Koalition der Willigen

Der Bilanzskandal um den italienischen Lebensmittelkonzern Parmalat weitet sich aus. Banken, Wirtschaftsprüfer und befreundete Konzerne versuchten, die Pleite des Unternehmens hinauszuzögern. von martin schwarz

Wenn in Italien ein Firmenimperium von der Größe Parmalats zusammenbricht und immer neue Details über Bilanzfälschungen und persönliche Bereicherungen führender Manager ans Tageslicht kommen, darf im Kanon der weisen Kommentatoren natürlich einer nicht fehlen. Italiens Premierminister Silvio Berlusconi, selbst ein heißer Anwärter auf künftige Verhöre durch die italienische Wirtschaftspolizei, warnte vor wenigen Tagen davor, den Parmalat-Skandal als Anlass für schärfere Regelungen bei der Bilanzprüfung zu nehmen: »Man sollte jetzt keine Hexenjagd veranstalten und überzogene Kontrollen durchführen, weil keine Kontrolle funktionieren würde.«

Berlusconi hat damit einerseits Recht und andererseits nicht. Tatsache ist, dass offensichtlich die üblichen Kontrollen nicht funktioniert haben, Tatsache ist aber auch, dass die Machenschaften der Parmalat-Chefetage und insbesondere des Firmenchefs Calisto Tanzi so geschickt nun auch wieder nicht eingefädelt waren. Aufgeflogen ist der Skandal um Parmalat im vergangenen Dezember, weil die Bank of America eine Bestätigung über die Existenz eines Vier-Milliarden-Euro-Kontos im Steuerparadies Cayman Islands als gefälscht entlarvt hatte. Und zwar auf eine Weise, die auf Heimarbeit am eigenen PC schließen lässt. Die entsprechende Gutschrift wurde einfach mit handelsüblicher Software und Scanner zusammengebastelt.

Nun stellt sich den auf Hochtouren arbeitenden Ermittlern vor allem die Frage, warum die Montage erst jetzt aufgeflogen ist. Der Bank of America war die Bestätigung schon im März des vergangenen Jahres übersandt worden.

Licht in diese Affäre könnte allein der ehemalige Bank-of-America-Manager und seit eben jenen Märztagen bei Parmalat tätige Italiener Luca Sala bringen. Gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft Mailand ebenfalls. In einem Interview mit der Tageszeitung La Repubblica lud er die Schuld – wie üblich bei solchen Skandalen – auf den Chef: »Tanzi ist ein unheilbarer Lügner.« Er »verfluche jeden Tag die Entscheidung dieser Verrückten, ausgerechnet die Bank of America für ihre Spielchen gewählt zu haben«. Der Fluchmarathon dürfte erst jetzt begonnen haben, denn immerhin konnte Sala noch im März einen gut dotierten Posten bei Parmalat antreten. Ob das mit der seltsamen Bestätigung über das Vier-Milliarden-Euro-Guthaben zu tun hat, interessiert die Ermittler nun ebenfalls.

Schon der Fall Sala und die wirklich sehr späte Entlarvung der plumpen Fälschung zeigt, wie manisch Firmenchef Tanzi daran gearbeitet hatte, eine Koalition der Willigen aus Bilanzprüfern, Banken und befreundeten Unternehmen um sich zu scharen, die zumindest stillhalten, um den Untergang des 36 000-Mitarbeiter-Konzerns hinauszuzögern. Dies nicht unbedingt aus reiner Verbundenheit mit Tanzi oder besonderer Leidenschaft für dessen Milch- und Joghurtunternehmen, sondern vor allem aus Eigennutz.

Ein klassisches Beispiel dafür ist die Parmalat-Gläubigerbank Capitalia, die mit Krediten über insgesamt 393 Millionen Euro belastet ist. Die Ermittler wollen nun von Capitalia-Chef Cesare Geronzi wissen, ob sein Geldinstitut Anleger dazu gedrängt hat, Parmalat-Bonds zu kaufen, obwohl die Bank um die desaströse Finanzlage des Konzerns gewusst haben musste. Sollte dies der Fall gewesen sein, wird plötzlich klar, unter welchem Druck sich die Gläubigerbanken des Tanzi-Imperiums befunden haben. Mit allen Mitteln versuchten sie, den Konzern zu retten, um nicht selbst auf den gewährten Krediten sitzen zu bleiben. Bloß hat dies dazu geführt, dass nun in den Bilanzen der Firma rund 13 Milliarden Euro fehlen und der wahrscheinlich größte Bilanzskandal der europäischen Unternehmensgeschichte Italien erschüttert.

