Die Partei ist zu allem fähig

Die PDS regiert gerne, opponiert auch und demonstriert schon mal gegen sich selbst. Der Parteijargon nennt so etwas »Politikfähigkeit«. von jörg sundermeier

Der Sozialdemokrat Andreas Timm sieht die PDS längst nicht gebändigt. Der Büroleiter von Harald Ringstorff (SPD), dem Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, sagte der Süddeutschen Zeitung, es sei durchaus möglich, dass die PDS ihren Konkurrenten noch manchen unangenehmen Wahlabend bescheren werde. In dem »Noch« jedoch, das er sagt, spiegelt sich die Hoffnung vieler SPD-Politiker wider: Selbst da, wo die SPD mit der PDS koaliert, also in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, erwarten die Sozialdemokraten das Verschwinden der Ost-Partei in der Bedeutungslosigkeit, mal früher, mal später.

Auf der anderen Seite spürt der Pressesprecher der PDS in Mecklenburg-Vorpommern, Kay Spieß, keine »schlechte Stimmung« in der Partei. Er sieht es als erwiesen an, dass sein Landesverband »regierungsfähig und politikfähig« sei; er sagt im Gespräch mit der Jungle World aber auch: »Die Regierung muss jetzt zeigen, was das Beste für Mecklenburg-Vorpommern ist.« Die Regierung. Muss.

Die PDS in der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns steht unter Druck. Auf einer außerordentlichen Tagung des Parteitages im Januar wurde die Kreisgebietsreform von der Parteibasis nicht angenommen, obschon sie von der Landtagsfraktion der PDS im Koalitionsausschuss mitbeschlossen wurde. Und auch sonst zeigt sich die Mehrheit der Parteimitglieder eher unzufrieden mit der Landespolitik.

Nicht viel anders ergeht es der PDS in Berlin. Auch hier sieht sich die Parteiführung mit den so genannten Sachzwängen konfrontiert und dazu genötigt, das rigide Sparkonzept, welches die SPD der Stadt auferlegt hat, zu unterstützen. Andererseits sympathisiert man sogar ein bisschen mit den protestierenden Studiererenden und müht sich um die Wiedereinführung des Sozialtickets, das die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) erwartungsgemäß wegen der Kürzung der Senatsgelder abgeschafft haben. Die PDS schönt hier und übertüncht da und macht dabei ein liebes Gesicht.

Die Basis der Partei zeigt sich zwar irritiert, glaubt aber letztlich daran, dass es nicht anders gehe, ja, dass die PDS sogar den ganz großen Kahlschlag verhindert habe. Es kommt zu rührenden Szenen wie bei der alljährlichen Gedenkdemonstration für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg im Januar, auf welcher wackere Genossen hinter den PDS-Fahnen Schilder hertrugen, auf welchen der Sozialabbau verurteilt wurde; die Partei demonstrierte wieder mal gegen sich selbst.

Dem Sozialdemokraten Andreas Timm ist dennoch zuzustimmen. Die PDS wird »noch« einige Male zweistellige Wahlergebnisse in den neuen Bundesländern erzielen, eine Regierungsbeteiligung nach der nächsten Wahl in Brandenburg etwa ist nicht auszuschließen. Für viele ältere Menschen in Ostdeutschland ist die PDS ganz einfach eine Institution, sie ist für sie »die Partei«, so wie es eben auch nur »die Kirche« gibt und keine vorstellbare Alternative. Andere wiederum sehen in der PDS eine Protestpartei, einige machen aus linksromantischen, vorpolitischen Erwägungen ihr Kreuz bei den Ost-Sozialisten. Doch selbst den Wählerinnen und Wählern der PDS dämmert manchmal, dass die PDS eine sterbende Partei sein könnte.

Die PDS wird nicht unmittelbar wegen ihrer Beteiligung an den diversen Maßnahmen gegen sozial Schwache eingehen. Denn Wählerinnen und Wähler sind äußerst zerstreute Wesen. Zumal wenn ein PDS-Politiker lieb dreinschaut und ehrlich unter dem leidet, was er tut, biedert er sich der deutschen Volksseele in einer Weise an, die vieles vergessen lässt.

