Nachrichten

Feier unter Feinden

Mordfall. In der Nacht zum 21. Januar kam es im thüringischen Gera offenbar zu einem brutalen Mord an einem aus Russland stammenden Aussiedler. Der 27jährige Oleg V. soll von vier Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 19 Jahren zunächst mit einer Bierflasche auf den Kopf geschlagen worden sein. Danach hätten ihn die Täter getreten, mit einem Messer auf ihn eingestochen und sein Gesicht mit einem Hammer zertrümmert. Die Tatverdächtigen wurden einen Tag später von der Polizei festgenommen.

Die Antifaschistische Aktion Gera spricht von Zeugen, die behaupten, die Jugendlichen seien eindeutig der Neonaziszene zuzurechnen. Dem widerspricht allerdings die Geraer Polizei. Ein Sprecher sagte der Jungle World, ein rechtsextremer Hintergrund der Tat sei auszuschließen, »weil bekannt ist, dass die vorher zusammen gefeiert haben«. Und politische Gegner feierten nicht zusammen, meinte der Polizeisprecher. Auch seien die Jugendlichen bisher nicht durch rechtsextreme Straftaten aufgefallen, wohl aber durch andere.

Antifaschisten hielten am Tatort inzwischen eine Mahnwache ab, für den vorigen Sonntag wurde zu einer Demonstration unter dem Motto: »Nazi-Terror stoppen!« aufgerufen.

Bis der Notarzt kommt

Gesundheitsreform. Die Deutschen scheinen auf einen Schlag viel gesünder geworden zu sein. Im Januar 2004 gingen 17 Prozent weniger Menschen zum Arzt als im Januar 2003. Gegenüber Dezember 2003 betrug der Rückgang acht Prozent, berichtete die Bild-Zeitung. Vielleicht haben sich diese acht Prozent zum neuen Jahr vorgenommen, nicht mehr so rumzujammern?

Eine Folge der Gesundheitsreform sieht der Sprecher des Deutschen Hausärzteverbands, Heinz Jarmatz, im Rückgang der Arztbesuche. »Viele haben sich mit Arzneimitteln bevorratet, beobachten die Entwicklung der Zuzahlungsregeln.«

Das ist aber nicht die volle Wahrheit. Längst nicht alle, die im Januar nicht zum Arzt gehen, haben zuvor Hamsterkäufe getätigt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe berichtet, Obdachlose und SozialhilfebezieherInnen würden wegen der Praxis- und Medikamentengebühren Arztbesuche teilweise so lange aufschieben, bis eine Notaufnahme im Krankenhaus notwendig werde, oder die Einnahme von unbezahlbar gewordenen Medikamenten abbrechen. Der tägliche Regelsatz für Sozialhilfe liege mit 9,90 Euro unter dem Preis für einen Arztbesuch. Die Initiative forderte, die Betroffenen von den Zuzahlungen zu befreien.

Give Women a Chance

Chancengleichheit. Es ist Zeit für eine Bilanz. Im Jahr 2001 rang die Bundesregierung Vertretern der privaten Wirtschaft das Versprechen ab, die Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern fördern zu wollen. Ganz und gar freiwillig sollte dies geschehen. Die Probezeit wurde auf zwei Jahre festgelegt. Jetzt steht die Abmachung also auf dem Prüfstand.

Unerwarteterweise fällt die Bilanz recht unterschiedlich aus. Ergebnis eins: »Frauen holen auf« (stern). Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Reinhard Göhner, wertete es als Erfolg der Unternehmen, dass trotz der allgemeinen Krise mehr Frauen berufstätig seien als vor zwei Jahren. Die Erwerbsquote sei von 56,9 Prozent auf 58,8 Prozent gestiegen. Ergebnis zwei: »Freiwillige Vereinbarung brachte nichts« (Spiegel). Die frauenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Irmingard Schewe-Gerigk, sagte: »Der Anstieg der Zahl erwerbstätiger Frauen beruht hauptsächlich auf der Änderung des Minijobgesetzes.« Tatsächlich sei das Arbeitsvolumen von Frauen geringer geworden. Ursula Engelen-Kefer, die stellvertretende DGB-Vorsitzende, bemängelte, viele der »freiwilligen Maßnahmen zur Chancengleichheit« beträfen Regelungen der Arbeitszeit und folgten vor allem dem Interesse der Unternehmen, nicht der Frauen.

Die parlamentarische Staatssekretärin im Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Christel Riemann-Hanewinckel, übte sich im diplomatischen »ja, aber«. Zwar könnten Familie und Job nun besser vereinbart werden, aber es sei noch nicht genug getan worden. Jedenfalls könne man auf freiwilliger Basis bei den gutwilligen Unternehmern mehr erreichen als mit einem Gesetz. Es geht also noch ein Weilchen weiter wie bisher.

Pächter des Kanals

Cross Border Leasing. Nun ist es raus: Im Kapitalismus sind auch Geschäfte, die nicht allen ganz geheuer erscheinen, rechtens. So dürfen deutsche Kommunen ihre Infrastruktur an US-Investoren verleihen und mit dem Gewinn machen, was sie wollen.

Das Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen musste sich als erstes seiner Art mit dem so genannten Cross Border Leasing (CBL) beschäftigen. 17 Grundstückseigentümer hatten gegen die Abwassergebühren in der Stadt Recklinghausen geklagt. Die nämlich hatte an ihrem Kanalnetz durch eine Cross-Boarder-Transaktion 4,8 Millionen Euro verdient, ohne den Gewinn mit den Nutzerinnen und Nutzern redlich zu teilen. Doch das ist nach der Entscheidung des Gerichts weder illegal noch sittenwidrig.

Bei CBL-Transaktionen werden Teile der kommunalen Infrastruktur auf lange Zeit an US-Investoren vermietet und gleichzeitig kurzfristig zurückgemietet. Daran verdienen beide: die Kommunen hierzulande durch den faktischen Verkauf ihrer Infrastruktur, die Investoren durch die Steuervorteile, die sie infolgedessen in den USA haben. Auch die Finanzbehörden in den USA sehen bislang in den Transaktionen keinen Grund zur Beschwerde.

Ein paar Fragen stellen sich dennoch. Zum Beispiel, weshalb CBL-Verträge selten offengelegt werden und warum man so wenig über die Investoren und die aus dem Vertrag resultierenden Verpflichtungen erfährt. Und wer weiß, ob die Stadt Recklinghausen in 100 Jahren noch ein Kanalnetz wie heute braucht?