Bagdad, wir kommen!

Die Rolle der Uno im Irak soll gestärkt werden. Ein militärisches Engagement Deutschlands und Frankreichs wird dadurch wahrscheinlich. von markus bickel

Vor genau einem Jahr hatte Dominique de Villepin noch lautstark protestiert. Der Auftritt des französischen Außenministers im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen geriet zu einem der seltenen Augenblicke, in denen lautstarker Beifall die sonst so strengen diplomatischen Gepflogenheiten im wichtigsten Organ der Weltorganisation sprengte. Mit seiner Brandrede gegen den vom US-Secretary of State, Colin Powell, propagierten militärischen Einsatz zum Sturz des Regimes von Saddam Hussein zog Villepin mehr als die Hälfte der Sicherheitsratsmitglieder auf seine Seite. Den Krieg gegen den Irak freilich konnte er nicht verhindern.

Zwölf Monate später ist es ruhig geworden um die Irakpolitik der beiden mächtigsten Antikriegsstaaten Frankreich und Deutschland. Auffällig ruhig. Vom Anfang 2003 deklarierten Ziel, die Uno-Waffeninspektoren ihre Arbeit in Ruhe beenden zu lassen, ehe über weitere Schritte entschieden werden könne, ist heute nicht mehr die Rede. Warum auch? Die Untersuchungsausschüsse in den Hauptstädten der beiden großen deutsch-französischen Antipoden, Großbritanniens und der USA, erledigen die Arbeit schließlich von allein. Aber auch mit Kritik an der von Paul Bremer geführten Übergangsverwaltung in Bagdad halten sich die Außenpolitiker der kerneuropäischen Entente zur Zeit eher zurück.

Angesichts der Arrangements, die Uno-Generalsekretär Kofi Annan in den vergangenen Wochen mit Powell und anderen US-Offiziellen vereinbarte, arbeitet die Zeit ohnehin für die Führungsmächte des »alten Europa«. Der von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld vor just einem Jahr auf der Nato-Sicherheitskonferenz in München verkündete Bruch mit den Antikriegsmächten ist zwar nicht vergessen, doch inzwischen ist es die Administration von George W. Bush selbst, die auf eine rasche Rückkehr der Vereinten Nationen in den Irak drängt. Dass französische und deutsche Diplomaten dann eine große Rolle spielen werden, versteht sich von selbst.

Denn mehr als neun Monate nach dem Ende des Krieges wächst auch unter Befürwortern der Militärintervention die Unterstützung für eine beschleunigte Übergabe politischer Verantwortung an die lokalen Akteure. Der in Washington ursprünglich vorgesehene, am 15. November des vorigen Jahres nicht zuletzt auf Druck von Annan mit den Spitzen des Regierungsrats festgelegte Plan für den Machtwechsel gerät ins Wanken. Und zwar nicht nur wegen des starken innenpolitischen Drucks, den der geistliche Führer der Schiiten, Ali Husseini al-Sistani, seit Anfang des Jahres auf die Provisorische Koalitionsverwaltung (CPA) Bremers ausübt.

So forderte Spaniens Außenministerin Ana Palacio bereits Mitte Januar ein stärkeres Mandat der Uno, die gemeinhin als Gegnerin der US-geführten Protektoratsverwaltung wahrgenommen wird. Auch Villepins bei einem Trip durch die Golfstaaten propagierter Plan, im Sommer eine internationale Irak-Konferenz abzuhalten, zielt auf ein Zurückdrängen der USA – »multilateral« verbrämt durch die Rede vom stärkeren Engagement der Weltorganisation, die »den Prozess eines raschen Souveränitätstransfers effizienter machen und ihn mit so viel Legitimität wie möglich ausstatten« soll.

