Ein Bohemien mit Rentengarantie

Flick junior hat sich in eine Traumwelt begeben, in der er ganz nah an der Kunst und ganz weit weg von seiner Familiengeschichte ist. Im Bundeskanzleramt lauschte man dieser Lyrik gerne. von peter kessen

Das Verhältnis des Sammlers zu den Künstlern ist ein suchendes. Friedrich Christian Flick erklärte, dass er »viel Zeit« mit ihnen verbringe, da sie anders seien, vor allem »sprudelnd, sensibel, intensiv, tabulos und radikal«. (1) »Aber ich glaube, entscheidend war bei mir auch der Wunsch, die Künstler, die hinter der Kunst stecken, kennen zu lernen, das Werk und der Erschaffer, das ist ja eine Einheit. Und wenn man die Möglichkeit hat, mit diesen Leuten in Verbindung zu kommen, und ich hab’ das Privileg, dass ich mit vielen Künstlern sehr eng bin, und auch sehr eng befreundet bin, das hat meinem Leben ungeheuer viel gegeben.« (2)

Iwan Wirth ist ein einflussreicher Galerist und Geschäftsführer der »Flick Kunstverwaltung GmbH«, deren Eigentümer Flick ist. Man kennt sich also. Wirth erklärt das fast obsessive Verhältnis Flicks zu den Künstlern aus sozialpsychologischer Perspektive. Der Künstler als Bohemien gilt als Antithese zu dem, was der Sammler in seiner Jugend erlebt hat: »Er hat ein Gegenmodell gesucht und dieses in Person der Künstler gefunden.« In diesem Sinn hat ein karrierebewusster Industriellenerbe mit 50 Jahren die Reize der Boheme entdeckt. Die Grundzüge dieses Lebensstils kennt Flick allerdings schon seit seiner ersten Abfindung in den siebziger Jahren: Die bürgerlichen Tugenden, der Beruf und die Ehe wichen der freien Liebe und einem Hang zu grenzüberschreitenden Bewusstseinszuständen. Friedrich Christian Flick ist das, wovon nicht wenige Angehörige der Subkultur träumen: ein Bohemien mit Rentengarantie. Aber auf eines musste seine Biographie bisher verzichten: die Leidenschaft für die Kunst, mit der ein Bohemien seine Verweigerung erst wirklich legitimieren kann. Der alternde Jet-Setter muss im »Künstler« den wirklichen Bohemien erkannt haben, der in veredelter Form das realisierte, woran er, als angepasster Erbe mit eher familientypischer Neigung zu Exzessen, gescheitert war. Diese fast glühende Sehnsucht, die Versäumnisse der eigenen Jugend aufzuholen, holt die Angepassten manchmal in den letzten Lebensjahrzehnten ein.

Flick spricht von einer »Sehnsucht«, das zu begreifen, was man nicht begreifen könne, was man bloß »signalhaft« empfinde. Diese »Sehnsucht« könnten die Künstler »irgendwie aufzeichnen«. Zu seinem Künstlerkreis gehören neben Fischli/Weiss, Roman Signer und Pipilotti Rist beispielsweise auch Franz West aus Wien und der als Enfant terrible des internationalen Kunstbetriebs verschriene Kalifornier Paul McCarthy. »McCarthy war schon oft bei mir oben in Gstaad«, berichtete der Sammler: »Bis um fünf Uhr morgens haben wir manchmal auf dem Balkon gesessen und diskutiert.«

Von Menschen und Künstlern

Was die Künstler ihm gegeben haben, vermag er nicht auszudrücken, es ist nichts Intellektuelles, eher etwas Existenzielles. Was ihn am Kontakt mit den Kreativen am meisten fasziniert, ist ihr Vermögen, gewisse Dinge früher, konziser oder aus einem umfassenderen Blickwinkel heraus zu erfassen: »Es hört sich schon fast etwas kitschig an, aber irgendwie haben sie etwas Göttliches«, findet Flick. »Künstler sind am Schöpfungsprozess näher dran oder sehen die Dinge zumindest aus einer anderen Perspektive.« Sie sind fast wie höhere Wesen: »Es gibt Menschen und es gibt Künstler, und die Künstler sind eben anders als die Menschen. Die haben andere Gehirnwindungen.« (3)

Flick wiederholt solche Bekenntnisse im Bundeskanzleramt insgesamt sieben Mal. Versuche, die metaphysischen Qualitäten zu erklären, münden in Plattitüden: »Wenn jetzt ein Andy Warhol sich in den sechziger Jahren zur Thematik der Massenmedien äußert in seinen Dingen, dann ist das ja eigentlich für uns erst später bewusst geworden. Und dieses Vorausschauende, Vorausnehmende der Künstler, das hat mich immer besonders fasziniert.«

