Ganz draußen

Orte ehemaliger Außenlager des KZ Ravensbrück 60 Jahre nach der Befreiung.

Im Jahr 1944 existierten neben 25 Konzentrations- oder Stammlagern mehr als 1 200 so genannte Außenlager. Ihre Entstehung und Entwicklung ab dem Jahr 1942 kennzeichnen eine neue Qualität und Phase im System der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Die Gefangenen wurden zur Zwangsarbeit in unmittelbarer Nähe zu den Betrieben der Privatwirtschaft, vor allem der Rüstungsindustrie, untergebracht.

Spätestens die damit einher gehende »Allgegenwart der Lager« (Wolfgang Benz) führte zu einem Wissen um die Existenz der Konzentrationslager und die Bedingungen für die Gefangenen innerhalb der deutschen Gesellschaft. Die räumlichen, örtlichen und funktionalen Voraussetzungen dieser Lager unterschieden sich immens. Es wurden eigene Gebäude und Infrastrukturen errichtet oder bereits bestehende und anderweitig genutzte Barackenlager oder Gebäude durch die Schaffung entsprechender Vorkehrungen – elektrisch geladene Zäune, Wachttürme etc. – umfunktioniert.

Auch die Belegungsstärken in den einzelnen Orten waren unterschiedlich, ebenso der Zeitraum ihrer Existenz. Die Lager befanden sich im öffentlichen Raum der Kommune, wenn auch an verschiedenen Orten, unterschiedlich offen oder abgeschirmt angelegt. Wachmannschaften nutzten die Infrastruktur der Umgebung, die Gefangenen bewegten sich bewacht von der SS und Hunden vom Bahnhof zum Lager oder täglich zu den Orten der Zwangsarbeit. An diesen kam es – trotz räumlicher und sozialer Abschirmungen – zu Kontakten mit deutschen ArbeiterInnen. Einzelne Gefangene oder kleine Gruppen konnten von örtlichen Betrieben zur Zwangsarbeit »ausgeliehen« werden. Einheimische Unternehmen oder Kleinbetriebe erhielten oder bemühten sich um Aufträge, die im Zusammenhang mit der Organisation der Lager zu vergeben waren.

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Das heutige Wissen um die Existenz, Bedeutung und Dichte dieser Lager ist nicht weit verbreitet. Die Erinnerung und das Gedenken, die Wahrnehmung einer Geschichte der Konzentrationslager beziehen sich auf Sachsenhausen, Dachau, Ravensbrück, Buchenwald, Neuengamme, Auschwitz. Hier existieren etablierte, in ihrer Einrichtung anerkannte Gedenkstätten, die von überregionaler Bedeutung sind. Darüber hinaus sind zum Teil noch bauliche Relikte vorhanden – Baracken, Eingangstore und -gebäude, Stacheldrahtzäune, Wachttürme, die das Bild und unsere Vorstellung von den Konzentrationslagern bestimmen.

Eine Betrachtung von 31 Standorten ehemaliger Außenlager des KZ Ravensbrück (Fürstenberg/Havel in Brandenburg) ergibt, dass an 15 von ihnen mit Hilfe einer Gedenkstätte oder eines Erinnerungszeichens gedacht wird. Dabei fällt bei fünf von ihnen diese Zuordnung schwer; sie befinden sich entfernt von dem Ort, an den sie erinnern wollen, kommen ohne eine Nennung des Lagers oder eine Beschreibung der Geschichte aus oder vermitteln vage, manchmal auch falsche Informationen.

Eine fehlende Kennzeichnung des historischen Ortes führt zu seinem Verschwinden. Die Bedeutung seiner spezifischen Geschichte wird aus dem Gedächtnis und der öffentlichen Wahrnehmung gelöscht. Der Abbau der Lagerrelikte, ihr Umbau, eine Umnutzung oder das Überwachsen der Fläche sind bildhafte Übersetzungen eines Verdrängungsprozesses innerhalb der deutschen Gesellschaft. Mit dem Verschwinden baulicher Relikte aus dem kommunalen Kontext konnte auch die Geschichte des Ortes unausgesprochen bleiben, die »Allgegenwart des Lagers« verdrängt und das Wissen über die deutschen Konzentrationslager auf weit entfernte Orte und Namen projiziert werden.