Was der PDS jedoch tatsächlich fehlt, ist ein Programm, das sich in irgendeiner Weise von dem der Sozialdemokraten unterscheidet oder aber – die Grünen machen es vor – wenigstens Eindruck schindet. Die PDS aber lässt sich auf nichts festlegen. Zwar ist sie irgendwie gegen den Sozialabbau, weiß ihm allerdings auch nichts entgegenzusetzen; zwar ist sie die Partei der Ostdeutschen, doch selbst diese wissen immer weniger, was das heißt; zwar ist die PDS ein Hort des Pazifismus, doch auch der wird nur noch mit litaneiartig dahingesagten Parolen und Brecht-Zitaten gerechtfertigt.

Neben dem großen Nein, dass die Partei den »Herrschenden« immer dann entgegenruft, wenn diese gerade weghören, hat die Partei wenig zu bieten. Es gibt die Mitglieder der Kommunistischen Plattform, es gibt rebellische Jugendliche und ein paar populäre Gesichter, etwa Lothar Bisky, Petra Pau oder Gregor Gysi, doch selbst bei ihnen kann man nicht sicher sein, ob sie das, was sie heute als »Prinzip« ihrer Politik verkünden, nicht bereits gestern selbst als albern empfunden haben.

Wenn aber die PDS nur noch mit Gesichtern und Images, wie etwa der Friedenstaube, hantiert, wenn sie hier ein bisschen antiamerikanische Propaganda macht und dort mitspielen will in der Europa- und der Weltpolitik, wenn die Politiker der Partei auch vor den Fernsehkameras die Politik (oder das, was sie dafür halten) so bierernst nehmen, dass sie stets persönlich betroffen wirken, dann zeigt das nur, dass es leeres Gerede ist, die PDS wüsste sich der Medien zu bedienen.

Ebenso wenig wie das parteinahe Blatt Neues Deutschland bis heute begriffen hat, was und wie Westdeutschland überhaupt war, weiß die Partei, was das heutige Deutschland ist. Die demokratischen Sozialisten versuchen nicht zu ergründen, was sich hinter Schlagworten wie Bad Godesberg oder Realo verbergen könnte, und jede politische Schulung, die den Damen und Herren in der Parteiführung widerfahren ist, haben sie offenbar schneller vergessen als ihre letzten Mathematikstunden.

Stattdessen will die Partei es allen recht machen, duldet Nationalbolschewisten ebenso in ihren Reihen wie kosmopolitisch fühlende Hippies, überlässt es dem linken Flügel der SPD, Attac zu vereinnahmen, und lässt sich in Koalitionen von der SPD – ganz nach dem alten Prinzip Herbert Wehners – durch Umarmung vernichten.

Von Angela Merkel, immerhin ja auch eine Ostdeutsche, hätte man lernen können, wie man politisches Gespür zeigt, indem man unpopuläre Dinge sagt und dann so lange zu ihnen steht, bis sich eine »Debatte« ergibt. So etwas aber lässt das von der PDS immer wieder reuig beschworene Konzept der so genannten Realpolitik nicht zu. Denn wenn man diesem Konzept folgt, muss man Dinge, die man angeblich nicht will, aber als quasi natürliche Erscheinungen wahrnimmt, als solche verwalten, so dass etwa der Sozialabbau zum Zwang wird.

Da es nicht zu erwarten ist, dass die PDS jemals lernen wird, Politik als das zu begreifen, was sie ist, nämlich Interessenvertretung, sondern sich stattdessen weiterhin liebkindchenhaft allem an die Brust werfen wird, was sie als »regierungsfähig und politikfähig« lobt, und gleichzeitig der billigsten Gesinnungsethik frönt, hat sie nur geringe Chancen, langfristig auf Länder- oder gar Bundesebene zu wirken.

Was ihnen ihre oftmals sehr talentierten Dorfbürgermeister erfolgreich vormachen – sie kämpfen löwengleich für begrünte Betonkübel an der Umgehungsstraße –, wollen die Landes- und Bundespolitiker der PDS nicht begreifen. Sie streiten nicht für jene, die sie zu vertreten glauben. Sie halten es vielmehr auch nach 14 Jahren noch immer für wichtig, von den anderen Parteien respektiert oder gehätschelt zu werden, und fordern deshalb, wenn überhaupt, nur pro forma Vorteile für ihre Klientel. So aber werden sie eingehen, denn, das lehrt die Geschichte der Grünen, nicht durch das Lob von den etablierten Parteien etabliert man sich, sondern durch wachsenden Erfolg bei der Klientel.