Black Box Bagdad

Weblogs aus dem Irak dokumentieren die Stimmung unter den jungen Leuten. von thomas büsch

Wenn man wissen will, was jüngere dissidente Irakis bewegt, lohnt es sich, online zu gehen und die entsprechenden Internet-Foren aufzurufen. Es waren vor allem viele Frauen, die sich in der vergangenen Woche unter Titeln wie »Baghdad Burning« in den irakischen Weblogs zu Wort meldeten. »In den letzten Tagen drehte sich alles um den Beschluss Nr. 173, die Änderung des Familienrechts zu Gunsten der Sharia. Ich bin nicht die Einzige, die sprachlos ist. Alle, mit denen ich rede, sind entsetzt. Wie kann man uns – nach Jahrzehnten des Terrors – in den Fundamentalismus jagen?« schreibt eine Frau unter »Baghdad Burning«, einem Girl Blog aus dem Irak, am 20. Januar 2004.

Es geht um den Vorstoß der momentan den irakischen Regierungsrat anführenden Schiiten, die unlängst eine Wiedereinführung des islamischen Gesetzes im Familienrecht beschlossen, das demnächst durch den US-Zivilverwalter Paul Bremer ratifiziert werden soll. Die geplante Wiedereinführung islamischer Rechtsgrundsätze stellt eine international viel zu wenig beachtete politische Wendung dar, die die Weblog-Autorinnen wütend in die Tasten greifen lässt. Die Online-Tagebücher bieten ein Forum für die irakische Zivilbevölkerung, aber auch für amerikanische GIs und Journalisten, um vorbei an militärischer Kontrolle und redaktionellen Zwängen über die Situation des Landes zu kommunizieren.

Die westliche Presse äußerte sich bislang zurückhaltend oder zeigte sich uninteressiert an der geplanten Gesetzesänderung, die vor allem die Rechte der Frauen im Irak einschränken wird. Lediglich die Washington Post beschäftigt die Islamisierung im Familienrecht, die sowohl für die Unterdrückung der Frauen in Afganisthan unter der Taliban-Diktatur als auch für deren Situation im heutigen Iran verantwortlich ist. Initiator der rückschrittlichen Reform ist Ayatollah Ali Sistani, konservativer religiöser Führer der schiitischen Mehrheit im Irak, der bisher von der Bush-Regierung als umsichtiger Führer eingestuft wird. Hunderttausende seiner Anhänger demonstrierten tagelang in den Straßen von Bagdad für schnelle und direkte Wahlen zum Parlament. Sistani droht mit einem Aufstand, falls die Amerikaner weiterhin den Status als »Besatzungsmacht« aufrechterhalten. Nach dem Rotationsverfahren im Regierungsrat haben die Schiiten zurzeit den Vorsitz inne und lassen keine Gelegenheit aus, die Opposition und die nicht schiitische Bevölkerung zu brüskieren.

Ausführlichere Informationen zur Pro-Scharia-Resolution 173 finden sich bei »Healing Iraq« des Irakis Zeyad. Täglich werden am Beispiel von Demonstrationen und Kundgebungen kontroverse Standpunkte zur Frage der Familie und der Rechte der Frauen reflektiert. Zeyad ist Computeringenieur und interessierte sich bereits vor dem Krieg für die Blogger-Szene; »Healing Iraq« war der erste irakische Blog mit Messageboard, offen für eine dialogische Kommunikation. Das selbst gesteckte Ziel war es, den Irak von einem jahrzehntelangen Missbrauch zu heilen und so zu einer neuen Gesellschaftsform zu führen.

Der New Yorker Journalist Christopher Allbritton sieht einen politischen Deal im Zusammenhang mit der Resolution 173. Auf seinem Weblog »Back to Iraq 3.0« diskutiert er, wie der den Machthabern im Iran nahe stehende Schiitenführer Sistani versucht, entweder auf Kosten der irakischen Frauen die Scharia durchzusetzen oder so schnell wie möglich direkte Parlamentswahlen mit Mehrheitswahlrecht anzusetzen. Diese würden Sistani als geistigem Führer der schiitischen Mehrheit einen Stimmengewinn und die Führerschaft im Land bescheren. Dem entgegen steht das von den Amerikanern favorisierte, paritätische, lokale Wahlprinzip, das versucht, in der Machtverteilung den verschiedenen, ethnischen Bevölkerungsgruppen gerecht zu werden.