Im Zuge der Selbstlegitimation tut auch das bewährte Vokabular der siebziger Jahre noch seinen Dienst. Im Gespräch mit der Kulturstaatsministerin Christina Weiss im Bundeskanzleramt betont Flick, »dass meine Sammlung gesellschaftspolitische Themen aufnimmt und gewissermaßen aus meiner Familiengeschichte zu erklären ist«. Nein, eine Kunst, die sich »rein im Ästhetischen erschöpft«, interessiere ihn nicht, sondern eine Kunst, die »eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung sucht«. Das hohl tönende Adjektiv, sonst eher in sozialdemokratischen Kulturämtern beheimatet, das »Gesellschaftspolitische« im progressiven Sinne, erfährt dann eher matte Konkretion. »Wir alle wissen, wie grausam der Krieg ist, aber wenn sie ein Werk sehen von Bruce Nauman: Da ist nur Raw Wall, das flickt hin und her – das ist ein Bild, das werden Sie nie vergessen. Dann bewegt sich etwas.« Was sich bewegt, bleibt auch hier unklar. Auch ein anderes Werk des Künstlers vermag dessen Fan mit pazifistischem Geist aufzuladen: »Bruce Nauman hat sich auf eine sehr eigene Art mit der Absurdität des Krieges beschäftigt. Da gibt es die hintersinnige Arbeit namens ›Five Marching Men‹, sie besteht aus Neonröhren und zeigt marschierende Männer. Jedes Mal, wenn diese Gestalten ihren Arm zum Gruß heben, hebt sich auch ihr Penis. Wie lässt sich besser veranschaulichen, welche kopflose, blinde Erregungsmacht hinter der kriegerischen Gewalt steht?« (4) Für Flicks Großvater dagegen war der Krieg kein absurdes, sondern ein profitables Unternehmen. Doch wenn ein Kunstwerk thematisch den Familienhintergrund streift, leitet Flick die Deutung prompt ins Allgemeinmenschliche ab, das wiederum die Geschichte »gesellschaftskritisch« entschuldigen kann. In diesem Sinn kann Flick die sekundierende Frage der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, ob Kunst seine »eigene Bewusstseinsentwicklung« dokumentiere, natürlich bejahen.

Um Seriosität bemüht

Die Worte über konkrete Kunstwerke verstrahlen schnell einen Jargon der Eigentlichkeit, das Erlebnis des ungenannten Existenziellen mündet fast im religiösen Credo des Wiedergeborenen. Nach all den bildungsbürgerlichen Canalettos gilt der Kauf eines Polkes als »Häutung«. Die Kunst erscheint nicht als intellektuelles Spiel der Avantgarden, für diesen Sammler ist Kunst auch Therapie. »In meiner Londoner Wohnung steht die Skulptur ›La Place II‹ von Giacometti. Wenn man die Figuren sieht, wie die stelenhaft aneinander vorbeigehen, ohne sich wahrzunehmen, das ist ein erschütternder Ausdruck der Zerrissenheit und Entfremdung. Darin spiegelt sich eine persönliche Befindlichkeit von mir wider. Also, das ginge dann ans Eingemachte, wenn ich mich davon trennen müsste. Das sind Sachen, die einem ans Herz wachsen.« (5) Den »Ausgangspunkt« seiner Sammlung, Duchamps auf einen Küchenhocker montierte Fahrradfelge aus dem Jahr 1913, deutet Flick so: »Das ist der radikale Bruch in der Kunstgeschichte. Duchamp hat dem Künstler den Pinsel aus der Hand genommen und in den Kopf des Betrachters gesteckt. Das Kunstwerk entsteht somit erst durch den Betrachter. So hab’ ich die Kunst immer gesammelt, eigentlich eine sehr strenge, harte Kunst.« (6)

Gegen die Konzentration auf das Strenge und Harte spricht der pluralistische Charakter des Konvoluts von 2 500 Werken. Lebemänner mit Tendenzen zur Selbstzerstörung faszinieren Flick besonders stark, wie der an einer Leberzirrhose gestorbene Martin Kippenberger: »Der war einfach alles, Maler, Bildhauer, Theatermacher, der hatte eine Subkneipe in Berlin, war Humorist und Zyniker, und war sehr ernsthaft.« (7)

Flicks Berater und Kuratoren versuchen, die blumige Programmatik des Sammlers zu konterkarieren, um die finanzielle und ideelle Seriosität der Sammlung zu untermauern. Charles Saatchi war Ende der neunziger Jahre in England stark in die Kritik geraten: Seine Sammlung folge nur neopoppigen Oberflächen und Schockreizen, er verheize junge Künstler durch schnelle Trendwechsel. Die Kritik drohte, den Wert der Collection sinken zu lassen. Deshalb betont Wirth, dass Flick stärker an existenziellen Vorstellungen und Gedankenprozessen als an den Oberflächenreizen eines Werks interessiert sei, und das dokumentiere auch seine Sammlung.

