Ein Label für lau

Die Umsonst-Kampagnen vermehren sich. In Dresden ermittelt der Staatsschutz gegen Personen, die im Schwimmbad nicht zahlten. von martin kröger

Ich kam mir vor wie in den Achtzigern.« Karen Pietscher staunte nicht schlecht, als am 21. Februar um sieben Uhr morgens vier Polizeibeamte, die sich Zugang zu ihrer Wohnung in der Dresdner Neustadt verschafft hatten, vor ihrem Bett auftauchten. »Als ich die Augen aufmachte, hielten sie mir den richterlichen Beschluss zur Abholung für eine erkennungsdienstliche Behandlung vor«, erzählt Pietscher, die bei Dresden Umsonst mitmacht. Danach ging es direkt ab zur Wache, drei Stunden Einzelzelle und Schikanen, Fingerabdrücke nehmen, Fotos machen, das ganze Programm.

Gleichzeitig erhielten die BewohnerInnen des Dresdner Hausprojektes RM 16 Besuch von behelmten Einsatzkräften, die sich ebenfalls gewaltsam Zutritt zum Haus verschafften, um Personen zur erkennungsdienstlichen Behandlung abzuholen. In einer anderen Wohnung, wo der Beschuldigte nicht angetroffen wurde, wurden dessen Eltern gezwungen, seinen Aufenthaltsort zu verraten, obwohl sie aufgrund des verwandtschaftlichen Verhältnisses nicht dazu verpflichtet waren.

Die Aktion des Dresdner Staatsschutzes hatte zwei Ziele, vermutet Pietscher. Erstens gehe es darum, gegen das Antifa-Rechercheteam vorzugehen, das seit Monaten auf die stark von Neonazis frequentierten Montagsdemonstrationen gegen Sozialabbau aufmerksam macht und sich beispielsweise gegen Infoveranstaltungen der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen wendet. Und zweitens um Ermittlungen gegen die Dresdner Umsonst-Gruppe, die bereits seit November laufen. »Wir sehen diese Ermittlungen des Dresdner Staatschutzes nicht nur als Maßnahmen gegen Dresden Umsonst, sondern gegen alle, die sich gegen den zunehmenden Sozialbabbau gewehrt haben und auch weiterhin wehren wollen«, schreibt die Initiative in einer Pressemitteilung.

Aus einer Arbeitsgruppe im Rahmen einer Kunstkampagne entstanden, gibt es Dresden Umsonst seit August vorigen Jahres. Die Gruppe hat es sich zur Aufgabe gemacht, den kommunalen Sozialabbau zu untersuchen und Gegenstrategien zu entwickeln. »Uns geht es um eine Absage an die Sparpolitik und die Sachzwanglogik«, erläutert Pietscher. »Es gibt Bedürfnisse, die für jede und jeden zum Leben dazu gehören und die nicht zur Disposition stehen.« Dresden Umsonst setzt vor allem auf künstlerisch-kreative Politik- und Ausdrucksformen, die nach Ansicht Pietschers »mit dem künstlerischem Moment der Irritation einfach politisch mehr vermitteln«.

Bei der ersten Aktion im August des vergangenen Jahres wollte die Gruppe untersuchen, inwieweit Handlungen wie Tanzen, Betteln, Musizieren, Karten spielen, Rumsitzen und Trinken, die früher in öffentlichen Räumen selbstverständlich waren, in Einkaufszentren heute noch möglich sind. Die zweite Aktion führte zu den gegenwärtigen Ermittlungen des Staatsschutzes. Dresden Umsonst hatte in das Arnhold-Bad geladen. 20 Personen beteiligten sich und gingen ohne zu bezahlen in das Freibad, verteilten Luftballons und Flugblätter und hängten Transparente auf, mit denen sie auf die Kürzungen der sozialen Leistungen in der Stadt aufmerksam machten.

Die ganze Sache dauerte nur 15 Minuten, dann tauchten Polizisten auf, und es kam zu vier Festnahmen. Den Betroffenen wird nun vorgeworfen, »schweren Hausfriedensbruch« begangen zu haben. Im Ermittlungsbeschluss heißt es: »Die 20 Personen bezahlten, wie beabsichtigt, keinen Eintritt, sie gingen organisiert und abgestimmt in einer die Ordnung und Ruhe des öffentlichen Badebetriebes störenden Art und Weise – wie sie wussten – vor.« Grund genug im Freistaat Sachsen, den Staatsschutz einzuschalten.

