Stars stürzen, Promis boomen

Mia betreiben die Verfeinerung des Patriotismus im Pop in einer Zeit der sich wandelnden Kulturindustrie. von felix klopotek

Prima, der Patient lebt, seine Reflexe funktionieren ganz einwandfrei: Da hüllt sich eine nun wirklich zweitrangige Band wie Mia in Deutschland-Fahnen, und prompt werden die Verräter, die ja ein halbes Jahr zuvor noch an einer revolutionären 1. Mai-Demo teilgenommen haben und die es selbst kaum verstehen, nun als Verräter dazustehen, von der Bühne gepfiffen.

Feind erkannt, Feind gebannt.

Dass die Debatte um den so genannten Pop- oder Lifestyle-Nationalismus so verdammt wohlfeil ist, ist offensichtlich. Nicht nur weil Pop, sogar richtig guter Pop, und allerlei Unkorrektheiten sich noch nie ausgeschlossen haben. Selbst wenn man sich entschlossen hat, dem Pop-Nationalismus den militanten Kampf anzusagen, wo sind dann die Antifa-Gruppen, die Konzerte von Heinz Rudolf Kunze oder Udo Lindenberg (gemessen an Mia wahre Demagogen) verhindert hätten? Und komme jetzt keiner damit, dass Kunze und Lindenberg nicht links seien. Kunze ist übrigens auch für seinen wirklich guten Musikgeschmack bekannt.

Aber diese Debatte ist nicht nur wohlfeil, sie ist vor allem ein Nachhutgefecht, die Erstürmung eines potemkinschen Dorfes. Denn der Pop-Nationalismus, in der Form wie er von vielen Linken bekämpft wird, ist an kulturindustrielle Verwertungsstrukturen geknüpft, die in Auflösung begriffen sind: Die letzten Jahren konnte man den rasanten Verfall der großen Musikindustrie beobachten. Die Umsatzeinbußen – seit 2000 sinkt der Umsatz, den die Majorlabels mit Tonträgern erzielen, rasant – hat man immer wieder auf partielle oder ganz allgemeine Probleme geschoben. Mal hat es mit der allgemein schlechten Wirtschaftslage zu tun, mal liegt es an dem Missmanagement der Plattenfirmen (zu viele Veröffentlichungen, zu viel musikalisches Epigonentum etc.), und vor allem sind die File-Sharing-Systeme und die CD-Brennerei schuld.

Das ist alles nicht falsch, aber diese Ursachenforschung geht am Wesentlichen vorbei. Was stattfindet, ist eine Neustrukturierung der Kulturindustrie. Betrachtet man die Majorlabels im Zusammenhang, kann allenfalls von einer partiellen Krise die Rede sein. Fünf Majors gibt es: EMI, Sony, WEA (Warner), Universal, BMG. Bis auf EMI sind alle Teil eines jeweils gigantischen Industrieunternehmens. In den Konzernzentralen wurde sehr wohl bemerkt, dass der Tonträgermarkt tatsächlich an seine Grenzen gestoßen ist (und dabei auch noch überaus anfällig für Hi-Tech-Piraterie).

Die Konsequenz: Die große Musikindustrie wird es in ein paar Jahren nicht mehr geben, sie wird aufgelöst in einem übergreifenden Zusammenhang popkultureller Events und Vermarktungsstrategien. Gameshows, Video- und Computerspiele und andere zeitgemäße Vergnügungen laufen dem Konsum von CDs den Rang ab. Popmusik hat im Mainstream nur dann eine Chance, wenn sie im Verbund mit anderen Medien erscheint.

Dazu passt, dass die Kölner Antwort auf die nach Berlin umgezogene Popkomm nicht einfach eine weitere Musikmesse ist. »Musik und Media«, so der Arbeitstitel eines Projektes, das von unterschiedlichsten Medien-, Kultur- und Next-Economy-Unternehmen forciert wird und sich der breiten Unterstützung der Stadt Köln und des Landes NRW sicher sein kann, will die verschiedenen medialen und kulturellen Verwertungszusammenhänge zusammenbringen. Die These: Der Musikproduzent, der gestern noch Pop-Starlets produziert hat, verdient demnächst mehr Geld, wenn er das Sounddesign der nächsten Generation von Mulitmedia-Handys übernimmt.

Was das mit dem Pop-Nationalismus, mit Mia oder Heinz Rudolf Kunze zu tun hat? Eine Menge. Mia werden ja angegriffen, weil sie Repräsentanten von etwas sind – sie repräsentierten so etwas wie Neopunk und sind seit ihrer unglücklichen Deutschtümelei »Verräter« dieser Repräsentation.

