Kälte in der Wärmestube

Die Angriffe auf den Betriebsrat von Volkswagen wegen Schmiergeldzahlungen sollen vor allem dazu dienen, Lohnkürzungen und Entlassungen zu erleichtern. von markus euskirchen

Skandale um Bestechungs- und Schmiergeldzahlungen haben in der Öffentlichkeit stets eine Funktion, und sei es nur die zu zeigen, dass das politische und wirtschaftliche Leben eigentlich völlig sauber ablaufe oder zumindest ablaufen sollte und dass eine aufgeweckte Presse mitsamt einer kritischen Öffentlichkeit den Mächtigen bei ihren Geschäften auf die Finger schaue. Die Geschäfte selber sind damit der Kritik entzogen, solange sie legal sind.

In dem Skandal bei Volkswagen war die Botschaft von Anfang an eine etwas andere. Es wird immer offensichtlicher, dass die Enthüllungen über »Lustreisen« des Betriebsrats nicht nur der moralischen Erbauung des schockierten Publikums dienen sollen, sondern dass hinter ihnen handfeste materielle Interessen stehen, und zwar nicht die Interessen der Lohnabhängigen. Die Affäre ist ein Lehrstück darüber, wie entschieden die Wünsche der Unternehmer dieser Tage durchgesetzt werden.

Im vergangenen Juli gerieten Betriebsräte von Volkswagen unter Verdacht, sich vom Konzern »Lustreisen« und Edelprostituierte bezahlt haben zu lassen. Enthüllt wurde dies vom Konzern selbst. Die moralische Entrüstung der Öffentlichkeit äußerte sich juristisch im Vorwurf der Untreue: Vielleicht waren die Ausgaben für die »Lustreisen« im Interesse des Konzerns eigentlich gar nicht nötig! In diesem Fall hätte das Management von VW das Geld des Unternehmens veruntreut, also aus dem Fenster hinaus und dem Betriebsrat in den Rachen geworfen.

Bereits zu Beginn der Affäre wurde die öffentliche Empörung über das Lotterleben der Wirtschaftselite kanalisiert: Geschädigt sei durch die unnötigen Ausgaben vor allem die Unternehmensrendite; die Geschädigten seien also die Aktionäre und nicht diejenigen, die vom gekauften Betriebsrat vertreten werden, also die Lohnabhängigen, von der Unterdrückung der sich prostituierenden Frauen ganz zu schweigen. Gelitten hat also einzig der Unternehmensgewinn.

Doch damit war es nicht getan. Zwar wiesen »Korruptionsexperten« geradezu gelangweilt darauf hin, dass der Fall VW kein Einzelfall sei. »Solche Sachen sind üblich«, sagte die Rechtswissenschaftlerin Britta Bannenberg. Doch das half nicht, ebenso wenig wie der Hinweis, dass »man Schmiergeldzahlungen an den Betriebsrat ja als im Sinne des Unternehmens interpretieren könnte«, wie die Berliner Zeitung meinte. Schließlich, wenn denn bestochen wurde, wurden ja dem Betriebsrat Zugeständnisse der Belegschaft abgekauft, zum Wohle des Unternehmens.

Doch gerade so wollten die Medien es nicht sehen. Geschädigt sei vielmehr das Unternehmen Volkswagen. Dass dort das Management Zugeständnisse der Lohnabhängigen überhaupt noch erkaufen muss, anstatt sie im Sinne der Konkurrenzfähigkeit selbstverständlich zu erhalten, das brachte VW den Ruf ein, eine »Wolfsburger Wärmestube« (Die Zeit) zu sein, in der es sich der Monteur gemeinsam mit seinem Betriebsrat gemütlich macht, anstatt an der Seite des Managements dem eisigen Wind der Globalisierung zu trotzen. Für die Presse spiegelten die Zahlungen an den Betriebsrat eine unzeitgemäße Berücksichtigung der Interessen der Lohnabhängigen wider.

