»Spaßig ist das Regieren nicht«

Ein Gespräch über die Situation in Berlin und über die PDS als Regierungspartei mit stefan liebich, dem Berliner Landes- und Fraktionsvorsitzenden

Herr Liebich, was ist eigentlich sozialistisch an einer Erhöhung der Kita-Gebühren?

Wir klagen von anderen Bundesländern Geld ein, die gerade einmal die bundesgesetzlichen Auflagen, nämlich für drei- bis sechsjährige Kinder vier Stunden Kita-Betreuung täglich zu gewährleisten, überschreiten. Wir haben in Berlin ein weitaus besseres Angebot und wollen es erhalten. Um es rechtfertigen zu können, mussten wir die Elternbeteiligung, die bisher bei zwölf Prozent lag, auf circa 14 Prozent der Kosten erhöhen.

Sozialistisch daran war die Entscheidung, wie so eine Erhöhung stattfinden soll. Die PDS wollte diejenigen heranziehen, die es sich leisten können. Die SPD wollte über alle Einkommensgruppen hinweg im gleichen Maße erhöhen. Dann hatten wir schwierige Verhandlungen, die dazu führten, dass, nach Einkommen gerechnet, bei der unteren Hälfte der Berliner Eltern keine Erhöhung stattfindet, bei den mittleren findet eine statt und bei den hohen Einkommen findet eine sehr starke statt. Ich glaube, es ist schon ein Stück sozialistisch, wenn man bei Erhöhungen die Schwächeren nicht heranzieht. Die Entscheidung an sich ist keine schöne, war aber nicht vermeidbar.

Eine hässliche Entscheidung, die nicht vermeidbar war. Das hört man von der PDS oft in letzter Zeit. Macht es Spaß, solche Sachverhalte so zu erklären?

Spaßig ist das Regieren in Berlin nicht, und ich glaube, auch in Mecklenburg-Vorpommern nicht. Wir haben auch nicht vorgehabt, vier Jahre lang Spaß zu haben, sondern wir haben ein Wahlprogramm geschrieben, in dem steht, dass es angesichts des finanziellen Rahmens in Berlin notwendig sein wird, Einschnitte vorzunehmen. Wir haben das vorher klar gesagt. Und es war richtig, sich der Verantwortung zu stellen. Eine Partei, die im Ostteil der Stadt 50 Prozent der Stimmen bekommt, kann nicht einfach sagen: Wir haben damit nichts zu tun.

Ist der Streit um die Abschaffung des Sozialtickets nicht eine Katastrophe für den Senat? Im Moment gibt es in Berlin keine billige Monatskarte im Nahverkehr für Sozialhilfeempfänger. Ein Sozialticket soll zwar nächstes Jahr wieder eingeführt, aber teurer werden.

In Berlin bekommen die Verkehrsbetriebe (BVG) Jahr für Jahr 500 Millionen Euro an Subventionen. Zusätzlich erhielten sie noch einmal 17 Millionen für ein Sozialticket. Wir wollten, dass die BVG ein Sozialticket anbietet, ohne dass wir noch einen zusätzlichen Zuschuss zahlen. Davon war die SPD nicht übermäßig begeistert, deshalb ist die PDS mit der BVG in Verhandlungen getreten. Ohne uns würde es kein Sozialticket mehr geben.

Dass es im Moment keines gibt, haben Sie ja verschuldet. Sie sind doch der Senat.

Es ist eine Entscheidung der BVG. Wir haben einen Zuschuss gestrichen. Aber wir haben nicht gesagt: Streicht das Sozialticket und das Seniorenticket gleich noch mit!

Spielt man sich da nicht die Bälle zu? Die BVG sagt: Wenn der Senat die Gelder kürzt, dann kippen wir das Sozialticket.

Der Senat hat mit Nachdruck gesagt, dass er erwartet, dass es weiter ein Ticket gibt, und das gibt es. Es ist nicht sinnvoll, der BVG Gelder hinterherzuwerfen und dann zu hoffen, dass was Soziales dabei rauskommt.

Sie kürzen der BVG Gelder und hoffen, dass dann etwas Soziales dabei rauskommt.

