Deutsche Dienste für Hizbollah

Die erste Phase eines von Deutschland vermittelten Gefangenenaustauschs zwischen Israel und der libanesischen Hizbollah ist abgeschlossen. von alfred hackensberger, beirut

Einige Stunden vor der Ankunft der »Helden des Widerstands« standen bereits Tausende von Menschen an der Straße, die vom Flughafen Beirut nach Haret Hreik führt. Dieser im Südwesten der libanesischen Hauptstadt gelegene Stadtteil wird vorwiegend von Schiiten bewohnt. Aus Lautsprechern dröhnte die Hymne der Hizbollah, dazu gab es ein unüberschaubares Meer von Fahnen. Neben der libanesischen Nationalflagge und dem Hizbollah-Banner waren vereinzelt deutsche Wimpel und immer wieder Hammer und die Sichel der Kommunistischen Partei zu sehen.

Vom offiziellen Empfang am Flughafen mit Präsident Emile Lahoud, Premierminister Rafik Hariri, allen religiösen Führern und dem Hizbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah war die »atheistische Partei« zwar ausgeschlossen, gefeiert wurde aber trotzdem. Unter den 23 freigelassenen Gefangenen befand sich auch einer ihrer »Kampfgenossen«, Anwar Yassin, der 17 Jahre in israelischen Gefängnissen verbracht hatte.

Einer fehlte beim großen Autokorso: der Deutsche Steven Smyrek, der entgegen seiner ursprünglichen Absicht in Köln geblieben war. Er will in Deutschland »einige Dinge regeln«, bevor er in den Libanon zurückkehrt. Noch am Donnerstagabend strahlte der Hizbollah-Fernsehsender Manar TV ein Interview mit Smyrek aus, der 1999 in Israel zu zehn Jahren Haft wegen Vorbereitung eines Selbstmordattentats verurteilt worden war. Darin erklärte er, wie gerne er doch ein »Märtyrer im Namen Allahs« werden wolle.

Klar, der Kampf geht weiter, wie auch Hizbollah-Generalsekretär Nasrallah bei seiner Rede vor gut 8 000 begeisterten Menschen versicherte. Israel habe zwar auch eine gute Seite, der man Respekt und Anerkennung zollen müsse. »Wie sie sich für ihre Lebenden und Toten einsetzen, diese Werte sind auch unsere Werte.« Natürlich dürfe man aber dabei nicht vergessen, so führte Nasrallah weiter aus, »dass unser Land immer noch besetzt ist, es in Israel noch immer libanesische Gefangene gibt und der jüdische Staat jeden Tag mit seinen Angriffen gegen den Libanon weiter macht«. Im Übrigen sei die Hizbollah »bereit, mehr israelische Soldaten zu kidnappen, wenn die Notwendigkeit dafür entsteht«.

Bei den »libanesischen Gefangenen« geht es in erster Linie um Samir Kantar, einen Drusen, der wegen der Ermordung von vier Israelis 1979 zu 542 Jahren Haft verurteilt wurde. Er soll frei kommen, sobald die Hizbollah stichhaltige Informationen zum Verbleib des über dem Libanon 1986 abgestürzten israelischen Navigators Ron Arad liefert.

Diese zweite Phase des Austauschs wurde bereits am Freitag zwischen Hassan Nasrallah und August Hanning, dem Chef des Bundesnachrichtendienstes, in Beirut besprochen. Die beiden Männer, so hieß es in einem offiziellen Statement der Hizbollah, hätten darin übereingestimmt, »sofort einen Sonderausschuss« einzusetzen, der die nächsten Schritte vorbereitet. August Hanning versicherte: »Deutschland wird auf beiden Seiten alles versuchen, damit auch die zweite Phase von Erfolg gekrönt ist.«

Für die BRD ist es bereits das zweite Mal, dass sie zwischen der israelischen Regierung und der »Partei Gottes« vermittelt. 1999 kamen fünf Libanesen frei, auf das Versprechen der Hizbollah hin, bei der Suche nach Ron Arad behilflich zu sein.

Der Erfolg der deutschen Vermittlung, »hat mit dem Vertrauen zu tun, das Deutschland auf beiden Seiten erworben hat«, sagte Walter Lindau, der Sprecher von Außenminister Joschka Fischer. Der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, nannte als Grund des Erfolges »die ausgeglichene Politik der deutschen Regierung im Mittleren Osten«. Auf einem Treffen der evangelischen Gemeinde in Beirut vor gut einer Woche meinte Günter Kniess, der deutsche Botschafter im Libanon, dass »Deutschland aufgrund seiner Geschichte für derartige Verhandlungen prädestiniert ist«.