Vorbild für die Dresdner Freischwimmaktion waren ähnliche Proteste in Berliner Bädern. Auch der Gruppenname mit dem dazu gehörigen Slogan »Allen alles für alle. Und zwar umsonst« stammt aus der Hauptstadt. Berlin Umsonst, ein Zusammenschluss verschiedener Initiativen, sorgt seit Mai letzten Jahres für Aufsehen. Mit Umsonst-Partys, Umsonst-Straßenfesten, gemeinsamen Schwarzfahraktionen und Workshops versucht die Initiative gegen den Sozialabbau der rot-roten Berliner Regierung mobil zu machen.

Dabei gehe es darum, »unmittelbar an den Lebensverhältnissen anzusetzen und vorhandene subversive individuelle Praxen in kollektive Praxis zu transformieren«, erklärt Steffen Klausen von der Berliner Umsonst-Sektion. »Erst durch das gemeinsame Schwarzfahren, das Brennen von CDs, Freischwimmen und Klauen gelingt es, die bloße Subversivität zu überwinden und ein politisch emanzipatorisches Projekt zu entwickeln«, erläutert Klausen die Umsonst-Idee. Wobei »Umsonst« ein offenes, für alle zugängliches und benutzbares Label meint, das immer das ist, was die Leute daraus machen. Außerdem soll durch die Verbreitung dieser Aneignungsformen eine rein symbolische Politik, wie sie beispielsweise auf Demonstrationen gepflegt wird, überwunden werden. Frei nach dem Motto: »Es gibt einen Anspruch auf ein schönes Leben, der nicht verschoben werden kann.«

Das Konzept der Umsonst-Idee funktioniert. So transformierten die Studierenden während des Winterstreiks den Slogan in »Bildung für alle. Und zwar umsonst« und bearbeiteten die Idee nicht nur in autonomen Seminaren, sondern auch in den täglichen Protesten. Zur Jahrestagung der Arbeitgeberverbände im Berliner Hotel Maritim beispielsweise riefen die Studierenden im vergangenen Dezember unter dem Motto »Berlin Umsonst« auf: »Fresst den Deutschen Arbeitgebertag!« Immerhin 300 Personen versuchten an diesem Tag, an das üppige Buffet der UnternehmerInnen im Maritim zu gelangen. (Jungle World, 51/03)

Aber nicht nur in Dresden und Berlin floriert die tägliche Aneignung. Umsonst-Gruppen gibt es inzwischen auch in Köln, Freiburg und Hamburg. »Wir fanden es spannend, mit diesem Umsonst-Label zu arbeiten, um in die sozialen Kämpfe intervenieren zu können«, sagt Arne Deef, der bei Hamburg Umsonst dabei ist. »Zudem orientieren wir uns an der spanischen Gruppe Yo Mango – frei übersetzt: ich klaue –, die das Stehlen als schick propagiert und seit Jahren mit öffentlichen Klauaktionen auf sich aufmerksam macht.« Somit solle die dauernde Aneignung der Subversion durch die Werbung unterlaufen und stattdessen eine eigene Marke entwickelt werden, sagt Deef. In diesem Sinne lud Hamburg Umsonst im vergangenen Oktober zum kostenlosen Kinobesuch, der durch ein martialisches Polizeiaufgebot beendet wurde und neun Ermittlungsverfahren nach sich zog.

Auf Bundesebene soll die Praxis der Aneignung auf dem nächsten Kongress der Bundeskoordination Internationalismus (Buko), der vom 20. bis 23. Mai in Kassel stattfinden wird, verfeinert und ausgebaut werden. Der Titel des Kongresses lautet bezeichnenderweise: »Aneignung für alle oder Leben umsonst?«

Bis dahin will man sich in Dresden nicht durch die Kriminalisierung einschüchtern lassen und weiter den kommunalen Sozialabbau bekämpfen: »Für die einen ist es Hausfriedensbruch, für andere die schönste Sache der Welt.«

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