Kick the Cook!

Mit der »Operation sichere Zukunft« leitet Hessens Landesregierung ein rigides Sparprogramm ein. Langsam regt sich Protest dagegen. von paul wellsow

Schmerzliche Einschnitte« drohte Ministerpräsident Roland Koch (CDU) im September den BürgerInnen Hessens an. Eine Milliarde Euro müsse eingespart werden, das sei »wichtig für unser Land«. Zu hohe Personalkosten, Vorgaben der Europäischen Union (EU) und des Bundes sowie sinkende Steuereinnahmen seien für das Haushaltsloch verantwortlich. Um das Land nun wieder »fit« für den Wettbewerb zu machen, wurde die »Operation sichere Zukunft« gestartet. Ein ganzes Bündel von Gesetzen und Maßnahmen soll die Ausgaben senken und zusätzliche Einnahmen bringen. »Viele Menschen wissen, dass wir von Gewohntem Abschied nehmen müssen«, heißt es drohend aus der Staatskanzlei.

Abschied nehmen von Gewohntem müssen vor allem Beamte, Studierende und soziale Einrichtungen. Für die Beamten will die Regierung längere Arbeitszeiten durchsetzen und das Weihnachts- und Urlaubsgeld kürzen. Zudem werden alle Behörden und Ministerien angewiesen, nach einem festgelegten Personalschlüssel entbehrliche MitarbeiterInnen zu melden. Diese werden dann auf frei gewordene Stellen verteilt, wobei ein Mitspracherecht der Personalräte nicht vorgesehen ist. Die Landesregierung hofft, auf diese Art bis zum Jahr 2009 Neueinstellungen überflüssig zu machen.

Richtig an die Substanz geht es aber im Sozialbereich. Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau werden um etwa die Hälfte gekürzt, und bei den Zuschüssen für Sozialeinrichtungen werden gleich 30 Millionen Euro eingespart, was einem Drittel der bisherigen Ausgaben entspricht. Vor allem politisch unliebsame Einrichtungen und Beratungsstellen müssen sich auf erhebliche Kürzungen oder sogar die Schließung vorbereiten.

So will das Sozialministerium die Zuschüsse für acht Frauenhäuser vollständig streichen. Die Landesarbeitsgemeinschaft Autonome Frauenhäuser beklagt, dass dadurch rund ein Drittel der vorhandenen Kapazitäten der Unterkünfte und der daran angeschlossenen Beratungsstellen für Frauen gefährdet wäre. Kräftig gekürzt wird darüber hinaus bei der Schuldner- und Drogenberatung, den Verbraucherzentralen, Hilfen für straffällig gewordene Menschen oder der Arbeit in so genannten sozialen Brennpunkten. Die Gewerkschaften fürchten insgesamt um mehr als 15 000 Arbeitsplätze, die das Programm kosten werde.

Die politische Klientel der CDU wird dagegen geschont. So müssen die organisierten »Vertriebenen« nur milde Kürzungen von etwa drei Prozent ihrer bisherigen Zuwendungen hinnehmen. Rudolf Friedrich (CDU), der Beauftragte der Hessischen Landesregierung für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, versprach den Verbänden trotz »der schwierigen Lage der öffentlichen Haushalte« weiterhin Förderung. Das bestätigt auch Alfred Herold, der Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen in Hessen, der Jungle World auf Anfrage: »Wir haben Signale erhalten, dass wir den Betrieb nicht einstellen müssen.«

Neben der Reduzierung freiwilliger Leistungen versucht das Kabinett in Wiesbaden auch, die Einnahmen zu erhöhen. Die Regierung verspricht sich die größten Zusatzeinnahmen von den Studierenden. Rund 24 Millionen Euro soll die Einführung von Studiengebühren für so genannte Langzeitstudierende bringen. Wer in Zukunft die Regelstudienzeit um mehr als die Hälfte überzieht, muss mit Gebühren von 500 bis 900 Euro pro Semester rechnen. Die Aufnahme eines Zweitstudiums wird mit 1 500 Euro pro Halbjahr zu einem unbezahlbaren Luxus. Weitere 15 Millionen Euro erhofft sich das Land von Verwaltungsgebühren in Höhe von 50 Euro pro Semester, die von allen Studierenden gezahlt werden müssen.