Konsequenterweise kam die ganze Institution der betrieblichen Mitbestimmung in Verruf. Vergeblich wiesen Korruptionsexperten darauf hin, dass der Skandal bei VW nichts mit der Mitbestimmung zu tun habe. Dass Betriebsräte bei Rationalisierungen und Arbeitsplatzabbau, Lohnsenkung und Mehrarbeit überhaupt mitentscheiden dürfen, dass die Arbeiter überhaupt gehört werden, das war der ganze Skandal. »Das deutsche Mitbestimmungsmodell hat den Eindruck erweckt, harte Entscheidungen seien ohne soziale Konflikte möglich«, rügte die Süddeutsche Zeitung. »Die Mitbestimmung hat einen Preis, der höher ist, als ihre Vorkämpfer in der Nachkriegszeit glaubten.«

Dabei verteidigen die Unternehmer die Mitbestimmung noch. »In den neunziger Jahren etwa wären die großen Umstrukturierungen ohne die starke Stellung der Betriebsräte und ohne das Vertrauen, das diese in der Belegschaft genießen, nicht möglich gewesen«, sagt der Vorsitzende des Unternehmerverbands Gesamtmetall, Martin Kannegiesser. Die Wirtschaftsjournalisten sind da schon weiter. Wieso muss überhaupt zwischen Unternehmens- und Belegschaftsinteressen vermittelt werden, fragen sie. Wieso akzeptiert die Belegschaft nicht einfach die Notwendigkeiten des Betriebes?

Der Betriebsratsvorsitzende Klaus Volkert musste schließlich zurücktreten. Geschwächt zurück blieben nach dem Skandal nicht das Schmiergeld zahlende Management, sondern der Betriebsrat und die Gewerkschaft. Damit war die künftige Entwicklung schon vorbereitet und das Management holte zum zweiten Schlag aus. Die Löhne der Arbeiter müssen sinken, forderte Ende August der neue Markenchef des Konzerns, Wolfgang Bernhard. Der vereinbarte Tarifabschluss müsse geändert werden.

»Bernhard fährt in seinem Sparkurs jetzt schweres Geschütz auf«, schrieb die Zeit, »die Zeit der Verhandlungen scheint vorbei zu sein.« Überraschend stellte der Manager der Belegschaft ein Ultimatum bis zum 26. September: Entweder werden die VW-Arbeiter billiger oder die Produktion des neuen Geländewagens »Marrakesch« gehe nach Portugal, drohte Bernhard, obwohl die Fertigung dem Betriebsrat verbindlich zugesagt worden war. »Bernhard zeigt die Muskeln«, schrieb die Zeit, »und eröffnet damit zugleich die erste größere Kraftprobe mit dem Betriebsrat und dessen neuem Vorsitzenden Bernd Osterloh.« Dabei war es hilfreich, dass Osterloh zwei Tage später in den Verdacht geriet, sich auf Firmenkosten üppige Diners auf Mallorca geleistet zu haben.

Der Konzern will in den nächsten drei bis vier Jahren zehn Milliarden Euro sparen. Und das ist nur der Anfang. Die Senkung der Arbeitskosten wird nach Ansicht von Branchenbeobachtern wie Ferdinand Dudenhöffer von der Fachhochschule Gelsenkirchen bei VW das große Thema der Zukunft sein. Auch deshalb dürfte die Auseinandersetzung um den Geländewagen erbittert geführt werden. »Der aktuelle Streit um den Produktionsstandort für den neuen Marrakesch – das alles ist nur ein Vorspiel«, meint Willi Diez, Professor am Institut für Automobilwirtschaft IFA. Volkswagen hat unterdessen angekündigt, die Mitarbeiterzahl um »mehrere 1 000« zu senken. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung rechnet damit, dass es 14 000 sein werden. Bis zum Jahr 2008 soll der Gewinn auf 5,1 Milliarden Euro steigen.

Da kommt die Schwäche der Vertreter der Lohnabhängigen dem Konzern gerade recht: »Vor allem der Betriebsrat mit einer neuen Spitze ist zusätzlich durch die jüngsten Skandale um Schmiergelder, Lustreisen und Spesenbetrug geschwächt«, meldet die dpa. »Angesichts der immer neuen Vorwürfe, der Berichte über Brasilien-Reisen und Besuche im Rotlichtmilieu auf Firmenkosten dürfte es für Osterloh schwer sein, den Beschäftigten klar zu machen, dass sie den Gürtel enger schnallen müssen. Das verschafft dem Vorstand zusätzlichen Auftrieb bei der Durchsetzung seines Sparprogramms.«

Offenbar mit Erfolg. »Die Zeit der langwierigen Konsenssuche zwischen Vorstand, Betriebsrat und Gewerkschaft ist in den Hintergrund gerückt«, schreibt die Investmentbank M.M. Warburg am 9. September. Bei VW seien »neue Zeiten angebrochen«. Die Bank empfiehlt die VW-Aktie zum Kauf.