Death is a Dirty Affair

Der Mikrobiologe David Kelly ist das Opfer der Auseinandersetzung zwischen der Labour-Regierung und der BBC über die wahren Gründe für den Irakkrieg. von alexander wriedt

Am 11. September 2001 um 14.56 Uhr, eine halbe Stunde nachdem das zweite Flugzeug in das New Yorker World Trade Center gekracht war, schickte Jo Moore, die PR-Beraterin der britischen Regierung, dem mittlerweile gefeuerten Informationschef Alun Evans eine E-Mail: »Heute ist ein sehr guter Tag, um all das bekannt zu geben, was wir begraben wollen.« Aufgebrachte Beamten leiteten die Nachricht an die Presse weiter. »Bury bad news« steht seitdem für die Methoden der britischen Regierung, jeden Schritt und jedes Wort von spin doctors vorbereiten zu lassen.

An der Spitze des Apparates herrscht der Kommunikationsdirektor Alastair Campbell, ein ehemaliger Journalist, der die Kontrolle darüber ausübt, welche Informationen an die Medien gegeben werden. Doch Campbell scheint das Ruder aus der Hand zu gleiten. Denn zu Grabe getragen werden nicht nur ein paar Informationen, sondern der Informant gleich mit. Der Mikrobiologe David Kelly, der als Waffeninspektor 37 Mal den Irak bereiste, brachte sich in der Nähe seines Hauses in Oxfordshire um, nachdem er als Informant der BBC enttarnt worden war. Die BBC hatte immer wieder behauptet, Blair habe die Öffentlichkeit bewusst über die Gefährlichkeit des irakischen Diktators Saddam Hussein getäuscht. Der Sender stützte sich dabei auf eine Quelle aus Regierungskreisen.

In mühseliger Kleinarbeit wird nun rekonstruiert, wer wann welche Informationen wem gesteckt hat. Denn davon hängt ab, wem letztendlich die moralische Verantwortung für den Tod des Waffenexperten zugewiesen wird. Eines aber ist jetzt schon klar: Kelly ist das Opfer einer Auseinandersetzung, die die BBC seit ein paar Monaten mit der britischen Regierung führt.

Der Ausgangspunkt war das 55 Seiten starke Irak-Dossier, das Blair am 24. September 2002 der Öffentlichkeit vorstellte und das als wichtige Rechtfertigung für den Feldzug diente. In dem Papier hieß es, Saddam habe sein Nuklearprogramm auch nach 1998 fortgesetzt und sei in ein bis zwei Jahren in der Lage, Atomwaffen zu bauen. Zudem habe er versucht, auf dem afrikanischen Schwarzmarkt Uran zu kaufen. Besonders beunruhigend erschien die Einschätzung, Saddam sei fähig, innerhalb von 45 Minuten biologische und chemische Waffen einzusetzen.

Von Anfang an stellten Experten das Dossier infrage. Die Dokumente, die den Versuch des Urankaufs belegen sollten, erwiesen sich als billige Fälschungen. Die Angaben über die Programme für Massenvernichtungswaffen entstammten teilweise einer zwei Jahre alten Studentenarbeit. Angebliche Geheimdienstquellen wurden nicht näher benannt. Waren die Geheimdienste total unfähig oder gab es einfach nichts zu finden? Der Chef der Waffeninspektoren, Hans Blix, beharrte darauf, dass die meisten Anlagen zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen im Irak längst zerstört worden seien.

Für Tony Blair und Alastair Campbell waren diese Einwände kleinkrämerisch. Ging es nicht darum, einen blutrünstigen Diktator zu stürzen? Glaubten die Journalisten wirklich, Saddam strebe nicht mehr nach Massenvernichtungswaffen? Mehrmals beschwerte sich Campbell bei den Vorgesetzten der Miesmacher, sie würden nicht objektiv berichten, sondern eine Anti-Kriegsstimmung unterstützen.

Doch die BBC ließ den verhassten PR-Strategen stets abblitzen. Sie seien weder für noch gegen den Krieg, sondern fragten lediglich, wie stichhaltig die von ihm genannten Kriegsgründe seien.

Erst als der Verteidigungsexperte der BBC, Andrew Gilligan, am 29. Mai 2003 im öffentlich-rechtlichen Sender Radio 4 behauptete, ihm habe ein »ranghoher Regierungsbeamter« bestätigt, der Bericht sei gegen den Willen des Geheimdienstes aufgemotzt worden (»sexed up«), verschärfte sich der Streit. Unter Hochdruck suchte die Regierung nach der undichten Stelle.