Diese Einnahmen kommen aber nicht den Universitäten zugute, sondern fließen zu 90 Prozent direkt in den Landesetat. Nur zehn Prozent gehen als Ausgleich für den zusätzlichen Verwaltungsaufwand an die Universitäten zurück, die für die Einziehung der Gebühren zuständig sein werden. So will sich die CDU ihren Traum von der Elitenbildung erfüllen und einen Fonds speisen, aus dem »leistungsstarke Studierende« gefördert werden, wie Wissenschaftsminister Udo Corts (CDU) mitteilte.

Doch Studiengebühren und Kürzungen im Sozialbereich dienen nicht nur dem Auffüllen der Staatskasse. Udo Corts macht dies deutlich, wenn er vom »steuernden Charakter« der Studiengebühren spricht. Denn es geht der konservativen Regierung um eine Neuordnung weiter Teile der Gesellschaft nach den Anforderungen der Wirtschaft.

Daran ließ auch Koch keinen Zweifel, als er im Sommer dieses Jahres, wenige Monate nach seiner Wiederwahl zum Ministerpräsidenten, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die künftigen Leitlinien seiner Politik erläuterte. Der »Ausbau des bislang unterentwickelten Niedriglohnsektors« müsse ebenso vorangetrieben werden wie die verstärkte Pflicht zur Erwerbsarbeit, sagte Koch. Eine »deutliche Absenkung der öffentlichen Geldleistungen« sei dafür notwendig.

Hessens Oppositionsparteien stürzen sich derweil dankbar auf die Pläne aus Wiesbaden. Die SPD und die Grünen kritisieren lautstark das Sparkonzept der CDU und versuchen, so als würde niemand mehr irgendetwas merken, sich als das soziale Gewissen des Landes darzustellen. Über die Agenda 2010 oder Rentenkürzungen aus Berlin ist von ihnen dabei selbstverständlich nichts zu hören. Davon soll elegant abgelenkt werden.

Schaut man jedoch genauer in die Erklärungen der Sozialdemokraten, fällt auf, dass sie sich vor allem als die effektiveren Sparer anbieten. So beklagt Norbert Schmitt, der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, dass »bei weitem nicht die von Koch angekündigte Summe von einer Milliarde Euro gespart« werde. Er bleibe »beim Sparen weit hinter den Leistungen rot-grüner Vorgängerregierungen zurück«. Und auch gegen Studiengebühren hat die SPD nichts einzuwenden. Sie bevorzugt lediglich ihr eigenes Zeitkontenmodell, das »nah an den FDP-Ideen« sei, wie der hochschulpolitische Sprecher der Partei, Michael Siebel, stolz verkündet.

Bis das Sparprogramm Mitte Dezember den Landtag endgültig passiert, bleibt nicht mehr viel Zeit. Doch mittlerweile wird der Protest lauter. An einer ersten zentralen Demonstration beteiligten sich überraschenderweise bereits rund 10 000 Menschen. Und an den Universitäten wird teilweise bereits gestreikt. Zuerst beschlossen in Frankfurt 5 000 Studierende einen Streik, Gießen und Marburg folgten wenig später. Jennifer Pahmyer, die hochschulpolitische Referentin des AStA Marburgs, sagte der Jungle World: »Wir protestieren gegen jede Form des Sozialabbaus. Die Einführung von Studiengebühren ist nur ein Teil davon.«

Für den 18. November hat ein Bündnis aus Gewerkschaften, Studierendenvertretungen und Wohlfahrtsverbänden zu einem Protesttag nach Wiesbaden gerufen. Unter dem Motto »Tag der Verweigerung« sollen dort »unterschiedliche Formen des Protestes auch durch Abwesenheit vom Betrieb« ihren Ausdruck finden, wie Rüdiger Stolzenberg vom DGB Hessen der Jungle World verriet.