Das Gericht übernimmt

Stellen Sie sich vor, Sie werden arbeitslos und kassieren 30 Millionen Euro. Feindliche Übernahmen machen es möglich. Eine wird nun im Mannesmann-Prozess behandelt. von pascal beucker

Igor Landau ließ die Muskeln spielen. »Dieser Kampf würde zweieinhalb Monate dauern, wenn wir passiv blieben. Aber das ist nicht unsere Absicht«, sagte der Vorstandsvorsitzende von Aventis und schwor die Belegschaft seines deutsch-französischen Pharmakonzerns auf einen langen Kampf zur Abwehr des feindlichen Übernahmeangebotes des Unternehmens Sanofi-Synthélabo ein. Landau reagierte auf die Ankündigung des kleineren, aber dynamischeren französischen Konkurrenten vom Montag der vergangenen Woche, Aventis übernehmen zu wollen.

»Wir prüfen alle Szenarien, Verteidigungsmöglichkeiten und Allianzen«, kündigte Landau an. Aventis, Ende 1999 aus der Fusion der zuvor um die Chemiesparte verkleinerten Hoechst AG und der französischen Rhône-Poulenc hervorgegangen, nahm bereits drei Investmentbanken unter Vertrag, um eine Abwehrstrategie zu entwickeln.

»Übernahmeschlacht« heißt das Stück, das, glaubt man der Wirtschaftspresse, in diesem Jahr wieder öfter gegeben werden könnte. Zum Einstieg in das Kampfgeschehen schaltete Sanofi als Werbung für die Übernahme ganzseitige Anzeigen mit dem Motiv eines krank aussehenden Jungen in deutschen, französischen und internationalen Zeitungen: »Wollen sie Jan etwa sagen, dass seine Medizin erst in 20 Jahren erfunden wird?«

Die Not leidenden Zeitungsverleger der Republik können sich freuen, denn ein prasselnder Geldregen kündigt sich für sie an. Wie vor fünf Jahren, als sich die Mannesmann AG mit einem Baby anstelle eines Jungen gegen die Begehrlichkeiten des britischen Konzerns Vodafone zu wehren suchte. Fast täglich war der Hosenscheißer in den Tageszeitungen der Republik zu bewundern. »Eine feindliche Mutter wäre das Allerschlimmste«, war dabei zu lesen. Zwei Zeitungsseiten weiter konterte die »feindliche Mutter« Vodafone mit einer Anzeige, auf der eine attraktive Lady den Lesern aus ihrer Satin-Bettwäsche entgegenschrie: »Ja, ich tausche Mannesmann gegen Vodafone.«

Fast zwei Milliarden Mark pumpten Mannesmann und Vodafone damals in Beraterteams und Anzeigenkampagnen. Aber es ging ja auch um nicht weniger als »die größte Übernahmeschlacht der Wirtschaftsgeschichte«, wie der Spiegel sie nannte. Mehrere Monate tobte die Auseinandersetzung, Anfang Februar des Jahres 2000 stand der Gewinner fest. »Wir sind beide Sieger«, jubilierte der Vorstandsvorsitzende von Vodafone, Chris Gent, vor der Presse und reichte Klaus Esser, dem Vorstandsvorsitzenden von Mannesmann, demonstrativ die Hand.

Kurz zuvor hatte Esser überraschend kapituliert und den Fusionsvertrag unterschrieben. Für 180 Milliarden Euro durfte Vodafone »friedlich« das über 110 Jahre alte Traditionsunternehmen schlucken. Trotzdem hatte Gent nicht Unrecht. Auch Esser war ein Sieger, rein persönlich jedenfalls. Denn seinen Handschlag ließ sich der Manager, der erst Mitte 1999 den Chefposten übernommen hatte, vergolden. 28 Millionen Mark erhielt er als Abfindung, 32 Millionen als »Anerkennungsprämie« für seine »großartigen Leistungen« beim Verkauf von Mannesmann.