Dass Annan vor der Weiterreise zum World Economic Forum in Davos Außenminister Joschka Fischer in Baden-Baden traf, spricht ebenso für ein Wiedererstarken der alteuropäischen Allianz wie der Besuch bei Frankreichs Präsident Jacques Chirac. Dort gab der Generalsekretär vorige Woche bekannt, worauf die von Sistani und anderen irakisch-schiitischen Führungskräften mobilisierten Demonstranten seit Wochen drängen: »eine konstruktive Rolle« der Uno beim Finden eines »Auswegs aus der aktuellen Sackgasse«, so Annan. Sobald die Sicherheitslage es erlaube, soll ein Erkundungsteam eruieren, ob die Wahlen noch vor dem 30. Juni abgehalten werden können, wie es vor allem die Vertreter schiitischer Organisationen fordern. Sie sehen sich als Repräsentanten der schiitischen Bevölkerungsmehrheit und wollen ihren Einfluss in den noch zu bildenden Institutionen eines souveränen Irak sichern.

Doch verlaufen die Grenzen zwischen Anhängern einer raschen Machtübergabe an die lokalen Kräfte und Freunden einer verlangsamten Übergabe von Befugnissen der Bremer-Behörde an eine voll entscheidungsfähige irakische Regierung nicht unbedingt entlang der Trennlinie Uno versus CPA. Im Gegenteil. Annan selbst erntete Anfang Januar dickes Lob aus der US-Administration, als er die noch vor dem Sistani-Vorstoß erhobenen Forderung von Aziz al-Hakim zurückwies, Wahlen schon vor dem 1. Juli abzuhalten. Hakim ist Oberhaupt des einflussreichen schiitisch-islamistischen Obersten Rats für die Islamische Revolution im Irak (Sciri) und hatte im Januar den rotierenden Vorsitz im 25köpfigen Regierungssrat inne.

Wie al-Sistani insistiert Hakim darauf, dass eine irakische Verfassung nur von einer gewählten Regierung verabschiedet werden kann – und nicht von dem von der US-Protektoratsbehörde eingesetzten Regierungsrat. Dieses Gremium hatte von Bremer die Zusage erhalten, dass eine noch zu bildende irakische Regierung am 1. Juli die volle Souveränität erhalten solle.

Doch das Abkommen vom 15. November sieht vor, dass Wahlmänner in einem indirekten Ernennungsverfahren in den 18 Provinzen des Nachkriegslandes die Regierung bestimmen – ein Verfahren, dass der US-Regierung größere Einflussmöglichkeiten sichern würde als eine direkte Wahl. In Washington hofft man nun, dass auch Annans Erkundungsteam die Organisation von Wahlen innerhalb von fünf Monaten für unmöglich erklärt.

Da die politischen und militärischen Vorhaben Washingtons immer weiter ins Wanken geraten – bis Mitte 2005, so die Washington Post, soll die derzeit rund 130 000 Soldaten starke Besatzungsarmee sukzessive auf ein Drittel reduziert werden –, könnte in den kommenden Wochen ein Plan wieder auf den Tisch kommen, der auf der Nato-Sicherheitstagung in München vor einem Jahr für blankes Entsetzen bei Rumsfeld und seinen Verbündeten sorgte: Tausende Uno-Blauhelme, schrieb der Spiegel damals unter Berufung auf ein dem Blatt zugespieltes, angeblich von deutschen gemeinsam mit französischen Diplomaten ausgearbeitetes Papier aus dem Bundeskanzleramt, könnten nach einer Zustimmung der einheimischen Behörden in den Irak entsandt werden.

Annan deutete bei seinem Paris-Besuch bereits an, dass er mit Chirac nicht nur über Wahlen, sondern auch über die Entsendung von Truppen gesprochen hat. Es sollen keine Blauhelme unter Uno-Kommando sein, aber »was es geben könnte, ist eine vom Sicherheitsrat autorisierte multinationale Truppe, die den Irak gemeinsam mit den Irakern stabilisiert und sichert«.

Ein Fall für die deutsch-französische Brigade in Müllheim? Dass zumindest deutsche Dementis, die Entsendung von Bundeswehrsoldaten betreffend, nicht lange halten, stellte Verteidigungsminister Peter Struck ja erst Mitte Januar unter Beweis. »Wenn es Anfragen humanitärer Art gibt, werden wir uns nicht verweigern, aber ansonsten wird es deutsche Soldaten im Irak nicht geben.« Fünf Tage vorher sagte er noch: »Im Irak selbst hat kein deutscher Soldat etwas verloren.«