Der Eigentümer der BVG ist das Land Berlin. Es hat Anforderungen gestellt, weil die PDS mit in der Regierung sitzt. Gäbe es eine andere Regierung in der Stadt, hätte es diese Anforderungen nicht gegeben.

Auch viele Studenten sind wütend. Sie besetzten Ihre Parteizentrale, weil Sie mit Ihrer Bildungspolitik nicht einverstanden sind.

Wir haben mit den Besetzern diskutiert. Es war ein interessanter Prozess.

Sie wollten sie vereinnahmen.

Einige haben das Vereinnahmung genannt. Andere haben sich dafür interessiert, warum wir diese Entscheidungen treffen mussten. Wenn von den Besetzern danach einige in die PDS eintreten, kann ich nur sagen: Wir haben sie nicht hypnotisiert.

Als uns Anfang des letzten Jahres der Finanzsenator mit Sparanforderungen konfrontiert hat, verglich er die Wissenschaftslandschaft Berlins mit anderen Bundesländern und sagte, Berlin habe 600 Millionen zu viel. Wir haben ihm entgegnet, dass wir diese bessere Ausstattung wollen. Damals hätte der Studentenprotest, der jetzt stattfindet und den ich im Übrigen gut finde, mehr genützt.

Das ist ein Protest gegen Ihren Senat.

Es ist ein Protest für mehr Wissenschaftsausgaben. Diesen Protest hätten wir früher gebraucht. Wir haben es aber auch so geschafft, eine vorgesehene Kürzung um 600 Millionen auf das zu reduzieren, was die Universitätspräsidenten als Kompromiss vorgeschlagen haben: 75 Millionen. Das ist trotzdem ein extrem hoher Wert.

Die Süddeutsche Zeitung schrieb in der vorigen Woche: »In Schwerin (genau wie in Berlin) kann die PDS gar nicht so schnell schlucken, wie ihr die SPD Kröten serviert.« Ich habe eher den Eindruck, Sie schlucken keine Kröten, sondern finden das alles richtig gut.

Vielleicht empfinde ich es deshalb nicht als Krötenschlucken, weil die Rahmenbedingungen, die wir jetzt haben, für uns keine Überraschungen sind. Wir wussten, was uns Schwarz-Rot hinterlassen hat und welche Entscheidungen daraus folgen werden.

Der Protest der PDS gegen die Agenda 2010 hielt sich auch in Grenzen. Da spielte offenbar schon die Beteiligung an Regierungen eine Rolle.

Das teile ich nicht. Wir haben von Anfang an gesagt, dass das, was die Bundesregierung plant, absolut in die falsche Richtung geht. Wir haben im Bundesrat, in den Landesregierungen und in den Landtagen unsere Position dazu deutlich gemacht. Im Bundesrat gab es zwei Arbeitsminister, die den Antrag gestellt haben, die Arbeitslosenhilfe nicht auf Sozialhilfeniveau zu kürzen, das waren PDS-Minister. Es gab zwei Länder, die das gesamte Agendapaket abgelehnt haben, das waren Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Die PDS hat die Gesundheitsreform im Bundesrat abgelehnt. Alle Demonstrationen, die stattgefunden haben, sind mit maßgeblicher Unterstützung der PDS abgelaufen.

Aber vielleicht ist es ja so, dass die Bevölkerung der Meinung ist, dass die SPD, die Grünen, die Linke an sich nicht die Antworten haben auf die Fragen, die sich stellen. Und deshalb wechselt man zur CDU. Wenn die Leute unsere Regierungsbeteiligungen schlecht finden, müssten sie zur DKP oder wohin auch immer wechseln.

Oder gar nicht mehr wählen. Für viele Menschen ist die PDS das beste Beispiel dafür, dass Wählen momentan keinen Sinn hat.

Das erklärt doch aber den Zuwachs bei der CDU nicht. Wir haben in der PDS spätestens seit dem vergangenen Sommer begonnen, wieder an eigenen Antworten zu arbeiten. Der Agenda 2010 eine Agenda Sozial entgegenzustellen, war eine gute Idee. Links von Rot-Grün haben wir doch nur eine Chance, wenn die Leute vernünftige, plausible Antworten bekommen.

interview: stefan wirner