Wanzen beim Minister

Vladimiro Montesinos galt als Perus graue Eminenz. Nun steht er vor Gericht. Aber seine Macht hat er nicht verloren. von knut henkel

Waffenschmuggel, Erpressung, illegale Telefonüberwachung, Korruption, Veruntreuung, Anstiftung zu Mord – die Liste der Straftaten, die Vladimiro Montesinos zur Last gelegt werden, ist nahezu endlos. Knapp sechzig Anklagen liegen gegen den ehemaligen Berater des im November 2000 nach Japan geflohenen peruanischen Ex-Präsidenten Alberto Fujimori vor, derzeit muss sich Montesinos in Peru wegen Waffenschmuggels verantworten.

50 000 AK-47-Kalaschnikows, 1 000 Sam-7-Luftabwehrraketen, Munition und Fernmeldeequipment hatte Montesinos bei einem libanesischen Waffenhändler bestellt. Auf 78 Millionen US-Dollar belief sich der Auftragswert, so Sarkis Soghanalian Kupelian, der in den Deal verwickelte, international bekannte Waffenschieber, gegenüber US-amerikanischen Justizbehörden. Die Waffen kamen aus Jordanien und waren offiziell für die peruanischen Streitkräfte bestimmt, so die Version des Waffenhändlers der peruanischen Tageszeitung La Repubblica zufolge.

Tatsächlich aber sollten sie der größten kolumbianischen Guerillaorganisation Farc (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) geliefert werden. Als die ersten 10 000 Kalaschnikows zwischen März und August 1999 über kolumbianischem Territorium abgeworfen wurden, zog der US-Geheimdienst die Notbremse. Die CIA informierte die jordanischen Behörden, dass die Waffen für kolumbianische Guerilleros bestimmt seien, worauf die weitere Auslieferung gestoppt wurde. Angeblich hatte die CIA über die kolumbianische Armee erfahren, dass jordanische AK-47 bei gefangenen Farc-Kämpfern sichergestellt worden waren.

Doch das ist nur eine der Versionen, mit denen sich das peruanische Gericht nun beschäftigen muss. Denn Montesinos hat seine Verteidigung beauftragt, auch Mitarbeiter der CIA vorzuladen. Das Gericht folgte dem Antrag und lud George Tenet, den Chef der CIA, als Zeugen nach Lima ein. Indizien sprächen dafür, so Staatsanwalt Ronald Gamarra gegenüber der peruanischen Tageszeitung El Comercio, dass Montesinos mit Unterstützung der CIA gehandelt habe. Die CIA habe, so der Waffenschieber Kupelian, von dem Geschäft gewusst. Er selbst habe einen Brief an das Büro der CIA in Jordanien geschrieben und sie ebenso wie die Regierung und den militärischen Geheimdienst über den Deal informiert.

Ob das stimmt, ist derzeit ebenso unklar wie die Frage, ob die CIA wusste, wohin die Waffen letztlich geliefert werden sollten. Letzteres dementierte der Pressesprecher der US-Botschaft in Lima allerdings heftig.

Doch Staatsanwalt Gamarra hat den Verdacht geäußert, dass die CIA den Deal aus politischen Gründen unterstützt habe. Die US-Amerikaner hätten die Farc »radikalisieren« wollen, damit die Clinton-Administration den damals umstrittenen Plan Colombia leichter durch den Kongress bringen konnte, mutmaßt Gamarra. Genau das aber hat Montesinos’ Verteidigerin in der vergangenen Woche als »absolut falsch und tendenziös« bestritten.

Das über 1,3 Milliarden Dollar schwere Hilfspaket des Plan Colombia, wovon das Gros militärischer Aufrüstung vorbehalten ist, gilt offiziell als gigantisches Drogenbekämpfungsprogramm; es weist allerdings viele Elemente eines Aufstandsbekämpfungsprogramms auf. Das gesamte Waffenpaket hätte die Schätzungen zufolge 18 000 Mann starke Guerilla sicherlich in die Lage versetzt, offensiver vorzugehen.

Dass Montesinos persönlich den Waffendeal eingefädelt hat, ist weitgehend unstrittig. Seine Gefolgsleute, die Brüder José Luis und Luis Frank Aybar, haben mit der Farc in Florencia, im Süden Kolumbiens, verhandelt und die Details geklärt.

Weshalb Montesinos jedoch das Geschäft mit der Farc vorbereitete und durchführte, ist weitgehend unbekannt. Der zweite Mann hinter Fujimori, der angeblich auch den damaligen Präsidenten mit geheimen Akten erpresste, gilt als hochgradig korrupt und ließ kaum eine Chance aus, sich zu bereichern. Es könnte also schlicht das Geld gewesen sein, dass ihn zu einer derart riskanten Aktion verleitete, von der auch Präsident Fujimori gewusst haben soll.

Andererseits gilt Vladimiro Iljich Montesinos Torres, so sein vollständiger Name, seit Jahren als jemand, der auch auf der Soldliste der CIA gestanden hat. Der in einer kommunistischen Familie in Arequipa aufgewachsene Montesinos ging 1966 an die Militärakademie in Chorillos und wurde Adjutant von General Mercado Jarrin, der 1973 Oberbefehlshelfer der Armee wurde. Damals bekam Montesinos erstmals vertrauliches Material in die Hände. 1975 reiste er in die USA und wurde bei der CIA und der konservativen Rand Corporation vorstellig. Diese Kontakte soll Montesinos gepflegt haben, doch genauere Informationen über die eventuelle Zusammenarbeit gibt es nicht, weil die CIA bisher keine detaillierten Informationen über Montesinos herausgegeben hat.

Von seiner Sammelleidenschaft, die ihn und seinen Präsidenten im Jahr 2000 zu Fall brachte, als Bestechungsvideos in der Öffentlichkeit auftauchten, könnte allerdings auch die CIA profitiert haben. Manisch sammelte Montesinos kompromittierende Informationen über die Vertreter des politischen, militärischen und gesellschaftlichen Establishments Perus. Netzwerke, Seilschaften und klientelistische Strukturen entstanden, geschmiert durch Geld, Posten, Einfluss und Erpressung. Diese Strukturen scheinen Montesinos’ Sturz überlebt zu haben. Gerüchte kursieren, dass Montesinos, dem im laufenden Prozess eine Haftstrafe von 20 Jahren droht, aus dem Gefängnis nach wie vor die Strippen zieht.

Noch Anfang Oktober erklärte selbst der peruanische Kommunikationsminister Eduardo Iriarte, dass er nicht ausschließen könne, überwacht zu werden. »Man kann nicht einfach schlafen, denn selbst wenn du schläfst, wirst du überwacht. Ich kann es nicht verhindern, abgehört zu werden.« Nach wie vor existiere eine Kultur der Konspiration in Peru. Belege dafür sind in Umlauf gekommene Bänder mit Telefongesprächen aus dem Präsidentenpalast, die im September veröffentlicht wurden.

Der Oppositionspolitiker Javier Diez Canseco geht davon aus, dass das Abhören zu einer regelrechten Industrie geworden ist und dass Montesinos’ Team nach wie vor eine funktionierende Infrastruktur besitzt. Beweise für seine Behauptung gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters hat der Abgeordnete zwar nicht, aber die Tatsache, dass eine ganze Reihe von Politikern die gleiche Befürchtung äußerte, ist auffällig. Das System Montesinos oder dessen Strukturen scheinen auch rund drei Jahre nach dem Sturz der Fujumori-Diktatur noch nicht gänzlich ausradiert zu sein.