Mit der Erkenntnis, die offizielle Informationspolitik des Pentagon sei Teil der Kriegsführung und deren Propaganda-Strategie, reiste Christopher Allbritton im März 2003 zum zweiten Mal in den Irak und schuf das erste Journalisten-Weblog, finanziert durch seine Leser, die er zu Spenden aufrief. Frustriert über die dortige Situation schrieb er am 18. April: »Die Bevölkerung ist wütend – kein Telefon, kein Wasser, kein Strom und keine Arbeit – die GIs werden aggressiv, sobald sie mit der öffentlichen Wut konfrontiert sind. Das Palestine Hotel ist eine bewaffnete Festung, bewacht von 150 GIs und einem Dutzend Spezialeinheiten. Die Marines stoßen die Iraker zurück – nicht gerade freundlich, dabei haben diese nur eine Hoffnung, dass ihnen endlich jemand zuhört.«

Die bewachte Festung des Palestine Hotels, in der der Journalist selbst wohnt, »ist für die drinnen ein Gefängnis; die Gefangenen können ihren Wachposten nicht trauen; nachts wird regelmäßig geschossen, manchmal auch auf das Palestine selbst.« Auf die Frage, warum ein GI eine irakische Frau erschossen hat, antwortet dieser lapidar: »Sie stand im Weg.«

Faiza fragt in »A Family in Baghdad« am Tag des Selbstmordanschlags vor dem amerikanischen Hauptquartier am 18. Januar 2004: »Zu Zeiten Saddams hatten sich die westlichen Medien darauf spezialisiert, über Saddams Verbrechen zu berichten, aber wer kümmert sich heute noch um uns?«

Faiza und ihre Familie waren schon immer Gegner von Saddam Hussein; in ihrer Nachbarschaft wurde in jeder Familie mindestens ein Mitglied getötet. Das Gefühl, im Weg zu stehen, hat sie in den letzten Monaten ständig gehabt. Am 8. Januar 2004 gerät Faiza unbeabsichtigt mit ihrem Auto in einen Militärkonvoi; der GI im vorausfahrenden Truck fordert sie aggressiv gestikulierend auf, die Spur zu wechseln: »Dieser Soldat war grob und ohne Respekt. Das ist das Land meiner Vorfahren, und dann kommt dieser Fremde und glaubt, er beherrscht die Straße und ich hätte mich nach seinen Anweisungen zu richten, sonst würde er mich ohne weiteres erschießen.«

Am gleichen Tag fragt sie sich, wer sich um die Angehörigen der zivilen Opfer kümmere. Erst sei die Armee mit dem Befehl gekommen, auf alles, was sich bewegt, zu schießen. Anschließend kamen die NGO, um die Toten wegzuräumen; schließlich die Presse, um über Kollateralschäden zu berichten.

Bei »Where is Raed«, einem Weblog eines jungen Iraki, der bereits lange vor dem Krieg einen Teil der Blogger-Szene des Landes beeinflusste und dessen Tagebuch während des Kriegs in der westlichen Presse große Beachtung fand, gibt es ein Zitat von Samuel P. Huntington: »Der Westen hat nicht wegen einer Überlegenheit seiner Ideen, Werte oder Religionen gewonnen, sondern vielmehr wegen einer Überlegenheit seiner organisierten Gewalt. Oft vergisst der Westen diese Tatsache, die anderen aber nie.«

Den Jahreswechsel verbringt Raed in Amman. Die abenteuerliche Fahrt hin und zurück beschreibt er auf seinem Weblog. Anfang Januar meldet er sich zurück: »Ich hoffe, ihr hattet einen tollen Jahreswechsel, unserer war laut, mit vielen Bangs. Mutter erzählte, es war wie Krieg, wegen der ständigen Explosionen.«

Über durchwachte Nächte findet sich auch auf »Baghdad Burning« ein Beitrag: »Es ist die Angst, die einen nachts wach hält. Es ist, als ob du das Haus verlassen hast und plötzlich glaubst, du hättest vergessen, den Herd oder das Bügeleisen auszuschalten. Nur mit dem Unterschied, das dieses Gefühl anhält, einen Tag, eine Nacht, eine Woche, einen Monat, viele Monate, bis du nicht mehr merkst, dass es nachts aufgehört hat zu existieren.«

http://riverbendblog.blogspot.comhttp://healingiraq.blogspot.comhttp://…