Schuld ist immer der Manager

Geringere Profite bei Mercedes sind die Folge einer Überproduktionskrise in der Autoindustrie. von markus euskirchen

Viel Kritik musste der Vorstandsvorsitzende von Daimler-Chrysler, Jürgen Schrempp, auf der Aktionärsversammlung vergangene Woche einstecken. »Fünf Jahre Misswirtschaft« warf ihm der Investmentfondsmanager Thomas Körfgen von der Bank SEB vor. »Die Geduld der Aktionäre ist vorbei«, sagte Klaus Kaldemorgen, Fondsmanager bei der DWS, einer Tochter der Deutschen Bank, die wiederum Großaktionär bei Daimler ist.

Schrempp kennt das schon. Ob Daimler-Chrysler bei Mitsubishi einsteigt oder aussteigt, ob Chrysler verkauft oder der Smart nicht gekauft wird – seit Jahren nerven die Vertreter des Finanzkapitals Deutschlands größten Produktivkapitalisten mit dem Vorwurf, die Rendite stimme nicht.

Dieses Mal hat es das Herz des Konzerns erwischt: Mercedes rutscht in die Krise. Im vergangenen Jahr hat der Autobauer aus seinen 160 000 Mitarbeitern nur noch 1,7 Milliarden Euro Gewinn herausgeholt, 50 Prozent weniger als im Vorjahr. Qualitätsmängel und Rückrufaktionen haben das Image der Marke ramponiert, heißt es. Die Probleme seien »zu spät erkannt worden«, meint Thomas Meier von Union Investment. Und Schrempp steht als Versager da. Denn die Nation will erfolgreiche Kapitalisten.

In den letzten Monaten erhielt das Lager der Nieten in Nadelstreifen regen Zulauf aus der Autobranche. Das Management von Opel habe »den Trend zur Dieseltechnologie verschlafen« und sei nicht »ins Premium-Segment« gedrängt, kritisiert die Wirtschaftspresse. Opel habe »Kompromisse in der Qualität« gemacht und »viel zu große Kapazitäten aufgebaut«. VW wiederum habe den Fehler begangen, mit dem Phaeton in die Oberklasse eingestiegen zu sein und den neuen Golf viel zu teuer zu verkaufen. Billig sind zwar die Autos des faktisch bankrotten Konzerns Fiat, doch hätten hier »schlechte Modellpflege, wenig ansprechendes Design, nicht die allerneueste Technik« das Image zerstört. Der US-Autobauer General Motors (GM) »versteht den europäischen Markt nicht«. GM-Europa (Saab, Vauxhall, Opel) schreibt seit fünf Jahren rote Zahlen, der akkumulierte Verlust beläuft sich auf über zwei Milliarden Euro. Überall werden die Manager verantwortlich gemacht. Das bedeutet, es ist die Zeit einer ganz normalen kapitalistischen Überproduktionskrise.

Das ist kein Geheimnis. Nach der jüngsten Studie der Wirtschaftsberatungsgesellschaft KPMG leidet die Branche vor allem an einem: Es gibt zu viele Autos auf der Welt. Die Konsumenten können nicht so viele kaufen, wie die Hersteller produzieren lassen, denn die Einkommen stagnieren oder sinken weltweit. Für etwa ein Viertel aller produzierten Pkw oder Lkw gebe es keine zahlungsfähige Nachfrage. Nach Ansicht der KPMG unterschätzt die Branche jedoch das Problem, denn ein Abbau der Fertigungskapazitäten in großem Stil sei nicht geplant.

Warum auch? Schließlich ist die kapitalistische Weltwirtschaft kein vernünftiges Unternehmen zur Versorgung der Welt, in diesem Fall mit Autos. Zwar merken die Autoproduzenten an den schwachen Verkaufszahlen, dass die Leute kein Geld haben. Dennoch will jeder einzelne Produzent expandieren, um die Konkurrenz zu verdrängen.