Doch womöglich spielen auch iranische Interessen eine wichtige Rolle. Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau flog zur Einfädelung des Gefangenenaustauschs mehrere Male nach Teheran, um den Einfluss der Mullahs auf die Hizbollah zu nutzen. Und in Deutschland sitzen wegen des von Teheran angeordneten Mordes an vier iranischen Exil-Oppositionellen, die 1992 im Berliner Restaurant Mykonos erschossen wurden, zwei Männer im Gefängnis, an denen das iranische Establishment ein Interesse hat: Kazam Darabi, ein iranischer Geheimdienstler, der die Morde organisiert hat, und Abbas Rhayel aus dem Libanon, der die tödlichen Schüsse abfeuerte; Rhayel gehörte zur Hisbollah.

Zur großen Feier in Beirut war auch eine offizielle iranische Delegation angereist, um den befreiten Gefangenen ihre Glückwünsche auszusprechen. Sofort wurde gemunkelt, dass es bei dem Besuch in Wirklichkeit um das »Schicksal von Ron Arad« geht. Der israelische Geheimdienst vermutet ihn in einem iranischen Gefängnis, was Teheran aber erst kürzlich zum wiederholten Male dementierte. Ron Arad, den man 1986 im Libanon lebend gefangen nahm, verschwand bei einem Transport von einem Gefängnis zum anderen. Das jedenfalls berichtet sein letzter Bewacher, Mustafa Dirani, den Israel kidnappte und jetzt, nach zehn Jahren ohne Gerichtsverfahren, mit den anderen libanesischen Gefangenen freiließ.

Wo sich Ron Arad befindet, ob er noch lebt und wer etwas über seinen Verbleib weiß, ist schwer zu sagen. Hätte die Hizbollah nicht den israelischen Kampfflieger schon längst als »Pfand« eingesetzt, wenn sie etwas über seinen derzeitigen Verbleib wüsste? Ron Arad gilt in Israel als Nationalheld und wäre viel mehr Gefangene wert, als jetzt ausgetauscht wurden.

Aber hätte nicht auch Iran die »Arad-Karte« schon längst ausgespielt, wenn er sich dort befände? Zumal die iranische Regierung selbst auf der Suche nach vier ihrer Diplomaten ist, die 1982 spurlos verschwanden und in israelischer Hand vermutet werden. Vergessen darf man aber nicht, dass 1986 im Libanon der Bürgerkrieg tobte. Womöglich hat eine der vielen unkontrollierten Milizen Arad geschnappt und ihn, als sie merkte, welchen Ärger sie sich damit einhandelte, getötet und irgendwo begraben.

Egal was in der »zweiten Phase« des Austausches zwischen Israel und der Hizbollah passiert, die libanesische »Partei Gottes« ist bereits der große Gewinner. Die Popularität der Hizbollah scheint im arabischen Raum so groß wie nie zuvor. »Ein historischer panarabischer Sieg«, nannte es ein libanesischer Offizieller.

Der Präsident des Libanon, Emile Lahoud, geht noch einen Schritt weiter: »Das ist von israelischer Seite eine klare Anerkennung, dass der Widerstand legitim und national ist und keine ausländische terroristische Bewegung.« Das wird in Israel anders gesehen. Aber zumindest wird der internationale Ruf der Hizbollah etwas aufpoliert. Nicht zuletzt durch die offizielle Vermittlung der BRD.

Auch der syrische Präsident Bashar al-Assad wird sich möglicherweise darüber freuen, da er und sein Land gerade in letzter Zeit ins Visier des »US-Kriegs gegen den Terror« geraten sind. Vielleicht bekommt er ja, solange die »zweite Phase« läuft, eine kleine Verschnaufpause. Unter Umständen verschieben die USA den Einsatz ihrer Spezialeinsatzkommandos, die, wie kürzlich die Washington Post berichtete, auch im libanesischen Bekaa-Tal auf Terroristenjagd gehen sollen. Dort, wo auch syrische Truppen stationiert sind.

In der Hizbollah gibt man sich zu den Plänen der US-Regierung gelassen; schließlich hat sie in ihrer Sichtweise das israelische Militär im Jahr 2000 aus dem Südlibanon vertrieben, und jetzt hat man der israelischen Regierung gezeigt, was psychologische Kriegsführung bedeutet. »Die Amerikaner sollen nur kommen«, hieß es aus dem Pressebüro der »Partei Gottes«. »Dann wird man schon sehen.«