Repräsentanten im Popzusammenhang nennt man für gewöhnlich Stars. Die Ära der Stars ist vorbei, an ihre Stelle treten – Diedrich Diederichsen hat dies kürzlich in einem Text für die taz beschrieben – die Promis. Das hat auch ganz banale wirtschaftliche Gründe: das Modell »Star« setzt Kontinuität voraus. Ein Künstler wird nicht durch ein Album zum Star, es ist ein Status, der durch Bestätigung, Weiterführung und Steigerung definiert ist. Das Modell »Star« ist damit auch sehr arbeits- und betreuungsintensiv. In einer Zeit, in der der gesamte Tonträgermarkt allenfalls stagnieren kann, der darüber hinaus hoffnungslos überschwemmt ist mit unterschiedlichen Stilen, Moden und Musiken, ist es nahezu unmöglich, einen Star – der ja über den Verhältnissen schweben muss, der zwar seinen Erfolg kommerziell zu beweisen hat, aber davon doch eigentümlich unberührt bleibt – durchzudrücken.

Das Modell »Promi« ist dagegen wie Fast Food. Immer die gleichen Zutaten, schnelle Zubereitung, schneller Konsum, und nach zwei Stunden kriegt man wieder Hunger. Dieses Modell hat auch den Vorteil, dass der Promi nicht an einen konkreten Industriezweig gebunden ist. Jimi Hendrix war Gitarrist und nicht auch noch Buchautor, Restaurantbesitzer, Fernsehmoderator und Schauspieler. Bob Dylan hat erst dann in Filmen mitgespielt, als er als Musiker im Prinzip alles erreicht hatte.

Die Linke, insofern sie sich auf Popmusik einließ, hat den Star geliebt. Natürlich war der Star verrucht und in letzter Konsequenz ein ideologisch überformter Ausdruck von Mehrwertproduktion. Aber gab es nicht diesen Überschuss? Erfüllten nicht die Glücksversprechen, das große Leben, der Glamour, die Eleganz, das souveräne (sic!) Auftreten, der Universalismus (»Faces, not races«, sang Michael Jackson), für die Subalternen der Postmoderne die gleiche Funktion wie die Parolen der französischen Revolution für die erste Generation der Arbeiterbewegung? Dieses Schwärmen für Madonna und Co., das stets etwas Kindlich-Sozialdemokratisches hatte, ist erledigt. Der Promi taugt für keinerlei suberverions-theoretische oder geschichtsphilosophische Spekulation. Mit dem Promi hat sich aber auch das Ambivalente des Stars erledigt: David Bowie wurde mal verdächtigt, der National Front nahe zu stehen, Dieter Bohlen gründet für eine Werbekampagne die Müllermilch-Partei mit sich als Spitzenkandidaten. Bowie konnte man unterstellen, er falle aus der Rolle, er weiche von – irgendeinem – Ideal ab.

Bohlen bleibt mit sich selbst identisch, immer.

Mia kommen nun gewissermaßen in den Genuss, die negative Seite des Startums durchspielen zu müssen. Sie stehen, so unwichtig sie auch objektiv sein mögen, noch für etwas – in einem kulturindustriellen Umfeld, das bald nur noch für sich stehen wird – und müssen dafür büßen. Büßen ist vielleicht das falsche Wort, es ist schon in Ordnung gegen Deutschtümelei auch da aufzutreten, wo er weniger Schaden anrichtet. Die Tendenz ist aber eine andere.

Der Nationalismus, insofern er kulturindustriell vermittelt ist, hat sich bis auf Widerruf von Ab- und Ausgrenzungsgelüsten gelöst und steht für etwas Allgemeines: für Weltoffenheit (womit auch gemeint ist: die Welt steht uns Deutschen offen; politisch gewendet: wir müssen unsere Verantwortung weltweit wahrnehmen), für Hedonismus (basierend auf dem Vertrauen in die eigene Kaufkraft, in Kerneuropa und den deutsch dominierten Euro-Wirtschaftsraum), für Lockerheit (die sich in flexiblen Arbeitsmarktgesetzen materialisiert). Dieser rot-grüne, post-68er Nationalismus passt perfekt zur neu strukturierten Kulturindustrie. Sie schließen sich zu einem »Brot-und-Spiele-Komplex« (Ulrich Enderwitz) zusammen, in dem die neueste Deregulierung des Arbeitsmarktes den entsprechenden Promi samt Talkshow, Mega-Event und Multimedia-Schnickschnack mit sich bringt. Ein Komplex, in dem die Lohnabhängigen gleichermaßen Akteure wie Zuschauer sind, und in dem Demütigung (der permanent drohende wirtschaftliche Abstieg) mit Verheißung (auch du kannst Superstar werden, in jeder Ich-AG steckt ein Superstar) sich aufs Innigste verschlingen.

Mia und all die hippen neo-deutschen Lifestyle-Magazine sind Teil dieser Tendenz, weil sie für eine hedonistische, durchaus kaufkräftige Klientel an der Erweiterung (oder besser: Verfeinerung) des Patriotismus zu einem schicken Markenartikel partizipieren. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.