Auch die Deutsche Bank gerät unterdessen immer mehr ins Visier der Ermittler. Die italienische Staatsanwaltschaft hat mittlerweile damit begonnen, Manager der Italien-Filiale zu befragen. Besonders interessant ist für die Wirtschaftsdetektive die Frage, warum Rating-Experten des Bankenriesen den Konzern auf eine Prüfung der Anlagewerte bei der Londoner Ratingagentur Standard & Poor’s vorbereitet haben. Und das laut Berichten der Financial Times am 27. November und am 4. Dezember, zu einem Zeitpunkt also, als der endgültige Untergang von Parmalat nur noch wenige Wochen entfernt war.

Die Deutsche Bank rechtfertigt die Argumentationshilfe gegenüber der Ratingagentur damit, dass es nicht Teil des Auftrags gewesen sei, die von Parmalat zur Verfügung gestellten Unternehmenszahlen auch zu prüfen, sondern lediglich die Präsentation vorzubereiten. Tatsächlich kann den Finanzexperten der Bank keine Verantwortung für die Pleite oder gar Mittäterschaft vorgeworfen werden. Ein hässliches Detail bleibt dennoch. Ein Unternehmen mit Know-how für die Präsentation vor einer am Finanzmarkt äußerst wichtigen Agentur zu unterstützen und die Unternehmenszahlen, ohne sie zu hinterfragen, zu übernehmen, ist jedenfalls keine vertrauensbildende Maßnahme gegenüber der Öffentlichkeit. Denn die Präsentation, die mit Unterstützung der Bank erarbeitet wurde, beinhaltete die beruhigende Information, dass Parmalat über Barmittel in der Höhe von 1,07 Milliarden Euro verfüge. Was natürlich so nicht stimmte.

Möglicherweise relevanter ist da schon der Vorwurf der Ermittler, die Deutsche Bank habe noch im November ihren Anteil an der Parmalat-Tochter Finanziaria von 2,5 auf rund 5,1 Prozent erhöht, obwohl auch damals schon die Finanzbranche ihr Vertrauen in die lichte Zukunft Parmalats verloren hatte. Zudem sagten einige der nun inhaftierten Manager nach Medienberichten in den Verhören aus, sich schon im November an einige Banken – darunter angeblich auch die Deutsche Bank – mit der Bitte um Hilfe gewandt zu haben.

Das ganze Desaster auf die Banken abzuwälzen, wäre aber billig. Denn auch mit Parmalat geschäftlich verbundene Unternehmen hatten den seltsamen Machenschaften von Tanzi monatelang zumindest zugesehen – vielleicht auch, um Parmalat als Auftraggeber nicht zu verlieren, denn am italienischen Milchmarkt hatte das Unternehmen beinahe so etwas wie eine Monopolstellung.

In den vergangenen Tagen ist gar der schwedische Verpackungskonzern Tetra Pak ins Visier der Ermittler geraten, weil einer der Ex-Manager Parmalats ausgesagt hatte, dass die Firma regelmäßig als Rabatte getarnte Schmiergelder an Tanzi persönlich gezahlt habe. »Tetra Pak hat jährlich 32 Millionen Euro gezahlt, wovon zehn Millionen auf ein Konto auf Malta gingen«, soll der ehemalige Finanzchef Fausto Tonna ausgesagt haben.

Immerhin: Tanzi hat schon mal angekündigt, er wolle die widerrechtlich abgezweigten Firmengelder in Höhe von 500 Millionen Euro gerne zurückgeben. Der Masseverwalter wird seine Freude daran haben, wenn in den nächsten Monaten Tanzis Yachten, Privatflugzeuge und Villen versteigert werden. Parmalat selbst wird das allerdings wenig nützen.