Eine Kennzeichnung des Ortes führt zu seiner Deutung. Er wird lesbar gemacht, mit Informationen und Bedeutungsmustern verknüpft. Eine Betrachtung einzelner Elemente, des vermittelten Inhalts, ihrer Anordnung im Raum, ihrer Sichtbarkeit in der kommunalen Öffentlichkeit und ihres Verhältnisses zum historischen Ort lässt Rückschlüsse auf den Umgang mit der Geschichte selbst zu.

Sequenz 1: Belzig

Ein Schild »Grüner Grund/Mahn- und Gedenkstein« weist den Weg in einen Wald. Auf einer Wiese, unter Tannen und von Pflanzen umgeben, steht ein 1965 (1) aufgestellter Findling:

Die Toten mahnen!Zwangsarbeiterlager Roederhof des KZ Ravensbrück

Die Anlage erinnert an eine Grabstätte, sehr hohe Bäume verdunkeln den kleinen Platz und schließen ihn gegen seine Umgebung ab. Erinnert wird an ein Außenlager in Brandenburg, welches im August 1944 unter der Verwaltung von Ravensbrück in Nutzung ging und ab Anfang Januar 1945 dem KZ Sachsenhausen unterstellt wurde. Es grenzte im Südosten an ein Lager für ZwangsarbeiterInnen. Die Lager gehörten zu dem ca. zwei Kilometer entfernten Munitionswerk der »Metallwarenfabrik Treuenbrietzen GmbH«, Zweigwerk Roederhof. Ab März 1945 wurden ca. 300 Frauen des Außenlagers auch zu Arbeiten in umliegenden Orten eingesetzt. Durchschnittlich 750 Frauen mussten in vier Baracken des mit Stacheldraht eingezäunten Lagers leben. Am 24. April 1945 wurden 600 von ihnen auf einen Todesmarsch geschickt, kranke Frauen blieben im Lager und wurden am 2. Mai 1945 befreit.

Der Gedenkstein grenzt im Süden an das ehemalige Lagergelände, stellt allerdings keinen ersichtlichen räumlichen oder funktionalen Zusammenhang zu ihm her. Die Inschrift des Steins enthält eine Mahnung von Toten, denen so eine Aufgabe oder Sinnstiftung zugesprochen wird. Die sich anschließende Inschrift stellt eine Verbindung zu einem anderen Ort – dem ehemaligen Stammlager Ravensbrück – her, ohne auf den Wechsel der verwaltungstechnischen Zuständigkeiten einzugehen.

Den zweiten Bezug zum Arbeitsort der Frauen – der Fabrik »Roederhof« – erkennt, wer über Vorwissen verfügt. Die Bezeichnung »Zwangsarbeiterlager« ist in dem dargestellten Zusammenhang falsch, denn an dieses soll, trotz seiner Existenz hier, nicht erinnert werden.

1980 ergänzte man die bestehende Anlage um eine Informationstafel, 1995 wurde sie von der Stadt erneuert. Ein Text gibt einen kurzen Einblick in die Geschichte und die Bedingungen des Lagers. Er endet mit der Botschaft »Die Toten mahnen! Wir werden sie nicht vergessen!«

Links daneben zeigt ein schematischer Plan die Anordnungen der Gebäude des Lagers. Weder das angrenzende Zwangsarbeiter- und Kriegsgefangenenlager noch die Fabrik werden dargestellt. Er funktioniert gänzlich ohne Außenbeziehungen, die Geschichte des Lagers erscheint bezugslos zu seiner räumlichen und gesellschaftlichen Umgebung. Wenn man ihn liest, wird deutlich, dass es sich bei der hinter dem Schild und der Gedenkstätte befindlichen Wiese um das Gelände des ehemaligen Lagers handelt.

Da der Plan ohne Maßstab und Bezüge auskommt, ist nicht erkennbar, in welchen Bereichen sich das Lager erstreckte, wo es von seiner Umgebung abgegrenzt wurde oder wo sich die einzelnen Gebäude befanden. Deutlich ist der Umgang mit dem Gelände nach 1945: Die Gebäude wurden abgetragen, die Fläche überwuchs.