Drei Tage später legte Gilligan nach. In der Mail on Sunday schrieb er, die Rede von den 45 Minuten, innerhalb deren Saddam mit Chemiewaffen angreifen könne, sei nach Angaben seines Informanten von Campbell persönlich veranlasst worden. Gilligan wurde daraufhin vor den Auswärtigen Ausschuss geladen. Er blieb bei seiner Aussage und gab seine Quelle nicht preis. Die BBC lehnte eine von Campbell geforderte Entschuldigung daraufhin ab. Am 9. Juli nannte das britische Verteidigungsministerium dann erstmals öffentlich den Namen David Kelly.

Allerdings habe Campbell den Verteidigungsminister nur vorgeschoben, um den Biowaffenexperten nicht selbst öffentlich anschwärzen zu müssen, berichtete inzwischen die Tageszeitung Guardian unter Berufung auf nicht näher bezeichnete Quellen. Kelly sei bereits zuvor verdächtigt worden, da sein interner Bericht den Angaben des anonymen »Regierungsbeamten« auffallend ähnelte.

Am 15. Juli sagte Kelly vor einem Parlamentausschuss aus. Er gab zu, Gilligan in einer Londoner Hotelbar getroffen zu haben, er halte sich jedoch nicht für die Hauptquelle des Berichts. Das schien glaubwürdig, denn Kelly war kein »hoher Regierungsbeamter«. Außerdem habe er nicht behauptet, Campbell persönlich habe die »45 Minuten« eingefügt, was auch Gilligan inzwischen einräumte.

Offenbar hatte der Journalist die berechtigten Zweifel des Biowaffenexperten an der Stichhaltigkeit des Dossiers seinerseits aufpoliert und dabei gegen die eherne Regel der BBC verstoßen, für eine Tatsachenbehauptung mindestens zwei unabhängige Quellen zu befragen.

Zwei Tage später, bei einer weiteren Anhörung, dämmerte Kelly, dass er der einzige Informant des ehrgeizigen Reporters war und einen weitaus größeren Anteil an der Regierungskrise hatte, als er geahnt hatte. Am nächsten Tag wurde der 59jährige mit aufgeschnittenen Pulsadern tot aufgefunden.

Nach einer jüngsten Umfrage sind 50 Prozent der Briten davon überzeugt, dass die Regierung Kellys Verzweiflungstat zu verantworten hat, nur neun Prozent beschuldigen die BBC. »Klebt Blut an ihren Händen?« rief ein Journalist Blair nach einer Pressekonferenz zu, die dieser mit versteinerter Miene verließ.

Doch die Affäre könnte der BBC noch schweren Schaden zufügen. Kulturministerin Tessa Jowell drohte inzwischen, die BBC unter eine stärkere staatliche Kontrolle zu stellen. »Möglicherweise muss der Rundfunkvertrag radikal überholt werden.« Im Herbst wird der Vertrag, der die Finanzierung der BBC durch Rundfunkgebühren gewährleistet, neu verhandelt.

Die eigentliche Frage, ob die Regierung die Öffentlichkeit bewusst mit verfälschtem Geheimdienstmaterial versorgt hat, tritt nun angesichts der Querelen um Campbell und Gilligan zurück. Konservative Zeitungen verbreiten bereits, der Rücktritt Campbells sei eine ausgemachte Sache. Die Demontage des geschickten PR-Profis wird als Voraussetzung dafür angesehen, Tony Blair bei der nächsten Wahl aus dem Amt jagen zu können. Denn neben Schatzmeister Gordon Brown gilt Campbell als drittwichtigster Mann in der Labour-Partei.

Blair versucht, sich unbeeindruckt zu geben. »Ich denke nicht an Rücktritt, sondern werde noch eine volle dritte Amtszeit durchhalten.« Er scheint sich seiner Sache sicher zu sein. Denn mit der Untersuchung der Vorfälle hat er den angesehenen konservativen Richter Lord Brian Hutton beauftragt, einen der höchsten Richter Großbritanniens. Dieser machte schon deutlich, dass er seine Arbeit nicht auf die Todesumstände Kellys beschränken wird. »Ich lege den Gegenstand der Untersuchung fest und ich entscheide, wer zu befragen ist.« Blair beeilte sich mitzuteilen, er werde sich einer Befragung nicht entziehen.