Formatmäßig steht Flick vor allem auf sperrige Arbeiten, wie etwa jene des amerikanischen Minimalisten Carl Andre, bestehend aus 1 296 quadratischen Metallplatten à 30 Zentimeter Kantenlänge. Dabei ist der elf mal elf Meter beanspruchende Bodenbelag noch nicht einmal das raumgreifendste Schaustück der Sammlung. Der »Saloon«, eine bitterböse Großinstallation des Kaliforniers Paul McCarthy, misst 17 mal 18 Meter. Zu erwähnen wäre auch noch ein überdehntes Sperrholzregal aus der Werkstatt von Donald Judd. Länge: 23,5 Meter. »Im Bereich der Minimal Art kann es ihm nicht theoretisch und schwierig genug sein«, so die Kunsthistorikerin Eva Meyer-Hermann. Es gehe Herrn Flick darum, mit seiner Sammlung »die großen Denklinien des 20. Jahrhunderts« nachzuzeichnen.

Die Widersprüche zwischen naiven Kommentaren, pseudotherapeutischen Projektionen und einem disparaten Konvolut von 2500 Werken verdeckt Flick dann mit zwei Worten, die eher an seinen Großvater erinnern: »Die industrielle Rieck-Halle passt sehr gut zur Strenge und Härte meiner Sammlung.«

Gespräch unter Freunden

Die rasante Karriere zum Supercollector scheint auch das Bedürfnis nach einer neuen Biographie geweckt zu haben. Einer Biographie, die die Anfänge des späten Kunstfreundes bereits im jungen Mann imaginiert. Diese Verwandlung fand am 11. November 2003 im Bundeskanzleramt statt. Als Sekundanten fungierten dabei Christina Weiss und Bundeskanzler Schröder, der trotz kämpferischer Parteitagsreden gegen unpatriotische Steuerflüchtlinge den für Flick äußerst vorteilhaften Vertrag initiierte. Flicks Finanzberater Eberhard von Koerber, früher stellvertretender BDI-Chef, ist ein enger Vertrauter von Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Frau Weiss hatte etliche Bekannte mit ihrer Parteinahme für die Sammlung verblüfft, galt sie doch in Hamburg als sehr aufmerksam im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Im Kanzleramt überraschte sie mit einer fast jungmädchenhaften Begeisterung für den Kunstsammler (8): »Ich kenne auch nur die kleinen Abbildungen, man erkennt sehr deutlich den Schwerpunkt, ja, Politik oder politische Dimension der Kunst, kann man nicht so gut sagen, weil es ist eine Kunst, die sich jeweils sehr pointiert mit der Gesellschaft auseinandersetzt! Also, wirklich, Sie sind ein Beuys-Schüler par excellence! Warum ist das für Sie so wichtig gewesen?« Flick antwortet, dass die Frage nach dem Zusammenhang zwischen seiner Kunst und der Familiengeschichte schon häufig gestellt worden sei, früher sei dieser Konnex für ihn »noch unbewusst« gewesen, heute handele es sich um »eine auch bewusste Identifizierung in diesem Zusammenhang«.

Daraufhin wusste die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien das neue Interesse für die moderne Kunst zu erklären: »Also, in jedem Fall hat Beuys über Canaletto gesiegt, und das war ja völlig im Sinne von Beuys, genau das auszulösen, ich will mich mit mir selbst, meiner Weltwahrnehmung auseinandersetzen, und ich brauche dazu den Anstoß durch die Kunst!« Flick antwortet auf diesen Ausruf mit den Worten: »Absolut. Ja!«

Dann folgt die Frage, wann er Beuys kennen gelernt habe. »Beuys habe ich als Schüler Ende der fünfziger Jahre in Düsseldorf kennen gelernt, Beuys, das war ja ein Held für uns. Aber ich muss noch mal sagen, dass ich mehr die politischen Aktionen dahinter spannend fand.« Dieser Aktivismus habe das Interesse für die Düsseldorfer Malerwelt geweckt, für Polke, Richter und Palermo. Mehrere Male lässt Frau Weiss daraufhin den Namen Beuys fallen, zuletzt in der Frage, ob Flick diese Provokation der Gesellschaft gereizt habe. Diese argumentative Brücke wird sofort begangen: »Das ist ja gerade auch, was einen, was mich an der zeitgenössischen Kunst so begeistert, die Künstler halten ja im Großen und Ganzen Distanz zur Macht.« Natürlich im Gegensatz zum Dritten Reich und der DDR.