Die Fundamente des ehemaligen Wirtschaftsgebäudes verwendete man in den sechziger Jahren für einen Neubau. Er wird zusammen mit einem Teil des umliegenden Geländes von einem »Sportverein für Deutsche Schäferhunde« genutzt. Am ehemaligen Ort des Bunkers mit den Todeszellen baute man die Hundezwinger und auf einem Teil des vormaligen Appellplatzes errichtete man Vorrichtungen für den Hundesport. Dieser Platz ist landschaftlich ein Teil des ihn umgebenden Waldes.

Im September 2004 erfolgte nach einer Initiative von Grit Kühne und Simone Haendschke (Frauenzentrum Belzig) sowie der Künstlerin Angelika Knie eine Ergänzung der Gedenkstätte. In Sichtweite des Gedenksteins und am Rand des Waldes wurde ein von einem Hanfseil umwickelter, von einer stilisierten Sonne gekrönter Holzstamm, in den Symbole eingeschnitzt sind, als »Gedenksäule« eingeweiht. Sie verschiebt die räumliche Wahrnehmung der Erinnerungsstätte insgesamt.

Zwar befindet sie sich im Randbereich des ehemaligen Lagers, ermöglicht aber vom Stein aus eine weitere Annäherung und Bezugnahme auf das Gelände selbst. Die einzelnen Zeichen sind mythischen Frauensymbolen entlehnt. Sie dienen weder der Information noch einem Gedenken, machen die Geschichte des Orts nicht lesbarer. Stattdessen sorgen sie für eine Verschleierung und Mystifizierung konkreter historischer Zusammenhänge, Schicksale und Verantwortlichkeiten, schreiben dem Ort eine negative Aura zu, die auf diese Weise gebannt werden soll.

Sequenz 2: Malchow

Am 1. Januar 1943 wurde in Malchow in Mecklenburg-Vorpommern ein Außenlager des KZ Ravensbrück eröffnet. Die Frauen mussten in der Mehrzahl in der Sprengstoffherstellung und -verarbeitung für die Sprengstoffchemie-Werke/Dynamit AG arbeiten, einige im Stadtgebiet, u.a. beim Ausheben von Gräben, im Krankenhaus oder in kleinen Betrieben.

Bis 2 000 Frauen brachte man in einem Holzbarackenlager unter. Angrenzend befanden sich, durch Zäune getrennt, Lager für ZwangsarbeiterInnen (»Männerlager West A« und »Frauenlager West B«). Ab April 1945 wurde das Außenlager zu einem Evakuierungs- und Durchgangslager für Gefangene auf den Todesmärschen des KZ Ravensbrück. Am 2. Mai 1945 wurde es befreit.

Ein Teil der Fläche des ehemaligen Außenlagers ist heute mit Hilfe von Betonpfeilern an drei Seiten begrenzt und so gekennzeichnet. Sie erinnern in ihrer Gestalt an Zaunpfeiler von Konzentrationslagern. Inwieweit sie eine Aussage zum ehemaligen Außenlager treffen, ließe sich nur vermuten. Auf dem Gelände lassen sich einige Fundamente und Mauerreste entdecken, von denen zwei gekennzeichnet sind. Die erste Tafel aus Plexiglas trägt die Inschrift:

»Vernichtung durch Arbeit«

Frauen des Konzentrationslagers Ravensbrück wurden in der letzten Phase des Krieges von der SS an das Munitions- und Sprengstoffwerk vermietet.

Frauen vieler Nationalitäten arbeiteten in der lebensgefährlichen Sprengstoffproduktion. Unzählige Frauen starben an den katastrophalen Lebens- und Arbeitsbedingungen im KZ-Außenlager Malchow.

Eine zweite, kleinere Tafel ist an einem daneben liegenden Mauerrest angebracht:

Fragmente einer Werksanlage.

Die Tafeln sind z.T. locker und leicht beschädigt. Sie sollen Hinweise auf die Geschichte des Ortes geben. Ihre Auswahl – inhaltlich und räumlich – ist beliebig, sie ermöglichen weder einen Überblick über das Gelände noch über die historischen Vorgänge. So stellt sich die Frage, warum auf dem ehemaligen Lagergelände Reste der weiter entfernten Werksanlage gekennzeichnet sind.

