Tony Blair bleibt Elite

Der Untersuchungsausschuss zur Kelly-Affäre hat Tony Blair entlastet, und das Hochschulgesetz wurde vom britischen Parlament gebilligt. von matthias becker, london

Ein »Toter auf Urlaub« sei Premierminister Tony Blair, erklärte der konservative Parlamentsabgeordnete Nigel Evans am Anfang der vergangenen Woche. Nicht wenige hofften, dass die Abstimmung über die seit mehr als einem Jahr heftig umkämpften Studiengebühren und der Untersuchungsbericht über den Tod des Waffenexperten David Kelly ihn zum Rücktritt zwingen würden.

Doch Blairs Gegner hatten sich zu früh gefreut. Die Kommission unter Lord Hutton sprach den Regierungschef nicht nur von dem Vorwurf frei, er trage eine Mitschuld am Selbstmord Kellys, sondern kritisierte auch scharf die Berichterstattung der öffentlichen Rundfunkanstalt BBC. Kelly hatte sich vor dem Irakkrieg dem Journalisten Andrew Gilligan als Informant zur Verfügung gestellt. Nachdem sein Name in die Medien gelangt war, hatte er sich umgebracht.

Nicht Blair musste daher im Laufe der Woche seinen Hut nehmen, sondern inzwischen sind wegen der Kelly-Affäre der Generaldirektor der BBC, Greg Dyke, und der Vorsitzende des höchsten Aufsichtsgremiums, Gavyn Davies, zurückgetreten. Gilligan gab zu, dass Teile seines Berichts über das Irak-Waffendossier der Regierung Blair falsch gewesen seien. Er hat den Sender ebenfalls verlassen.

Auch die Abstimmung über das neue Gesetz zur Hochschulbildung konnte Blair für sich verbuchen. Nach der Beteiligung am Irakkrieg ist dies die unpopulärste Maßnahme, die von New Labour durchgesetzt wurde. Dementsprechend kontrovers wurde das Gesetz auch innerhalb der Partei diskutiert. Mit einer hauchdünnen Mehrheit von fünf Stimmen wurde es am Dienstag verabschiedet. Der bekannteste und umstrittenste Teil sieht vor, dass die Universitäten ab 2006 Studiengebühren bis 3 000 Pfund verlangen können. Das ist eine Verdreifachung der Summe, die 1997 – ebenfalls von den Sozialdemokraten – eingeführt worden ist.

Trotz der verlorenen Abstimmung gab sich Dan Ashley, Sprecher der Nationalen Studierendenvertretung (NUS) kämpferisch: »Wir haben eine Schlacht verloren, der Krieg geht weiter!« Die Studenten rufen für den 25. Februar, wenn das Gesetz in seine dritte und letzte Lesung geht, zum Streik an den Universitäten auf. Ob an dieser nur noch symbolischen Aktion noch viele Studenten teilnehmen werden, ist zweifelhaft. Die Strategie der Studentenvertreter, anstatt auf eine umfassende Mobilisierung auf den Widerstand innerhalb der Labour-Partei zu setzten, ist gescheitert.

Die schärfste Opposition kam aus Blairs eigener Partei. 70 Labour-Abgeordnete stimmten gegen den Entwurf. Und hätten Blair und Bildungsminister Charles Clarke ihren Kritikern nicht einige Zugeständnisse gemacht, wäre selbst dieser wenig beeindruckende Sieg ausgeblieben. So sollen unter anderem Studenten aus Familien mit einem Jahreseinkommen unter 15 200 Pfund wieder Beihilfen erhalten. Zudem werden für sie die Gebühren erst nach dem Abschluss des Studiums fällig. Das war für viele Abgeordnete Grund genug, um in der letzten Minute von grundsätzlicher Opposition auf die Seite der Regierung zu wechseln.