Diese Fabel von der Geburt eines kritischen Sammlers aus Beuysschem Geiste hätte den Anwesenden seltsam vorkommen müssen, besonders bei dieser autobiographischen Bemerkung: »Die erste Begegnung mit Kunst hatte ich als Schüler, ich ging damals in Düsseldorf ins Gymnasium, und Ende der fünfziger Jahre war Beuys der große Mann: Und ich erinnere, dass damals der damalige Kultusminister, der heutige Bundespräsident, Beuys den Lehrauftrag entzogen hatte. Das war eine für uns ganz spannende Sache, als Schüler fand ich diese politischen Aktionen so spannend und interessant. Und von der Kunst dahinter hab’ ich, glaub’ ich, noch nicht richtig was verstanden.«

Die Beuys-Geschichte

Flick konstruierte sich den mustergültigen Lebenslauf eines Kunstsammlers, der schon in jungen Jahren von einem dissidenten und neugierigen Geist erfüllt war. Demgemäß hätte der 1944 geborene Flick den rebellischen Großkünstler schon mit 14 Jahren in Düsseldorf kennen gelernt. Beuys war zu diesem Zeitpunkt aber nicht in Düsseldorf. Mitte der fünfziger Jahre litt er unter depressiven Erschöpfungszuständen, arbeitete auf dem Bauernhof der Familie van der Grinten auf dem Feld. In seiner eigenen Biographie steht unter den Jahren 1957 bis 1960: »Erholung von der Feldarbeit«. Die Kunst stand nicht im Mittelpunkt: »1958 und 1959 wurde die gesamte mir zur Verfügung stehende Literatur im naturwissenschaftlichen Bereich aufgearbeitet.« (9) Von 1958 bis zum März 1961 lebte Beuys in Kleve, dort befand sich das Atelier, und erst im März 1961 begann die Professur an der Düsseldorfer Kunstakademie. (10) Der Durchbruch gelang dann Mitte der sechziger Jahre mit ersten »Fluxus«-Aktivitäten und der Teilnahme an der Documenta.

Flick verwechselt die späten fünfziger mit dem Ende der sechziger Jahre. So spricht er von der Bewunderung für den Mut und den Aktionismus von Beuys, anspielend auf dessen Kündigung durch Johannes Rau, dem damaligen Wissenschaftsminister von Nordrhein-Westfalen. Beuys wurde am 10. Oktober 1972 die Professur an der Kunsthochschule Düsseldorf entzogen, weil er den Numerus Clausus abschaffen wollte. Diese Geste der Egalität will den jungen Flick begeistert haben – und die politischen Aktionen. Beispielsweise produzierte Joseph Beuys 1970 ein Plakat mit dem Titel »Wahlverweigerung«: »Lasst euch als Mehrheit nicht länger von einer Minderheit von Interessengruppen verregieren, von Parteien, die von den in Wirklichkeit Herrschenden in Industrie und Wirtschaft finanziert werden. Wählt nie wieder Parteien als in dieser Weise Abhängige! Wählt nie wieder Parteien. Denn Parteien sind die Interessenhüter der wirtschaftlich Mächtigen. Ausbeuter der Produktivkräfte der Mehrheit (…) Regiert euch selbst! Gewaltlosigkeit!« (11)

Vielleicht verwechselt Friedrich Christian Flick aus gutem Grund die fünfziger mit den sechziger Jahren, hatte er doch gegen Ende der sechziger Jahre, dem 68er-Zeitgeist zum Trotz, an seiner Karriere gearbeitet, die auf den Eintritt in die Konzernspitze im Jahr 1972 zielte. Als Beuys sein Wahlplakat gegen die wirtschaftsabhängige Parteiendemokratie druckte, besuchte Friedrich Christian seinen Großvater am Bodensee, der sein Engagement mit einer neuen Erbschaftsregelung belohnte.

Mit dieser Geschichtsklitterung wollte Flick illustrieren, dass er schon in jungen Jahren ein kritischer Geist gewesen sei, und dadurch den progressiven Charakter der Collection unterstreichen.