Gegenüber dieser Fläche weist vor einer eingezäunten und durch ein kleines Tor zu betretenden Gedenkstätte seit mehreren Jahren eine Tafel auf Forschungen des »Arbeitskreises Stadtgeschichte«, die vormalige Existenz der Munitionsfabrik und des Außenlagers hin. Sie ist an einigen Stellen verrostet, Graffitis wurden nur unzureichend entfernt. Vor dem Hintergrund, dass sich das Lager auf der anderen Straßenseite befand, liest sich die Beschreibung »In unmittelbarer Nähe …« ungenau und vage.

Die Errichtung der Gedenkstätte selbst begann 1947 mit der Setzung eines Gedenksteines für 375 auf dem ehemaligen Lagergelände gefundene Leichen von Gefangenen. 1964 wurde sie erweitert, die Fläche wurde planiert und ein um mehrere Stufen erhöhter Betonkubus mit einer Opferschale und der Inschrift:

Die Toten mahnen

sowie mehreren roten Dreiecken wurde gesetzt. Umgeben wurde die Anlage mit Blumenrabatten, mehreren Tannen sowie zwei Fahnenstangen. 1994/95 wurde der Betonkubus, dem zu diesem Zeitpunkt die Winkel und die Inschrift fehlten, im Zuge einer Umgestaltung der stark vernachlässigten Anlage renoviert. Heute fehlt die Inschrift, die Schale ist von Rost durchlöchert. Die Dreiecke wirken dagegen mit einem kräftigen Rot. Die Stadt setzte gegenüber einen Findling mit der Inschrift:

Zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus von 1933–1945 (Mai 1995)

Ihm vorgelagert sind elf Grabsteine. Sie wurden gemeinsam mit den Toten eines sowjetischen Soldatenfriedhofes, der sich ab 1946 am Neuen Markt befand, versetzt. Grundlage waren 1993 begonnene Überlegungen und umfassende Planungen zu einer Neugestaltung der Anlage, die wegen fehlender finanzieller Mittel nicht realisiert wurden.

Angrenzend an das Gelände des ehemaligen Außenlagers befinden sich zwei Wohnsiedlungen. Es sind die erhalten gebliebenen Unterkunfts- und Funktionsgebäude für ZwangsarbeiterInnen der ehemaligen »Männerlager West A« und »Frauenlager West B«. Seit 1939 von den Braunschweiger Architekten Besserer und Schütte projektiert, in massiver Klinkerbauweise ausgeführt und so bereits für eine langfristige Nutzung geplant, dienten sie nach 1945 der Unterbringung von Umsiedlern und Flüchtlingen. Sowohl die ursprüngliche städtebauliche Struktur der Siedlungen als auch die Gestaltung, Form und Ästhetik der einzelnen Häuser sind – trotz einiger individueller Um- und Ausbauten – nach wie vor erhalten und bleiben nachvollziehbar. Ihre ehemaligen Funktionen werden öffentlich nicht gekennzeichnet.

Sequenz 3: Neubrandenburg

Das größte Außenlager des KZ Ravensbrück in Mecklenburg-Vorpommern wurde ab März 1943 in der Ihlenfelder Vorstadt von der »Mechanischen Werkstätten GmbH« betrieben. Zunächst 2 500, ab September 1944 5 200 Frauen, mussten für den Rüstungsbetrieb arbeiten und waren 800 Meter entfernt, in dem ca. vier Hektar großen, so genannten Barackenlager Ost untergebracht. Auf dem Werksgelände wurde im Januar 1945 noch ein Lager für männliche Gefangene eröffnet. Ab dem Frühjahr 1944 mussten 2 000 gefangene Frauen im Nemerower Holz, zwischen Tollensesee und der heutigen B 96 im Lager »Waldbau« in unterirdischen Produktionsanlagen Teile für die Flügelbombe V 1 herstellen und in zum Teil in der Erde eingegrabenen Unterkünften leben. Am 27. April 1945 wurden die Lager geräumt und die Gefangenen von der SS auf einen Todesmarsch Richtung Ostsee getrieben. Die Überlebenden wurden Anfang Mai von der Roten Armee befreit.