Die IG Metall protestierte heftig. Die Abfindung sei »unanständig hoch und für keinen Arbeitnehmer mehr nachvollziehbar«, schimpfte ihr damaliger Vorsitzender, Klaus Zwickel. »In der gerade begonnenen Tarifrunde sollen sich die Arbeitnehmer mit dem Inflationsausgleich begnügen. Und gleichzeitig werden einem Unternehmenschef fast 60 Millionen Mark auf einen Schlag ausgezahlt.« Solche »Auswüchse des globalen Kapitalismus«, von denen die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat erst aus der Zeitung erfahren hätten, seien der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln. Und Zwickel beteuerte: »Das war weder ein Thema im Aufsichtsrat, noch ist darüber im Aufsichtsratsausschuss für Vorstandsangelegenheiten jemals gesprochen worden.«

Das war im Februar 2000 – und es war gelogen. Inzwischen ist Zwickel in Rente und hat viel Zeit. Einen Teil davon verbringt er seit dem 21. Januar in Düsseldorf. Noch mindestens bis Juni muss sich der 64jährige jeweils mittwochs und donnerstags vor dem dortigen Landgericht für sein Verhalten im Aufsichtsrat von Mannesmann verantworten.

Zwickel versteht die Welt nicht mehr. »Nach 50 Jahren Arbeit habe ich mir vieles vorstellen können, aber niemals, dass ich eines Tages wegen Veruntreuung angeklagt sein würde«, klagte er vor Gericht. »Ein Arbeitsleben lang habe ich mich für die Gemeinschaft eingesetzt. Das war auch meine Handlungsmaxime im Aufsichtsrat.« Er habe den hohen Abfindungen und Prämien für die ehemaligen Mannesmann-Manager doch gar nicht zugestimmt, sondern sich bei den Abstimmungen der Stimme enthalten. Es gebe außerdem keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit und, im internationalen Vergleich, an der Angemessenheit der Abfindungen.

Das sieht die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft anders. Sie wirft Zwickel und den anderen fünf Angeklagten vor, sich bewusst über das Aktienrecht hinweggesetzt zu haben. Durch die Prämien und Pensionen sei »ein Vermögensverlust großen Ausmaßes« verursacht worden. Denn die Auszahlung an Vorstände und an Pensionäre sei nur zum Vorteil der Begünstigten, aber nicht des Unternehmens gewesen. Esser und der Aufsichtsratsvorsitzende, Joachim Funk, der ebenfalls angeklagt ist, hätten sich »unrechtmäßig bereichert«. Zwickel, Josef Ackermann, der derzeitige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, und andere ehemalige Aufsichtsräte von Mannesmann hätten mit ihrer Zustimmung die Ausschüttung der Beträge ermöglicht.

Deutschland sei »das einzige Land, wo diejenigen, die erfolgreich sind und Werte schaffen, deswegen vor Gericht stehen«, beklagte sich Ackermann zu Beginn des Prozesses. Nachträgliche freiwillige Zahlungen seien im Wirtschaftsleben üblich und legal. Dass die Entscheidung für Essers Abfindung innerhalb weniger Minuten gefallen sei, sei nicht, wie die Staatsanwaltschaft offenbar glaube, ein Beleg für kriminelle Energie, sondern höchstens für den Kulturunterschied zwischen Behörden und Wirtschaftsunternehmen.

Auch Esser sieht sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Noch keine Bezahlung eines Vorstandes sei rechtlich so intensiv geprüft worden wie diese, sagte er in seiner über zwei Verhandlungstage verteilten fünfstündigen Rede. Unangemessen findet der Manager die Abfindungen auch heute nicht. »Es trifft keineswegs zu, dass solch ein Bonus in Deutschland einzigartig gewesen wäre, nicht einmal in der Höhe«, betonte Esser. Aber es sei der einzige Fall gewesen, in dem dies bekannt geworden sei. Das könnte wahr sein.