Die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien bescheinigte dem Mäzen heilende Fähigkeiten, schließe er doch »in Berlin einen Teil der Wunde, die in Berlin durch die Nazi-Zeit gerissen wurde«. Und Flick bemühte dann die aufklärende Kraft der Kunst, gerade für jene Schulklassen, die seine Sammlung besuchen könnten: »Also, in Geschichtsbüchern können Sie natürlich viel lernen, aber so manche Bilder haben vielleicht auch so einen ganz prägnanten Effekt, der eben vielleicht mehr aussagt als Tausende Worte, und ich halte das gerade bei Kindern für wichtig, dass die durch die Kunst zu einer kritischeren, mündigeren und damit selbstsicheren Haltung geführt werden, um dann auch den Verlockungen von politisch Rechts und Links oder auch den Verlockungen durch die Gleichschaltungen der Massenmedien einfach etwas Selbstbewusstes und Kritisches entgegenzustellen.«

Chefsache Dr. Flick

Christina Weiss fand darin ein »wunderbares Plädoyer für ästhetische Bildung«, man solle dem Sammler die Kinder zur Aufklärung schicken. Die Worte des Bundeskanzlers tönten: »Kunst ist eine öffentliche Angelegenheit, das hat Max Pechstein, der Brücke-Maler, einmal sehr schön gesagt, auch das gilt heute noch, denke ich. Und man kann das auch an Ihrem Fall, Herr Dr. Flick, sehen.« Die hoch subventionierte Heimholung des Erben begeisterte den Kanzler in ihren schieren Dimensionen: »Wie ich gerade von Ihnen erfahren habe, war es mal die längste Halle in Berlin, also gerade richtig, um Ihre große Sammlung aufnehmen zu können.« Das Ganze wird zur Chefsache, jovial und gepaart mit gestellter Kleinbürgerlichkeit kommentiert der Bundeskanzler: »Ich finde es schön zu beobachten, wie sich bei großen Kunstsammlern wie Ihnen Leidenschaft, Individualität, aber auch Kennerschaft zu einem untrennbaren Ganzen vermischt. Wenn ich das sage, bin ich mir durchaus im Klaren, dass das Wort Leidenschaft durchaus zwiespältige Gemütslagen beschreibt. Nicht umsonst steckt auch Leid drin. Zum Beispiel Leid, wenn man was, das man haben will, nicht kriegt!«

Vielleicht ist Friedrich Christian Flick auch deshalb zu einer Galionsfigur der rot-grünen Kulturpolitik geworden, weil die Unterstützer in der Dreistigkeit des Coups auch ihre Macht erkennen. Christina Weiss spricht die Schlussworte: »Es wäre ein Traum von mir, wenn es sich rumspricht, Kunst macht glücklich! Es wäre wunderbar, wenn alle verstehen, dass das doch glücklich macht, weil es einen verändert, weil es einen hindert, stehen zu bleiben in der eigenen kleinen Alltagsblickrichtung.« Die Ernsthaftigkeit der Künstler habe auch ihn ernsthaft und dadurch glücklich gemacht, erklärte der Collector. In diesem Sinn könnten auch die rot-grünen Förderer die Lebensphilosophie des Sammlers teilen: »Ich lebe nach dem Satz eines meiner Lieblingskünstler, Picabia: Der Kopf ist rund, damit das Denken seine Richtung ändern kann.« (12)

(1) Welt am Sonntag, 11. Januar 2003.

(2) Ebd.

(3) Der Tagesspiegel, 17. Januar 2003.

(4) Der Spiegel 11/2004.

(5) Welt am Sonntag, 11. Januar 2003.

(6) Berliner Zeitung, 18. Januar 2003.

(7) Ebd.

(8) Im Folgenden wird nach einem Mitschnitt des Gesprächs im Bundeskanzleramt zitiert.

(9) Zitiert nach Adriani, Götz: Biographische Hinweise, S. 91, in: Heiner Bastian (Hg.): Joseph Beuys, München 1988.

(10) Ebd., S. 91 f.

(11) Damus, Martin: Funktionen der Bildenden Kunst im Spätkapitalismus, S. 125.

(12) Welt am Sonntag, 20. Oktober 2002.

Der Beitrag ist ein leicht redaktionell bearbeiteter Vorabdruck aus dem am 20. September erscheinenden Buch von Peter Kessen »Von der Kunst des Erbens – Die ›Flick-Collection‹ und die Berliner Republik.« Philo-Verlag 2004, 170 S., 12,90 Euro