Writer’s Block

Streik der Journalisten von stefan wirner

Streiken kann gut sein für das Selbstbewusstsein. Man kämpft für seine Interessen, lernt die Kollegen mal von einer anderen Seite kennen, ja, Streiken politisiert manchmal sogar die Streikenden. Vielleicht auch die Redakteure der Tageszeitungen, die in der vorigen Woche in Westdeutschland in den Ausstand traten.

2 200 Beschäftigte in rund 100 Redaktionen beteiligten sich nach Angaben des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) an dem unbefristeten Streik. Ihre Ziele sind bescheiden. Sie fordern eine Gehaltserhöhung in der Höhe der Inflationsrate und bieten den Verlagen in »nachgewiesenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten« sogar eine Öffnungsklausel an, also eine Lohnminderung. Die Verleger aber wollen die Gehälter zunächst überhaupt nicht erhöhen, das Urlaubsgeld kürzen und die Dauer des Urlaubs von 35 auf 30 Tage begrenzen. Gute Gründe also für einen Streik.

Gute Gründe hatten die Metaller im Osten im vergangenen Jahr auch, als sie für die 35-Stunden-Woche und die Angleichung ihrer Löhne an das Niveau im Westen streikten. Aber wie war damals die Stimmung, schrie es einen nicht aus den meisten Zeitungen an: Deutschland braucht Reformen! So geht es nicht weiter mit dem Sozialstaat! Mehr Flexibilität und Eigenverantwortung! Die Gewerkschaften schaden dem Standort!

Nur wenige Tageszeitungen stimmten nicht in diesen Tenor ein, im Allgemeinen hatten die Gewerkschaften im vorigen Jahr eine schlechte Presse. Der Streik der Metaller im Osten wurde meist scharf kritisiert, manchmal sogar diffamiert. Die Berichterstattung trug dazu bei, dass die Gewerkschaft den Streik nicht durchhalten konnte.

Thomas Gesterkamp schildert im Verdi-Magazin Menschen Machen Medien, wie »antigewerkschaftliche Berichterstattung zur Meinungsmode« wurde. Er spricht vom »Journalistensport Gewerkschaftsschelte« und beschreibt, wie etwa der IG-Metall-Vorsitzende Jürgen Peters zum »Scharfmacher« und die Gewerkschaften zur »Lobby des Stillstands« stilisiert wurden. »Heimliche Abstimmungsprozesse waren in der Tat vollkommen unnötig. Die meisten Journalisten spielten auch ohne Verabredung eine wie instruiert wirkende Einheitsmelodie«, lautet sein Vorwurf.

Hendrik Zörner, ein Sprecher des DJV, sieht das anders. »Es gab auch kritische Artikel. Aber was die Verleger uns jetzt zumuten wollen, ist einmalig«, sagte er der Jungle World. »Das war in der Metallindustrie nicht so. Uns geht es nicht in erster Linie ums Geld. Wir sind gegen die Einschränkung tariflicher Leistungen.«

Einmalig? Es folgt eher dem Trend. Neu ist allenfalls, dass die Journalisten selbst mit den Zumutungen einer nach der Agenda 2010 außer Rand und Band geratenen Unternehmerschaft konfrontiert sind, über die sie bisher nur geschrieben haben. Ihre Rolle in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, ihren Beitrag zur Herstellung der öffentlichen Meinung haben viele Journalisten im vergangenen Jahr nicht bedacht.

Eine Politisierung des Streiks, wenn er denn überhaupt anhält, bestünde darin, auch den Inhalt der journalistischen Arbeit zum Thema zu machen. Sonst bleibt der Ausstand nur ein Kampf um partikulare Interessen, und der nächste Artikel zum Streik der IG Metall trägt wieder die Überschrift: »Streik gefährdet Aufschwung«.