Auf dem Gelände des ehemaligen Außenlagers in der Ihlenfelder Straße befinden sich heute einige Gewerbe- und kleine Industriebetriebe sowie zahlreiche leere, ungenutzte und verfallene Gebäude. Bauliche Reste des Lagers sind nicht mehr vorhanden. In den fünfziger Jahren baute man hier Gebäude für ein Baustofflager und das Tiefbaukombinat. An der zurückgesetzten Giebelwand eines derzeit ungenutzten Verwaltungsgebäudes sind zwei Tafeln zu finden. Die untere wurde 1980 eingeweiht und trägt die Inschrift:

Auf dem Gelände dieses Betriebes befand sich von 1943 bis zur Befreiung durch die Sowjetarmee ein Außenlager des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück, in dem Antifaschistinnen aus acht Ländern eingekerkert, gequält und ermordet wurden. Ihre Opfer sind uns Mahnung und Verpflichtung

Sie ist der Erinnerung an die Frauen des Außenlagers gewidmet, darüber hinaus gibt sie nur sehr wenige und vage Informationen. Das Gelände des Außenlagers soll lokalisiert werden, allerdings ist es räumlich außer einer Standortbestimmung nicht auszumachen. Im gleichen Jahr wurde vom Regionalmuseum eine Ausstellung zur Geschichte des Lagers eröffnet, welche 1990 aus Kostengründen schließen musste. Sie befand sich in einem kleinen Anbau des Gebäudes und war über eine mittels Treppen und Bepflanzungen als Platz gestaltete Anlage zu betreten. Die Räume werden vermutlich seit diesem Zeitpunkt offiziell nicht mehr genutzt. Die großzügig zum Platz ausgerichtete Fensterfront und die verglaste Eingangstür sind zerstört.

1994 wurde die Anlage ergänzt um eine zweite Tafel mit der Inschrift:

Vom Mai bis August 1945 diente dieses Gelände als Zweitlager des Internierungslagers Fünfeichen des Sowjetischen Innenministeriums. Die Opfer von Nationalsozialismus und stalinistischer Gewaltherrschaft mahnen

Die vorhandene Lesart des Ortes soll so erweitert werden. Dabei geht es nicht allein um eine Erwähnung des Internierungslagers. Die gewählte Form der gleichzeitigen Nennung der Opfer führt unter Ausblendung historischer Zusammenhänge zu ihrer Gleichsetzung und damit zu einer Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus.

Vor den Tafeln befinden sich eine niedrige aus Klinkern gemauerte Wand für die Ablage von Blumen u.ä. sowie ein mit Kieselsteinen bedeckter Platz. Beidseitig wachsen Sträucher. Auf der rechten Seite lassen sich Pfähle eines ehemaligen, in seiner Funktion nicht erkennbaren Elektrozaunes mit Resten von Stacheldraht finden. Sie sind umgeknickt, aber fest im Boden verankert.

Hinweisende Informationsschilder fehlen. Bei einem geringeren Pflanzenwuchs wäre die Gedenkstätte von der Ihlenfelder Straße aus direkt einzusehen und so auch für PassantInnen ohne Vorkenntnisse zu entdecken. Derzeit finden den Ort nur diejenigen, die von seiner Existenz wissen. (2)

Sequenz 4: Muldenstein und Wolfen

Im Juni 2004 enthüllten Vertreter der Stadt Muldenstein in Sachsen-Anhalt vor einer Schule und einem Wohngebiet ein kleines Holzschild. In der Kombination aus Straßennamensschild und Gedenktafel ist unter dem Logo der IG Farben zu lesen:

Siedlungswerk der Betriebsgemeinschaften Mitteldeutschland der IG Farbenindustrie 1938–1942

Mit dieser Art der Dokumentation von lokaler Geschichte wird die Möglichkeit suggeriert, dass eine Erinnerung an einzelne, als positiv wahrgenommene Aspekte des Nationalsozialismus möglich ist. Vernachlässigt werden dafür sowohl die Verbindung der IG Farben zu Zwangsarbeit und Vernichtung als auch im konkreten Beispiel die Bedeutung und Idee dieser Siedlungen.

