aus.

Jetzt, als Ministerpräsident und Landesvorsitzender, hat er die hessische CDU unter seiner Kontrolle. Mit seinen Truppen im Hintergrund und getragen von der persönlichen Autorität, die ein Wahlsieg mit absoluter Mehrheit verleiht, tritt er dem »Mädchen« entgegen und schmiedet mit anderen mächtigen Landespolitikern Allianzen, um seine Kanzlerkandidatur vorzubereiten. Wer ist loyal? Wer ordnet sich mir unter? Wen muss ich beiseite räumen?

Dagegen kommt Merkel nicht an. In ihrer Heimat Mecklenburg-Vorpommern rutschte die CDU im Jahr 2002 von 38 auf 31 Prozent der Wählerstimmen ab. Als Koch, Wulff und Co. ihre ersten Posten erkämpften, an bierseligen Abenden politische Freundschaften fürs Leben schlossen, saß Merkel in der DDR. Die parteiinternen Netzwerke der Nachwuchskräfte waren längst etabliert, als die Ostdeutsche 1990 in die CDU eintrat. Bis heute gelingt es ihr auf Veranstaltungen der CDU nicht, den richtigen Ton zu treffen.

Als im Zuge der Spendenaffäre die Ära Kohl mit einem Paukenschlag beendet wurde, stand Merkel eher zufällig bereit, um den Platz Wolfgang Schäubles einzunehmen. Doch sie füllte ihn nie aus. Jetzt lässt sie offenbar außer dem Bundesgeschäftsführer Willi Hausmann nur noch zwei Mitarbeiter an sich heran: ihre Sprecherin Eva Christiansen und ihre Büroleiterin Beate Baumann, zwei Beraterinnen ohne jeden Einfluss in der Partei. »Ich kenne kaum noch jemand, der sie wirklich will«, zitiert die Süddeutsche Zeitung in der vorigen Woche einen namentlich nicht genannten Kenner der Partei.

Noch kann Merkel sich durchlavieren. Doch wehe, wenn Koch sich mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Peer Steinbrück (SPD) auf die Kürzung von Subventionen einigt und dies als einen Erfolg der Union verkauft. Dann wird die CDU von Wiesbaden aus geleitet.