Auch die Konkurrenten Blairs innerhalb der Partei – der aussichtsreichste unter ihnen ist Schatzkanzler Gordon Brown – mobilisierten ihre Anhänger, um eine Abstimmungsniederlage der Regierung zu verhindern. Wie schon in den heftigen Konflikten im vergangenen Jahr um den Krieg gegen den Irak und den Umbau des Gesundheitssystems, machte der Premierminister seine politische Zukunft von der Abstimmung abhängig. Das Schema dieser angeblichen Revolten im Parlament ist gut eingeübt. Die Abgeordneten schreien: »Nur über meine Leiche!« Und der Regierungschef antwortet: »Nur über die meine!« Das Risiko von Neuwahlen wollen die Sozialdemokraten nicht eingehen.

Die politische Brisanz der Studiengebühren liegt in Großbritannien darin, dass sie genau die Gruppe treffen, an der die Labour Partei großes Interesse hat: die Mittelschichten, die traditionell Wähler der Konservativen oder der Liberalen sind, auf deren Unterstützung das Projekt New Labour aber angewiesen ist. Es sind vor allem Familien der Mittelschicht, die Schulden machen, um ihren Kindern den Besuch teurer Privatschulen zu ermöglichen. Die Ausbildung an staatlichen Schulen gilt, teilweise zu Recht, als wenig wertvoll, denn viele sind chronisch unterfinanziert, besonders diejenigen in armen Stadtvierteln und Regionen. Studiengebühren bedeuten nun, dass diese Eltern zweimal bezahlen, für Schule und Universität. Das ist politisch prekär. Die Regierungspartei ist sowohl darauf angewiesen, rhetorisch ihren traditionellen egalitären Anspruch weiter zu vertreten, was ihr die Stammwählerschaft sichern soll, als auch Erneuerung und Individualismus zu predigen, womit sie die Wechselwähler in der Mitte einfangen will.

Eine Zielvorgabe der Regierung ist, dass bald die Hälfte aller britischen Jugendlichen eine Hochschule besucht. Aber der Bedarf an Elitekräften ist gedeckt. Die Vorgabe soll daher vor allem mit dem Ausbau von Fachhochschulen und »berufsnahen« Studiengängen erreicht werden. Dazu bräuchten die Hochschulen aber mehr Geld, das der Staat nicht bereitstellen will.

Noch immer ist die britische Gesellschaft von rigiden Klassenschranken bestimmt. Die Warnungen der vergangenen Wochen vor einem »Zweiklassensystem in der Bildung« mutet da seltsam an, denn in den Eliteuniversitäten, die sich in Großbritannien ihre Studenten aussuchen dürfen, sind immer noch fast 50 Prozent aller Studierenden ehemalige Privatschüler. Die eifrigsten Befürworter von höheren Studiengebühren in den Hochschulen ist die Russell Group, die Interessenvertretung der Eliteuniversitäten wie Cambridge, Oxford oder die London School of Economics. Sie haben angekündigt, auch in Zukunft die rechtliche Obergrenze voll auszuschöpfen, und machen sich für weitere Erhöhungen stark. Diese Universitäten können sich sicher sein, dass für ihre Abschlüsse kaum ein Preis zu teuer sein wird, bedeuten sie doch eine nahezu hundertprozentige Karrieregarantie.

Den Gegnern von höheren Studiengebühren innerhalb und außerhalb der Labour Party ging es in ihrer Kritik letztendlich daher weniger um deren Höhe, sondern darum, dass sie in Zukunft von Universität zu Universität verschieden sein werden. Sind die Gebühren variabel, werden Angebot und Nachfrage nach Kursen und Studiengängen auf dem Hochschulmarkt der Zukunft die Preise innerhalb des gesetzlich geregelten Rahmens bestimmen. Diesen Kernpunkt ihres Gesetzes wollte die Regierung um keinen Preis opfern, während sie sich ansonsten großzügig zeigte. Mit ihrer Bildungspolitik will sie die so genannte Diversifizierung, die Spezialisierung auf bestimmte Fächer, Abschlüsse und künftig auch studentische Zielgruppen vorantreiben.

In den Maßnahmen zur Neugestaltung der Hochschullandschaft spiegelt sich der Glaube von New Labour an die grundsätzliche Überlegenheit von Marktmechanismen wieder. Der Markt wird nach dieser Logik Leistung effektiver fördern, als es noch so detaillierte Evaluationsverfahren könnten, und die verschärfte Konkurrenz zwischen den Universitäten wird die Besten belohnen.