Wie Robert Jan van Pelt und Deborah Dwork in ihrem 1998 erschienenen Buch »Auschwitz. Von 1270 bis heute« herausstellten, gehörte es zu einem grundsätzlichen Anliegen, »für eine Reform der Lebensbedingungen der arbeitenden Klasse entsprechend den Parteigrundsätzen (der NSDAP, Anm. der Autorin)« zu sorgen und dabei Wohnanlagen für die deutsche Belegschaft zu schaffen, die vorbildlich waren und »zu denen Gartenparzellen für den Gemüseanbau gehörten«.

Im wenige Kilometer entfernten Wolfen existierte zwischen dem 14. Mai 1943 und dem 5. April 1945 ein Außenlager, welches zunächst vom KZ Ravensbrück, ab dem 1. September 1944 vom KZ Buchenwald verwaltet wurde. Die durchschnittlich 350 gefangenen Frauen mussten bei der IG Farben, Filmfabrik Wolfen, fotografische Artikel herstellen sowie in der Filternäherei und einer Zwirnerei arbeiten. An das Schicksal der Frauen erinnert nichts, die Baracken des Außenlagers in der Thalheimer Straße am Ortsausgang wurden abgetragen. Auf dem Gelände entstanden nach 1990 ein Baumarkt und Parkplatzflächen.

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Wenn in diesen Tagen in Deutschland der Befreiung der Konzentrations- und ihrer Außenlager durch die Alliierten gedacht wird, ermöglichen vorhandene Gedenkstätten Erinnerung und Gedenken in einer Verknüpfung mit dem »Hier« des historischen Ortes. Sie stellen einen Raum zur Verfügung, an den Überlebende zurückkehren können und an dem nachfolgenden Generationen die Möglichkeit der Annäherung oder Auseinandersetzung geboten wird.

Aus diesen unterschiedlichen Funktionen ergeben sich verschiedene Bedeutungen. Sowohl für die Überlebenden als auch für die Nachkommen der Ermordeten sind die gekennzeichneten Stätten ehemaligen Leidens und Vernichtens eine Anerkennung dieser Geschichte. Sie bieten die Möglichkeit einer individuellen und gemeinsamen Trauer um die Toten. Dabei kommt den Gedenkstätten an Orten ehemaliger Außenlager noch einmal ein besonderer Stellenwert zu; viele Gefangene waren gezwungen, in ihnen zu leben und zu arbeiten.

Die Bedeutung der Orte ist allerdings weiter zu fassen. Sie veranschaulicht, wie im Land der Täter und ihrer Nachkommen mit der Geschichte umgegangen wird, welche Gestaltung und daraus abgeleitete Deutungen diese erfährt. Wie vielfältig die Deutungen sein können, zeigt sich in ihrer Betrachtung: Vergessen, Verharmlosung, Relativierung, Sinnstiftung, Ausblendung historischer, lokaler und räumlicher Zusammenhänge. Dieser Prozess begann bereits in den ersten Wochen nach der Schließung oder Befreiung der Lager selbst, und er ist – auch mit dem 60. Jahrestag – nicht als abgeschlossen anzusehen.

Anmerkungen

(1) Im gleichen Jahr wurde auf dem Gertraudenfriedhof in der Brandenburger Straße eine Gedenkstätte für tote ZwangsarbeiterInnen und Kinder eingeweiht. Aus ihrer Anlage und Inschrift – in der u.a. von »im Zweiten Weltkrieg in Belzig verstorbenen (…) Büger(n)« zu lesen ist – geht allerdings nicht hervor, welchem Kontext die Toten zuzuordnen sind, statt dessen wirken sie verharmlosend und indifferent.

(2) Im Zusammenhang mit Neuplanungen in dem Gebiet, die einen Abriss des letzten noch vorhandenen Gebäudes der MWN einschließen, ist nach Auskunft der Stadtentwicklungsgesellschaft Neubrandenburg eine Kennzeichnung des Ortes nach seiner Neugestaltung Gegenstand der Überlegungen. Angrenzend an den Friedhof Am Mühlendamm existiert eine vielschichtig gestaltete Gedenkstätte und Grabanlage zur Erinnerung an 99 ermordete Frauen des Außenlagers.

Im Juli 2005 erscheint im Metropol-Verlag Berlin: Alexandra Klei, Gestalt der Erinnerung. Gedenkstätten an Orten ehemaliger Außenlager des KZ Ravensbrück.