Wie das britische Wirtschaftsmagazin Economist schreibt, fiel die durchschnittliche Gewinnrendite der Autoindustrie von mehr als 20 Prozent in den zwanziger Jahren auf rund zehn Prozent in den sechziger Jahren und weniger als fünf Prozent heute. Um ihre Profite wenigstens konstant zu halten, kämpfen die Firmen heute noch erbitterter um bestehende und neue Absatzmärkte, mit immer weniger Arbeitern, immer schnelleren Produktzyklen sowie mit Rabatten und sinkenden Verkaufspreisen. »Wir verkaufen Fahrzeuge mit Verlust«, sagte sogar ein Automanager dem Manager-Magazin. »Das kann niemand ewig durchhalten.«

Pleiten und Übernahmen stehen also an. Die Konzentration des Kapitals schreitet voran. Gab es in den zwanziger Jahren allein in den USA noch rund 270 Autoherstellerfirmen, so sind heute weltweit nur noch 13 eigenständige Konzerne am Markt. Die vielen Automarken täuschen, die Firmen existieren heute nur noch als Töchter ihrer Mutterunternehmen: Ford kontrolliert Land Rover, Jaguar und Mazda. Nissan gehört zu Renault. Daewoo, Saab, Vauxhall und Opel zu GM. VW hat sich Skoda, Audi, Seat und Bentley geschnappt, Fiat nahm Ferrari und Alfa Romeo und Daimler eben Chrysler.

Wer überlebt, ist eine Frage der Finanzkraft, der Kreditwürdigkeit und der Profitabilität. »Wie aber können Autohersteller ihre Profitabilität verbessern?« fragte kürzlich das Manager-Magazin und gab darauf »zwei klare Antworten: durch Kostensenkung oder Absatzsteigerung«. Wegen des schwachen Absatzes dürfte zurzeit die Kostensenkung als Königsweg gelten. Das heißt: Ausbaden muss die Überproduktionskrise nicht das gescholtene Management, sondern die Arbeiterschaft.

VW will beispielsweise die jährlichen Lohnkosten bis ins Jahr 2011 um 30 Prozent senken, nachdem das Sparprogramm »ForMotion« bereits 1,6 Milliarden eingebracht hat. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die VW-Arbeiter in den nächsten Jahren nicht nur auf eine Gehaltserhöhung sowie auf Bonusleistungen verzichten. Der Konzern geht auch davon aus, dass im Stammwerk in Wolfsburg mittelfristig zwischen 5 000 und 15 000 Arbeitsplätze wegfallen könnten.

Auch Daimler-Chrysler beschert seinen Arbeitern zahlreiche Verschlechterungen, wie die Abschaffung von Kurzpausen und der Spätschichtzulage sowie Mehrarbeit. GM und Ford setzen ihre Arbeiter zu Tausenden vor die Tür und senken die Löhne. Allein bei seinen europäischen Töchtern will GM den Lohn für 12 000 Mitarbeiter einsparen. Für die Opelaner gibt es in den Jahren 2004 und 2005 Nullrunden. Tarifabschlüsse ab 2006 werden mit einem einprozentigen Abschlag weitergegeben. Künftig müssen die Beschäftigten außerdem flexibel zwischen 30 und 40 Stunden arbeiten, bei ebenso flexibler Bezahlung. Auch an Samstagen sollen die Montagebänder laufen. Bis 2006 soll das GM 500 Millionen Euro bringen.

Dafür erhält die verbleibende Belegschaft mehr oder weniger begrenzte Arbeitsplatzgarantien. Gewerkschaften und Betriebsräte feiern das als Erfolg: »keine betriebsbedingten Kündigungen« für die nächsten Jahre, »keine Massenentlassungen« oder zumindest »keine Standortschließungen«. Wie immer haben die Arbeitervertreter »das Schlimmste« verhindert. Vorerst.

Solange sich die Profitlage der Konzerne trotz aller Kostenoptimierung nicht verbessert, werden die Manager weiter beschimpft. Denn das Publikum agiert streng nach der Regel: Wer erfolglos ist, der muss kriminell, gewissenlos oder zumindest blöd sein.

Diese Kritik kann den Vorständen nur recht sein. Denn die Managerschelte hat eine wichtige Funktion für den sozialen Frieden. Die Verweise auf »unternehmerische Fehlentscheidungen« nähren den Aberglauben an die prinzipielle Arbeiterfreundlichkeit eines guten, nämlich »erfolgreich gemanagten« Kapitalismus. Der Kapitalismus jedoch macht keine Fehler, sondern ist der Fehler. Managerschelte, die moderne Form des negativen Personenkults, personifiziert diesen Fehler. Und vor allem die Gewerkschaft predigt weiter: Wenn nur nicht solche Knalltüten das Sagen hätten, ginge es allen gut.